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Ausgabe:

1982

Spalte:

344

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Neusner, Jacob

Titel/Untertitel:

Form-Analysis and exegesis 1982

Rezensent:

Bernhardt, Karl-Heinz

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Seite 1

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343

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 5

344

zum chronologischen 'establishment' mag nachwuchspsychologisch
verständlich sein; aber V. ist dafür wohl nicht der rechte Mentor. Sein
Weg, durch die astronomische Verifizierung biblisch-literarischer
Motive dem Zeitgeschmacke angenehm gemacht, führt lediglich zurück
zu jenem Fundamentalismus, den der bekannte Buchtitel ,Und
die Bibel hat doch recht' so treffend umschreibt.

Berlin Karl-Heinz Bernhardt

' Wie er die inschriftlich bezeugten 32 Regierungsjahre Ramses' III. in den
18 Jahren Nektanebos' I. und die gleichermaßen feststehenden 6 Regierungsjahre
Ramses' IV. in den 2 Jahren Teos' unterzubringen gedenkt, verrät V.
nicht. Immerhin spart er bei Ramses VI. (7 Jahre) im Vergleich zu Nektanebos
II. (18 Jahre) einiges wieder ein. Dennoch bleibt ein Überschuß von
7 Jahren, der sich fatal auch auf unsere moderne Jahreszählung auswirkt, da
nach Alexander d. Gr. die Chronologie absolut feststeht und kein einziges Jahr
eliminiert werden kann. Noch drastischeren Auswirkungen der chronologischen
Revolution beugt V. vor, indem er Ramses IX.-XI. mit zusammen 47
inschriftlich bezeugten Regierungsjahren kurzerhand ins fünfte Jahrhundert
steckt, also vor Ramses III.—VI. nach seiner Ansetzung (153). Auch dem vertrauensvollen
Leser werden Bedenken kommen, ob dies gut gehen kann; denn
die Zeit zwischen 525 bis 404 v. Chr. ist durch die Herrschaft der Perserkönige,
an deren Chronologie auch V. nicht zu rütteln wagt, lückenlos besetzt. Außerdem
läßt V. noch zwischen 460 und 404 den aus den Elephantine-Papyri näher
bekannten Satrapen Arscham mit königlicher Machtvollkommenheit über
Ägypten herrschen. Zu dieser Überhöhung gelangt er durch die Identifizierung
von Arscham mit jenem Syrer Irsu, der von Ramses III. im .Großen
Papyrus Harris' als Usurpator erwähnt wird. Diese Gleichsetzung, angeregt
lediglich durch Namensähnlichkeit, kann nicht ohne willkürliche Behandlung
des Ramses-Textes vorgenommen werden. Außerdem schafft sie neue Ungereimtheiten
. Ramses III. berichtet, daß sein Vater Sethnacht jenen Irsu vertrieben
habe. Wenn nun Ramses III. nach V. in Wirklichkeit Nektanebos 1.
sein soll, wer wäre dann mit Sethnacht gleichzusetzen? Der Leser erfährt es
nicht - aus guten Gründen. In Betracht käme dafür nur Nepherites, den Nektanebos
I. als seinen Vater bezeichnet. Nepherites hat 399-393 regiert, vier Jahre
länger, als für Sethnacht beansprucht werden können. Im übrigen ruhte zu
Beginn seiner Regierungszeit V.s Satrap/Usurpator Arscham/Irsu schon fünf
Jahre friedlich in seinem Grabe. Und was wird aus Hakoris, der nun wirklich
ein Usurpator gewesen ist und dessen 13jährige Regierung noch zwischen Nepherites
und Nektanebos I. einzuschieben ist? - V.s Hypothese hat keine
Chance.

2 Nur ein Beispiel für die wunderbaren Konsequenzen, die sich aus dieser
chronologischen Umstülpung ergeben: Die Adorationsszene Nektanebos'I.
auf der Rückwand des Chonsu-Tempels in Karnak sowie die Inschriften über
an diesem Tempel vollzogene Restaurierungsarbeiten durch Teos und Nektanebos
II. müßten dann bereits mindestens ein halbes Jahrhundert vor der
Grundsteinlegung durch Ramses III. auf die Wände des noch nicht existierenden
Bauwerks eingemeißelt worden sein.

J Allerdings ist einzuräumen, daß V. die manchmal lächerlichen Mißverständnisse
der Autoren jener Literaturgattung vermeidet, ebenso wie die freie
Erfindung von nicht vorhandenen archäologischen Denkmälern. Gleichwohl
bestehen in methodischer Hinsicht weithin Gemeinsamkeiten. Besonders
charakteristisch ist u. a. die selektive Behandlung der Quellen - nur was der
eigenen Auffassung dienlich sein kann, wird ,herausgepickt' - und das interpretierende
Zitieren, wobei öfters vom tatsächlichen Inhalt des Zitierten nicht
viel übrig bleii i.

Judaica

Hoheisel, Karl: Das antike Judentum in christlicher Sicht. Ein Beitrag
zur neueren Forschungsgeschichte. Wiesbaden: Harrassowitz
1978. X, 235 S. gr. 8* = Studies in Oriental Religions, 2. Kart.
DM 78,-.

Das Buch ist eine längst fällige Auseinandersetzung mit dem christlichen
Judentumsbild aus der Sicht eines Religionswissenschaftlers.
Es behandelt in vier Kapiteln das traditionelle „Spätjudentumsbild"
bis zum 2. Weltkrieg (S. 7-60), die Deutung der frühjüdischen Torah-
Frömmigkeit in der theologischen Nachkriegsforschung (S. 61-130),

die Grundgedanken frühjüdischer Soteriologie (S. 131-174) und versucht
schließlich, die Gründe für die christlichen Fehlinterpretationen
namhaft zu machen (S. 175-210). Während die beiden
ersten Kapitel sich also auf einen forschungsgeschichtlichen Überblick
beschränken, geht es im 3. Kapitel um eine systematische Darstellung
der frühjüdischen Soteriologie, wobei allerdings auch hier
weniger neue Analysen der Primärquellen als vielmehr „gediegene
neuere Darstellungen" dem Vf. den roten Faden liefern, an dem er
sich orientiert.

Den Hauptergebnissen des Vf. ist vorbehaltlos zuzustimmen. Er arbeitet
die kosmische und geschichtliche Dimension der Torah gut
heraus und entlarvt (einmal mehr) die ,jüdische Gesetzlichkeit" als
ein christlich-theologisches Konstrukt, das einer religionsgeschichtlichen
Überprüfung nicht standhält. Zu kritisieren wären aus der
Sicht des Judaisten zahlreiche Einzelheiten, doch lohnt dies kaum, da
der Vf. zum verhandelten Thema keinen eigenen Forschungsbeitrag
anstrebt. Am schwersten wiegt vielleicht der Umstand, daß (vor allem
im 3. Kapitel) die neuere judaistische Literatur nur sehr unzureichend
verarbeitet ist. Der Vf. stützt sich überwiegend auf altbewährte
Standardwerke (Schechter, Moore, Sjöberg, Billerbeck,
sogar Bonsirven kommt zu seinem Recht; dagegen ist Urbach, HZ"L,
so gut wie gar nicht ausgewertet, obwohl die englische Übersetzung
schon 1975 vorlag) sowie auf die „Geschichte der jüdischen Religion
" von J. Maier.

Ob die im Vorwort ausgedrückte Hoffnung des Vf., daß seine Veröffentlichung
das Spätjudentumsklischee, das sich auch in die allgemeine
Religionswissenschaft eingeschlichen hat, zu überwinden hilft,
vermag ich nicht zu beurteilen. Auf jeden Fall verstärkt das Buch, das
so viele längst weit geöffnete Türen einrennt, den Eindruck der Resignation
hinsichtlich der Erfolgsaussichten innerhalb der christlichen
Theologie.

Köln Peter Schäfer

Neusner, Jacob: Form-Analysis and Exegesis: A Fresh Approach to
the Interpretation of Mishnah with special reference to Mishnah-
tractate Makhshirin. Minneapolis: University of Minnesota Press
1980. XIV, 215 S. gr. 8'. Kart. $ 9.95; Lw. $ 22.50.

In seiner Studie zu Makhschirin - (Flüssigkeiten die) .empfänglich
machen' (für Unreinheit) - dem achten Traktat des Mischna-Seders
Teharoth, verfolgt J. Neusner zwei Ziele:

Zunächst geht es ihm um die Einführung von sprachwissenschaftlich
-formkritischen Untersuchungsmethoden in die Interpretation
von Mischna-Texten. Das Achten auf syntaktische Gliederung, Anwendung
geprägter stilistischer Elemente und auf sprachliche Logik
sowie das Herausarbeiten kleinster Einheiten läßt von vornherein im
Falle von Sammlungen gesetzlicher Bestimmungen ohne komplizierte
Redaktionsgeschichte eine wesentliche Verständnishilfe erwarten
. N.s Untersuchung, unter Vermeidung von Tabellen, verschlüsselten
Diagrammen und den Text überfordernden Fragestellungen in
angewandter Textinterpretation überzeugend durchgeführt, erfüllt
diese Erwartung vollauf und gestattet auch allgemeine Schlußfolgerungen
zur Entstehung und Textgeschichte der Mischna.

Mit dieser Untersuchung verbindet N. den weiteren Zweck einer
Einführung in den Umgang mit Mischna-Texten. Dies geschieht in
leichtverständlicher, anregender Form, so daß es dem Band nicht an
dankbaren Nutzern außerhalb der engeren Fachwelt fehlen wird.

Die Texte werden abschnittsweise im hebräischen Original und in
Übersetzung geboten und interpretiert. Zusätzlich wird noch die
Tosephta zu Makhschirin I berücksichtigt. Register, Bibliographie
und ein Glossar zur Erläuterung wichtiger Begriff erschließen den
Band.

K.-H. B.