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Ausgabe:

1982

Spalte:

348-349

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Garland, David E.

Titel/Untertitel:

The intention of Matthew 23 1982

Rezensent:

Luz, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 5

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Scheidung von «comparaison» und «parabole au sens strict»
(S. 18f.l9fl) als vielmehr die ausdrückliche Reflexion über den
Aktualisierungsaspekt exegetischer Arbeit (S. 34ff). «II ne s'agit pas
seulement d'avoir une vue notionnelle de ce qui s'est deroule dans le
passe neo-testamentaire (...); nous voulons aussi, et surtout, faire
entrer les paraboles dans notre vie en sachant qu'elles doivent y met-
tre quelque chose en branle» (S. 36). Die historisch-kritische Erkenntnis
gerade der Gleichnisse widerspricht dieser These nicht nur
nicht, sondern unterstützt sie.

Die Darstellung der Gleichnisse Jesu wird begonnen mit dem
Gleichniskapitel Lk 15, wohl aus Gründen der exemplarischen Bedeutung
der hier zusammengestellten Gleichnisse. Dieser Abschnitt
soll - im Sinne eines Beispiels - auch hier etwas ausführlicher besprochen
werden als dies bei den restlichen möglich sein wird. In
einem ersten Durchgang konzentriert sich Lambrecht auf Komposition
und Struktur des Kapitels. Hier werden die Erkenntnisse der
exegetischen Spezialliteratur knapp und in der Regel zutreffend wiedergegeben
. Ein zweiter Arbeitsgang ist dann dem Gleichnis vom verlorenen
Schaf gewidmet. Analytisch vorgehend rekonstruiert der Vf.
zunächst die Q-Version (äußerst fraglich erscheint mir allerdings, daß
hierzu das Tragen auf den Schultern und das Feiern mit den Nachbarn
gerechnet wird, vgl. S. 64), um dann - nach einem Seitenblick
auf die Version des Thomasevangeliums, die der Vf. zu Recht für
sekundär hält (S. 66) - zur Bedeutung des Gleichnisses im Munde
Jesu vorzustoßen. Besonderen Wert legt er auf die eschatologische
(das Werk Gottes wird jetzt definitiv vollbracht) und christologische
(der Ort jenes Vollbringens ist der irdische Jesus selbst) Dimension
dieser Parabel. Von hier aus ist es dann leicht zu bewerkstelligen,
auch den ursprünglichen Sinn des Gleichnisses vom verlorenen Sohn
zu erheben. Bemerkenswert ist, daß der analytische Arbeitsgang
jeweils durch einen zweiten ergänzt wird, in welchem der Geschichte
des ursprünglichen Gleichnisses im Verlaufe der synoptischen Überlieferung
nachgedacht wird. Sie zeigt so etwas wie eine erste Rezeption
und liefert deshalb wertvolle Hinweise zur Entdeckung der
Wahrheit der Gleichnisse. Gemäß seiner methodologischen Vorentscheidung
geht Lambrecht schließlich zur Aktualisierung über, wobei
zuerst das Beispiel der Evangelisten als Denkanstoß genommen wird.
Hier erheben sich naturgemäß die gewichtigsten Fragen: ist beispielsweise
das Gleichnis mit dem Satz «La gräce precede toujours nos
merites: eile est gräce prevenante» (S. 79) hinreichend aktualisiert?
Ist es überhaupt in einen solchen Satz überführbar, oder würde man
sich nicht besser an den auch vom Vf. gegebenen Ratschlag halten:
«L'actualisation, en realite, ne signifie qu'une chose: laisser parier ä
nouveau Jesus et son message» (S. 79)? Der Abschnitt wird mit einer
gut ausgewählten Bibliographie zu Lk 15 abgeschlossen.

Ungefähr nach dem gleichen methodischen Schema werden nun
andere Gleichnisse besprochen: der gute Samariter (Lk 10,25-37);
die Gleichnisse in Mk 4; andere Gleichnisse im Mk (3,22-30; 7,1-23;
12,1-12; 13,28f; 13,34-36); die zehn Jungfrauen (Mt25,1-13);
Mt 25,14-30 par Lk 19,11-27 (Talente beziehungsweise Minen); das
letzte Gericht (Mt 25,31^16). So sehr man sich über die Sachgemäßheit
einer derartigen Auswahl oder gar über viele exegetische
Einzelfragen streiten könnte, so wenig soll dies darüber hinwegtäuschen
, daß das Buch die selbstgestellte Aufgabe weitgehend erfüllt: es
ist eine Einführung in die Gleichnisse Jesu, die den Diskussionsstand
der exegetischen Spezialliteratur sehr gut wiedergibt, und die insbesondere
etwas erreicht, was mancher Spezialistenarbeit nicht gelingt:
vorzudringen nämlich von der Erklärung zum Verstehen, herauszutreten
aus der objektivierenden Distanziertheit und den Leser in jene
Situation zu versetzen, «tandis qu'il nous parlait» (vgl. Lk 24,32 und
S. 12).

Männedorf Hans Weder

Garland, David E.: The Intention of Matthew 23. Leiden: Brill
1979. XII, 255 S. gr. 8° = Supplements to Novum Testamentum,
52. Lw. hfl 80.-.

Die Arbeit, eine Dissertation am Southern Baptiste Theological
Seminary in Louisville, Kentucky, reiht sich den heute relativ zahlreichen
monographischen Exegesen einzelner neutestamentlicher
Texte ein. Ihre weit über 200 Seiten sind ausschließlich der Exegese
von Mt 23 gewidmet. Die Fragestellung ist die redaktionsgeschichtliche
, wobei eine „vertikale" (= synchrone) Analyse die „horizontale"
Analyse (= Quellenkritik) ergänzt. Inhaltliche Hauptfrage ist die nach
dem „unchristlichen" Charakter von Mt 23, dessen schroffe und teilweise
ungerechte Polemik gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten
dem jesuanischen Gebot der Feindesliebe widerspricht. Wie weit lassen
sich die matthäischen Weherufe wirklich auf Jesus zurückführen?
Wie weit sind sie aus der Situation der matthäischen Gemeinden verständlich
?

Ein erstes Kapitel (8-33) beschäftigt sich mit der Struktur des I^api-
tels. Vf. nimmt mit der Mehrzahl der Forscher die Existenz einer
schriftlichen Logienquelle an, deren Weherufe Mt teils vorgezogen
(V. 3f. 6f.l3), teils ergänzt (V. 8-12. 15-22. 37-39) hat. Mit E.
Schweizer hält Vf. den Kontext der Kapitel 21,21-25,46 für einen
entscheidenden Schlüssel zur Interpretation des Kapitels. Als innere
Gliederung ergibt sich ihm eine Dreiteilung: die Paränese an die Gemeinde
(V. 1-12), die ersten sechs Weherufe (V. 13-28), der herausgehobene
letzte, zur Gerichtsankündigung über Jerusalem führende
letzte Weheruf (23,29-24,2).

Die folgenden Kapitel 2-6 enthalten die abschnittweise gegliederte
fortlaufende Exegese. Ihre wichtigsten Ergebnisse sind: Mt23 ist
nicht primär als direkte antijüdische Polemik zu verstehen, sondern
eher heilsgeschichtlich als Versuch der Gemeinde, die Verwerfung
Israels, die Zerstörung Jerusalems und die Erwählung der Heiden zu
erklären. Kapitel 23 schiebt c|ie Verantwortung für das Schicksal des
ganzen Volkes seinen Führern zu, die ihre Aufgabe verfehlt haben
und vor allem dem Gesetz nicht entsprochen haben. Ein ausführliches
Kapitel über die von Mt betonte „Heuchelei" der jüdischen
Führer kommt zum Schluß, daß damit nicht primär das subjektive
Nichtübereinstimmen von Taten und eigenem Anspruch, sondern
ihre objektive „Gesetzlosigkeit" (V. 28) gemeint sei (91 ff). Bestimmend
für dieses Ergebnis ist nicht so sehr die Wortbedeutung von
unoxpnr(; (Vf. kann nur auf wenige alttestamentliche Stellen hinweisen
und weist in einer sprachlich ziemlich gewagten Weise auf die,
„die glatte Dinge suchen" (dwrsj chlqwth), d. h. die Pharisäer der
Qumrantexte), als der matthäische Kontext, d. h. die Vorwürfe, die in
den Weherufen konkret erhoben werden. Eine ausführliche Untersuchung
des „Wehe" kommt zun* Ergebnis, daß es hier nicht um Polemik
und Bußruf, sondern um Gerichtsansage geht (64ff). Neben
dem heilsgeschichtlichen Versuch, Gottes Gericht über Israel zu meditieren
, steht dann in Kapitel 23 in direkter (V. 1-12) und indirekter
Weise vor allem die Paränese an die eigene Gemeinde und ihre Führer
im Vordergrund, durch ihr eigenes Verhalten das Schicksal Israels
, das prinzipiell auch ihre eigene Möglichkeit ist, zu vermeiden.
Die eingangs gestellte Frage nach der historischen Situation der matthäischen
Gemeinde tritt also zurück (die Gemeinde ist nicht mehr
innerhalb des jüdischen Synagogenverbands zu denken, aber der
Eindruck der Kreuzigung Jesu und des Mißerfolgs der Israelpredigt
ist nicht zu unterschätzen); die Frage der Echtheit der Weherufe wird
nur gelegentlich (im Sinne einer positiven Möglichkeit) gestreift.

Die These ist plausibel; die Exegese ist solid. Irgend etwas wirklich
Aufregendes habe ich in der Arbeit nicht gefunden. Die Ausgangsfrage
, ob Mt 23 nicht „sub-Christian" (213) sei, die Vf. mit dem Hinweis
, daß das Kapitel nicht als direkte Polemik zu verstehen sei, entschärfen
will, bleibt allerdings m. E. in ihrer ganzen Schärfe bestehen:
Wenn die Gemeinde sich mit diesem Kapitel Gründe für Gottes Gericht
an Israel so zurechtlegt, daß sie Israel in einer Weise der Gesetzlosigkeit
verfallen sieht, die zum größeren Teil die Wirklichkeit ver-