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Ausgabe:

1982

Spalte:

349-352

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Keck, Fridolin

Titel/Untertitel:

Die öffentliche Abschiedsrede Jesu in Lk 20,45 - 21,36 1982

Rezensent:

Suhl, Alfred

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349

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 5

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fehlt, so bleibt das sachlich problematisch. Wenn ich einen andern
ohne direkte Polemik und ohne, daß er dazu Stellung nehmen kann,
innerhalb eines geschlossenen Kreises der christlichen Gemeinde verleumde
, so bleibt das von der Mitte der Verkündigung Jesu her, im
Lichte der ersten Antithese und der Feindesliebe, ein unakzeptables
Verfahren.

Laupen Ulrich Luz

Keck, Fridolin: Die öffentliche Abschiedsrede Jesu in
Lk 20,45-21,36. Eine redaktions- und motivgeschichtliche Untersuchung
. Stuttgart: Kath. Bibelwerk 1976. 353 S. gr. 8" = Forschung
zur Bibel, 25 Kart. DM 46,-.

Auch diese (bereits 1973/74 fertiggestellte und 1976 für den Druck
nur geringfügig überarbeitete) Dissertation eines Schülers von Anton
Vögtle fügt sich würdig ein in die stattliche Anzahl hervorragender
Untersuchungen, die in der Reihe „forschung zur bibel" bisher erschienen
sind. Ihr Gegenstand ist die öffentliche Abschiedsrede Jesu
in Lk 20,45-21,36, die in vorbildlicher Weise redaktionsgeschichtlich
untersucht wird. Wenn Vf. im Untertitel ausdrücklich auch auf den
motivgeschichtlichen Aspekt hinweist, so geschieht das insofern zu
Recht, als die motivgeschichtlichen Studien hier - vom Gegenstand
her gefordert - sehr viel umfangreicher ausfallen als in anderen redaktionsgeschichtlichen
Arbeiten; doch streng genommen gehört die
Motivgeschichte, sofern sie die Redaktion erhellen hilft, zur Redaktionsgeschichte
dazu.

Keck beschränkt seine Studie zwar auf einen verhältnismäßig begrenzten
Textabschnitt; dieser wird aber so gründlich untersucht und
im Zusammenhang mit der gesamten Theologie des Lukas erörtert,
so daß die Arbeit praktisch weit über den begrenzten Abschnitt hinausgreift
und dadurch, daß alle wesentlichen Aspekte der Theologie
des Lukas zur Sprache kommen, einen guten Einblick in die Gedankenwelt
des Verfassers von Lk-Ev und Apg insgesamt eröffnet.

Vf. geht so vor, daß er L den „Kontext der Abschiedsrede"
(S. 17-28) erörtert. Dieser ist deutlich gegliedert: „Nachdem Jesus
vom Tempel als dem Ort der Offenbarung Besitz ergriffen hat (Einleitung
: Lk 19,28-46), folgt Lk 20,1-44 (negativ) die Auseinandersetzung
mit den führenden Männern ,der Juden' und 20,45-21,36
(positiv) die letzte öffentliche Unterweisung der gläubigen Jünger; in
beiden Abschnitten hört ,das Volk' bereitwillig zu, ohne sich aber
selbst zu Wort zu melden" (S. 20). Kapitel 2 „Die Einheit und
Grundstruktur der Redekomposition" (S. 29-35) weist überzeugend
nach, daß entgegen allen bisherigen Gliederungsvorschlägen (vgl.
auch die jüngsten Lk-Kommentare von G.Schneider 1977 und
W. Schmithals 1980) die Rede mit 20,45 (und nicht mit 21,5 par
Mk 13,|) beginnt und daß V.lOa und V.29a wesentliche Elemente
einer Gliederung darstellen (S. 38). Entsprechend erfolgt die eigentliche
Untersuchung in drei Kapiteln, die überschrieben sind (3.)
..Lk 20,45-21,9: Große einleitende Paränese" (S. 36-107), (4.)
»Lk 21,10-28: Der zentrale Teil der lukanischen Redekomposition"
(S. 108-262) und (5.) „Lk 20,29-36: Abschließende Versicherungen
und Ermahnungen" (S. 263-316). Ein 6. Kapitel „Die Form der Redekomposition
: Eine öffentliche Abschiedsrede Jesu an seine Jünger"
(S. 317-320) führt den Nachweis, daß die Rede von der vorausgesetzten
Situation (der Todesnähe), dem Zuhörerkreis (nicht beliebige
Zuhörer, sondern die Jünger) sowie dem paränetischen und prophetischen
Inhalt her eindeutig zur Gattung der Abschiedsreden gehört,
zumal Lukas auch alle Voraussetzungen erfüllt, die für den Gebrauch
des Topos „Abschiedsrede" gelten, insofern er sich des Abstandes
vom Jesusgeschehen bewußt ist, die geschichtliche Entwicklung des
Christentums wahrnimmt (und in der Apg darstellt) und sich um eine
deutende Verklammcrung seiner Gegenwart mit der Vergangenheit
bemüht. Ein 7. Kapitel „Zusammenfassung der Ergebnisse"
(S. 321-327) bringt eine im Verhältnis zu den Einzelanalysen recht

knappe Zusammenfassung, die zwar sehr übersichtlich ist, an der
man sich aber besser nicht orientiert, wenn man den ganzen Reichtum
an Einzelerkenntnissen wahrnehmen will.

Die drei Hauptkapitel sind so aufgebaut, daß jeweils einer (sich
freilich nur auf die Abweichungen von der Mk- Vorlage beschränkenden
) literar- und stilkritischen Untersuchung der einzelnen Sinnabschnitte
(für die reichlich vorhandene Sekundärliteratur verarbeitet
wird) eine ausführliche Deutung folgt, die vor allem in den Abschnitten
, in denen Lukas sich sehr weit von seiner Mk-Vorlage entfernt
, motivgeschichtlich die Einflüsse des deuteronomistischen Geschichtsbildes
, der alttestamentlich-spätjüdischen Vorstellung vom
Leiden des Gerechten und der urchristlichen Paränese (jeweils sehr
überzeugend und mit in souveräner Stoffbeherrschung ausgewähltem,
reichlichem Belegmaterial) aufzeigt. Dieser von der Sache her naheliegende
Aufbau mutet dem Leser freilich oft zu viel zu, weil der
Faden der Analyse erst sehr viel später wieder aufgegriffen wird;
didaktisch wäre ein engeres Ineinander von Analyse und Deutung
sicher möglich und besser gewesen und hätte manche Wiederholung
unnötig gemacht. (Es finden sich Äußerungen über die Auslassung
von Mk 13,10 auf S. 145. 162 und 208 Anm.438, die aber erst
zusammen die stichhaltige Begründung liefern; die Frage nach der
Deutung von Lk 21,13 wird S. 134 aufgeworfen, beantwortet aber erst
S. 199IT!)

Keck kommt zu dem stichhaltig begründeten Urteil, daß Lukas
außer dem Mk-Ev keine weitere Quelle kannte (vgl. hierzu bes.
S. 143ff. 164ff. 278IT). Auch nur einen annähernden Einblick in die
Fülle seiner die Redaktionsarbeit des Lukas erhellenden Einzelergebnisse
zu vermitteln, ist hier nicht möglich. Darum seien nur
einige markante Punkte genannt: Die Rede beginnt Lk 20,45-47
mit einer Warnung vor den Schriftgelehrten, die angesichts der z. Zt.
des Lukas bereits vollzogenen Trennung von Kirche und Judentum
nicht auf den Umgang mit den Gegnern abzielen kann, sondern eher
vor deren Lebensweise warnt (S. 90f); mit ihr kontrastiert das vorbildliche
Verhalten der Witwe Lk 21,1-4, das zugleich die Reichen
diskreditiert. Lk 21,5-6 wird der Orts- und Personenwechsel der
Mk-Vorlage vermieden. „Aus dem privaten Wort an einen Jünger
macht Lk eine öffentliche Ankündigung vor allen Jüngern" (S. 95).
Jesu Wort und Person rücken noch mehr in den Mittelpunkt als bei
Mk durch Vermeidung des Subjektwechsels. Das Wort Jesu ist eine
Unglücksweissagung mit drohendem Charakter, aber ohne jeden endzeitlichen
Sinn, der auch durch die folgende Jüngerfrage nicht nahegelegt
wird. Diese bezieht sich V. 7 vielmehr eindeutig nur auf die
Zerstörung des Tempels; die Frage hat, wie oft bei Lukas, die
Funktion, die Bedeutung des nachfolgenden Jesuswortes herauszustellen
, wenngleich dies keine unmittelbare Antwort auf die aufgeworfene
Frage gibt (S. 98). Die Antwort wird vielmehr erst VV. lOff
gegeben. Zunächst warnt Lukas vor Irrlehrern mit einer falschen
Naherwartung sowie vor Spaltungen und Parteiungen innerhalb der
Gemeinde (und nicht etwa vor Kriegen und Aufstand außerhalb der
Gemeinde). Damit spricht Lukas von seiner Gegenwart, nicht aber
von dem längst vergangenen jüdischen Krieg (S. 99-105). - Mit
V. 10a beginnt der Hauptteil der Rede. VV. lObf bilden mit
VV. 25-27 eine Inklusion. Die Verse reden vom Tag Jahwes. Es
handelt sich also nicht um ausgedehnte real-geschichtliche Vorzeichen
der Parusie, sondern um Gerichtsmetaphern, da sonst ein
Widerspruch zu der Erwartung entstünde, daß jener Tag' wie ein
Fallstrick kommt VV. 34f; vgl. Lk 17,20-37 (S. 2370- Innerhalb der
Inklusion ist eine kleine Nuancierung zu beachten: „Betont der
1. Abschnitt (VV. lObf) mehr den Charakter der Zukünftigkeit des
Eschatons (im Gegensatz zur Lehre der Parusieschwärmer in den
VV. 80, so der 2. Abschnitt (VV. 25-27.28) mehr den Gedanken des
mit Sicherheit über die Menschen kommenden Gerichts, das gleichzeitig
das Herannahen des Heils für die gläubigen Jünger bedeutet"
(S. 194 Anm. 390). VV. 12-24 sprechen demgegenüber von innergeschichtlichen
Ereignissen. Dabei greifen V. 12 und V. 15 auch terminologisch
auf die Darstellung des Paulus-Prozesses und des Ste-