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Ausgabe:

1982

Spalte:

353-355

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Wengst, Klaus

Titel/Untertitel:

Der erste, zweite und dritte Brief des Johannes 1982

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 5

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vertieft werden kann" (98), freilich nicht so, daß der Geist den Offenbarungen
Jesu Neues hinzufügt, sondern in Wahrung der Kontinuität
mit den Worten und Taten Jesu, die den späteren Generationen
durch die Augen- und Ohrenzeugen vermittelt und verbürgt werden
(12). Diejenigen, die „nicht von der Welt" sind, werden im Joh-Ev
nicht Pneumatiker genannt. Also ist ihr Status kein ontologischer,
sondern hängt vom Bekenntnis ab (kein gnostischer Mythos, keine
Prädestinationslehre). Allein in der aktuellen Reaktion und Antwort
auf das Wort des Offenbarers ereignet sich die Krisis und zeigt es sich,
ob einer zum Licht oder zur Finsternis gehört.

Kapitel VIII behandelt das Thema „Vielfalt und Entwicklung in
der johanneischen Christologie" unter Bezugnahme auf die vorangegangenen
Kapitel (Aufsätze) und auf einschlägige Literatur der 70er
Jahre. Die Mannigfaltigkeit johanneischer Vorstellungen führt Vf.
darauf zurück, daß das 4. Evangelium nicht nur die Auseinandersetzungen
zwischen Juden und Christen und zwischen Christen
unterschiedlicher Herkunft und Prägung widerspiegelt, sondern auch
auf Probleme innerhalb der johanneischen Gemeinschaften und auf
Kontroversen zwischen diesen und ausgeschiedenen ehemaligen Mitgliedern
reagiert. Daraus erklären sich auch die antidoketischen Wendungen
(2090-

Da neben dem zurückhaltenden Herangehen an die johanneischen
Probleme durch den Vf. und seinen abgewogenen Urteilen auch
andere Stimmen zu Wort kommen, nimmt der Leser viele Anregungen
für seine eigene Beschäftigung mit der johanneischen Literatur
aus diesem vielseitigen Aufsatzband mit.

Berlin Karl-Wolfgang Tröger

Wengst, Klaus: Der erste, zweite und dritte Brief des Johannes.

Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn; Würzburg: Echter
Verlag 1978.261 S.8* = GTB Siebenstern, 502. Kart. DM 18,80.

Das zweite Exempel aus der neuen Taschenbuch-Kommentarreihe
bietet ein etwas anderes Bild als G. Schneiders Kommentar zum
Lukas-Evangelium (vgl. dazu ThLZ 107, 1981 Sp. 39-41). Ein Bändchen
von 261 Seiten über einen neutestamentlichen Text von
12 Nestle-Seiten bietet etwa den vierfachen Platz gegenüber den
510 Seiten für die 92 Nestle-Seiten des Lukas-Evangeliums. So muß
sich Wengst nicht um die gleiche Komprimierung der Exegese bemühen
wie Schneider; er kann vielmehr dem „außerordentlich
schönen Text" (Luther, zitiert S. 11) in großer Intensität nachgehen.
Im übrigen ist die Anlage natürlich ähnlich, mit Einführung (S. 20-30
zum 1 Joh; S. 228-235 zum 2. und 3 Joh) und Auslegung, wobei
jeweils zu den einzelnen Abschnitten einschlägige Literatur - soweit
vorhanden - aufgeführt wird. Wengst bietet eine theologisch sehr
gehaltvolle Auslegung, die nicht vordergründig „aktualisiert", sich
aber ständig der Gegenwartsrelevanz von Text und Auslegung bewußt
ist. So kommt nicht eine distanzierte, philologisch-reli-
gionsgeschichtlich „objektive" Texterklärung zustande, sondern eine
Interpretation, der man die theologische Verantwortung des Interpreten
innerhalb der gegenwärtigen Diskussionslage auf Schritt und
Tritt abspürt. Dabei wird der Anschluß an den Text streng gewahrt;
aber die in der Interpretation vollzogenen Abgrenzungen machen den
Bezug auf gegenwärtige theologische Fragestellungen deutlich. So
etwa bei der Abwehr falscher Inanspruchnahme des Satzes, daß Gott
Liebe ist (1 Joh 4,8b): Hier stellt Wengst (in Übereinstimmung mit
R- Balz) klar, daß der I Joh Gott nicht zu einer mit „Liebe" auswechselbaren
Chiffre macht, sondern von dem Gott spricht, der in
Jesus Christus irdisch als Liebe wirksam geworden ist; „es geht...
um die Kennzeichnung der Wirklichkeit Gottes" (S. 181).

Wie der Text es fordert, wird in der Auslegung stets die Gegner-
Front mitbedacht. In der Einführung (S. 25-27) wird sie kurz als eine
Front christlicher, aus dem .Johanneischen Kreis" hervorgegangener
Cnosis gekennzeichnet, die in der Nähe Kerinths steht (weshalb W.
den Brief übrigens am liebsten in Klcinasien lokalisieren möchte, wohin
ein Zweig des zunächst in Syrien beheimateten Johanneischen
Kreises" um 100-110 gekommen sein müßte: S. 290- Freilich begegnet
innerhalb der Auslegung das Stichwort „Gnosis" bzw. „gno-
stisch" zur Charakterisierung der Gegner kaum noch; nur wer etwas
über dieses religionsgeschichtliche Phänomen weiß, .erkennt bei den
„Irrlehrern" oder „Gegnern", so wie W. sie (durchweg einleuchtend)
zeichnet, speziell Gnostisches wieder. Hier wäre wohl gerade für den
Nichtfachmann (an den sich die Kommentarreihe ja auch wenden
möchte) eine ausdrücklichere Benennung der Gegner sicher nützlich
gewesen; sowohl das Profil der Gegner als auch die Intention des
theologischen Kampfs des 1 Joh gegen sie wäre dann wohl noch deutlicher
geworden. Etwa zur Auslegung von 1 Joh 4,7-13 wäre ein Exkurs
nützlich gewesen (ausdrücklich kenntlich gemachte Exkurse fehlen
im Kommentar ganz), in dem hätte unterstrichen werden können,
wie z. B. die Überordnung der agape über die gnosis (als ihr Kriterium
) die Gnostiker ins MarK trifft und daß auch die Frage, wer „aus
Gott gezeugt" ist, auf ein Spezificum gnostischen Selbstverständnisses
polemisch bezogen ist.

Ein anderer, in der Einzelauslegung sehr schön und erhellend
durchgeführter Gesichtspunkt ist der Aufweis von Bezügen des 1 Joh
auf das Johannes-Evangelium und die Darlegung dessen, wie dieses
„gemeindespezifische" Überlieferungsgut jeweils neu interpretiert
wird. W. setzt - m. E. überzeugend - voraus, daß der Autor des 1 Joh
mit dem Evangelisten nicht identisch ist, sondern dem Johanneischen
Kreis" der nächsten Generation angehört und das Überkommene
in zugespitzter Situation (Abspaltung von Gnostikern innerhalb
des Kreises) neu zu aktualisieren hat (S. 24f- leider geht W.
nicht auf die Frage ein, wie sich der 1 Joh zur Redaktion des Evangeliums
verhält: liegt nicht auf dieser Ebene eine gleichartige Neuinterpretation
der Hinterlassenschaft des Evangelisten vor?). Auch hier
hätte ein Exkurs „Der 1 Joh als Ausleger des Johannes-Evangeliums"
vielleicht viele Einzelbeobachtungen eindrucksvoll zusammenfassen
können.

Die (mit 11 Seiten relativ knappe) „Einführung" plädiert mit guten
Gründen für die Einheitlichkeit des Brieftextes (gegen R. Bultmann),
mit Ausnahme des Abschnitts 5,14-21, der als Nachtrag eines
Späteren in einer wiederum veränderten Situation erklärt wird, und
weiß für die eigenartige Form des „Briefes" im Zusammenhang mit
seiner besonderen Art von Pseudonymität eine plausible Erklärung
zu geben. Vermuteter Ort (Kleinasien) und Zeit der Abfassung (etwa
100-110) waren schon erwähnt.

Selbständig behandelt werden der 2. und 3 Joh (S. 227-252), deren
(gemeinsamer) Verfasser von dem des 1 Joh abgehoben wird; der
Verfasser von 2./3 Joh hat zwar dieselbe gegnerische Front im Blick,
geht aber mit ihr anders um als der des 1 Joh, indem er sich auf
ernsthafte Diskussion gar nicht mehr einläßt, sondern die Gegner
schon als weit außerhalb der Gemeinde stehend ansieht. Den Dio-
trephes hingegen beurteilt der „Alte" durchaus nicht als Ketzer; er
sieht sich vielmehr in die Lage versetzt, sich gegen die Verketzerung
durch Diotrephes verteidigen zu müssen, der den „Alten" offenbar
als einen aus dem Johanneischen Kreis" hervorgegangenen Gnostiker
diffamiert (die scharfe Abgrenzung von diesen Gnostikern dient
also vor allem der Selbstverteidigung des „Alten"); in Wahrheit
scheint sich Diotrephes vor allem durch die Ablehnung seines Episkopats
-Anspruchs durch den „Alten" herausgefordert gefühlt zu
haben. So steht zwischen beiden Rivalen nicht eigentlich die Grenze
zwischen „Kirche" und „Ketzerei", sondern vielmehr die einer verschiedenen
Beurteilung des hierarchischen Prinzips innerhalb der
Christenheit - eine durchaus interessante „ökumenische" Situation.
Die Briefe werden den Jahren um 110-115 zugewiesen. (Auch hier
könnte man fragen, ob nicht zwischen dem Nachtrag zum 1 Joh in
5,14-21 und dem 2./3 Joh sich eine Beziehung herstellen läßt - aus
kanonsgeschichtlichen Erwägungen heraus schiene mir ein solcher
Gedanke naheliegend.)

Alles in allem: Wengst hat einen gehaltvollen Kommentar zu den
Johanneischen Briefen geschrieben - der Anlage der Reihe gemäß