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1982

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Kirchenrecht

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299

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 4

300

Kirchenrecht

Münch, Paul: Zucht und Ordnung. Reformierte Kirchenverfassungen
im 16. und 17. Jahrhundert (Nassau-Dillenburg, Kurpfalz, Hessen
-Kassel). Stuttgart: Klett-Cotta 1978. 232 S. gr. 8° = Spätmittelalter
und Frühe Neuzeit. Tübinger Beiträge zur Geschichtsforschung
, 3. Lw. DM 66,-.

Der Titel dieser Arbeit gibt zwei Termini wieder, die der Auslegung
von 1 Kor 14,40 entsprossen sind, einer Schriftstelle, die in den
Kirchenordnungen des 16. Jh. eine große Rolle bei der Begründung
disziplinierender Maßnahmen spielt. Hinter der Auslegung dieser
Paulusstelle steht die Sorge vor dem Einbruch von Willkür und
Chaos auf dem Wege des Einbruchs von Gedanken aus dem Bereich
des sog. Linken Flügels der Reformation. M. kann aufweisen, daß in
den von ihm untersuchten Territorien, begleitet durch das Ideal von
Zucht und Ordnung, eine zunehmende Entmündigung der Gemeinde
stattgefunden hat, die ihren kirchenverfassungsmäßigen Ausdruck im
Zurücktreten kirchlicher Organe und Gremien zugunsten der Übernahme
von Weisungs- und Machtbefugnissen durch die Landesherren
gefunden hat. Interessant ist - was auch für andere Territorien bereits
nachgewiesen ist -, daß die Kirchenverfassungsstrukturen dieser
Territorien nicht nur den Wechsel von mittelalterlicher Kirchlichkeit
zu von der Reformation bestimmter Kirchlichkeit relativ unberührt
überstanden haben, sondern auch den Konfessionswechsel vom
Luthertum zum Calvinismus (Kurpfalz, Nassau-Dillenburg). Insofern
erscheint auch der Übergang vom mittelalterlichen zum frühneuzeitlichen
Ständestaat als nicht so gravierend, wie man ihn
vielleicht zunächst erwarten könnte. Ja, eine Reihe von programmatischen
und theoretischen Formulierungen weist direkte Bezüge
zum Mittelalter auf (1880- Damit wird auch die Behauptung, Calvinismus
und neuzeitliche Demokratie stünden in einem direkten
und aufweisbaren inneren Zusammenhang, durch M.s Untersuchungen
erneut fraglich. Adäquate Stichworte für die sozial-politischkirchliche
Entwicklung in den untersuchten Territorien sind für
M. nicht Demokratisierung (oder gar Liberalisierung), sondern
„Sozialdisziplinierung" (G. Oestreich) und Bürokratisierung. Fraglich
wird aber auch die Behauptung, reformierte Kirchenverfassungen
seien biblizistisch orientiert gewesen. Als wichtig und neu an M.s
Untersuchungen erscheint die Untersuchung des Wortfeldes von
aedificatio als eines theologisch-theoretisch zentrierenden Begriffs der
Ausformulierung von Kirchenrecht (177ff). M. kündigt im Vorwort
eine Spezialuntersuchung zum Thema Ordnung - Gehorsam - Fleiß
- Sparsamkeit in der frühen Neuzeit (von 1500 bis 1800) an, die den
Verhaltensleitbildern nachzugehen verspricht, die sich in den im
vorliegenden Buch untersuchten Territorien auch im kirchlichen
Bereich immer wieder bemerkbar machen.

M.s Untersuchung ist so aufgebaut, daß sie zunächst chronologisch
-genetisch der Entwicklung in den einzelnen Territorien nachgeht
, dann eine Art vergleichende Verfassungssystematik erhebt, um
schließlich innere Struktur und gesellschaftlich-politisches Funktionieren
der Theorie kirchlicher Wirklichkeit zu untersuchen. Nassau
-Dillenburg erfährt bei der chronologisch-genetischen Darstellung
besondere Sorgfalt bis hin zur Verarbeitung umfangreichen
Archivmaterials und der Analyse wichtiger theoretischer Einzelschriften
. Diese Sorgfalt ist berechtigt angesichts der besonderen Verhältnisse
in diesem Territorium, sowohl was den Aufbau des Reformationswerkes
durch Erasmus Sarcerius, als auch, was die interessanten
Versuche des Anschlusses an westeuropäische reformierte Vorbilder
betrifft. In Nassau wurde auch erstmalig die Bezeichnung „reformiert
" als Konfessionsbezeichnung im Unterschied zu anderen Ausprägungen
der Reformation gebraucht.

Freilich wird, je mehr man Einzelheiten wahrnimmt und einzuordnen
versucht, um so undeutlicher, was nun eigentlich die Konfessionsbezeichnung
„reformiert" für die untersuchten Territorien
besagt. Die praktische Realisierung der Ämterlehre, die Kirchenzucht
oder die Definition des Verhältnisses von Kirche und Landesherr
besagen für „reformiert" als Unterscheidungsbegriff kaum noch
etwas. Auch die von M. geschilderte „für die territorialstaatlich
organisierten reformierten Kirchen typische Art der Traditionsbildung
" (170) ist bei Lichte besehen nicht typisch reformiert - auch die
zeitgenössisch-lutherische politische Ethik kann sich mit Melanch-
thon auf das Vorbild alttestamentlicher Könige und altkirchlicher
Kaiser berufen. Am ehesten dürften - darin ist M. (117) zuzustimmen
- in Bereichen neben der Theologie noch verpflichtend eingeführte
liturgische Veränderungen dafür signifikant gewesen sein.

Je ein Exkurs beschäftigt sich mit der „Politia Ecclesiastica" von
Wilhelm Zepper und dem ,,Kirchenbau"-Traktat von Bernhard
Textor.

M.s Untersuchung, die eine Fülle von interessanten und wichtigen
Beobachtungen und Analysen enthält, hat eine Grenze, die der Vf.
selbst mehrfach andeutet (122.139 Anm. 129.143.154): Aus dem von
ihm untersuchten Material läßt sich nur selten die kirchliche Wirklichkeit
erkennen. Sie zu erhellen, bleibt weiteren Arbeiten vorbehalten
, und u. U. fällt von solchen Arbeiten her noch einmal neues
Licht auf die kirchliche Verfassungstheorie - und vielleicht auch auf
den wirklichen Konfessionsstand.

Die Arbeit ist ausgezeichnet lesbar geschrieben und bemerkenswert
fehlerarm gedruckt. Hingewiesen sei nur auf den S. 26 Anm. 3 und
S. 227 ungenau zitierten Titel von J. Staedtke.

Leipzig Ernst Koch

Campenhausen, Axel Frhr. von: Neue Religionen im Abendland: staats-
kirchenrechtliche Probleme der Muslime, der Jugendsekten und der sogenannten
destruktiven religiösen Gruppen (ZEvKR 25, 1980 S. 135-172).

Ermecke, Gustav: Kirche - Naturrecht - Christliche Gesellschaftslehre und
deren Beitrag zur Überwindung der Krise des Rechtspositivismus nach dem
Zweiten Weltkrieg (ThGl 71, 1981 S. 49-62). .

Evers, Hans-Ulrich: Probleme des Datenschutzes zwischen Staat und Kirche
(ZEvKR25, 1980 S. 173-199).

Hesse, Konrad: Zur Frage der Vereinbarkeit eines Schulgebetes an ölTentlichen
Volksschulen mit Art. 4 I und II GG (ZEvKR 25, 1980 S. 239-259).

Das revidierte Kirchenrecht: Eine verpaßte Chance (Themaheft Concilium 17,
1981, Heft 8/9):

Provost, James: Der revidierte Codex Iuris Canonici (S. 534-539)
Huysmans, Ruud: Kirchenrechtliche Kritik an den Entwürfen zum neuen

päpstlichen Recht (S. 540-544)
Sobahski, Remigiusz: Die Codexreform aus polnischer Sicht (S. 545-548)
Khoury, Joseph: Die Bischofswahl in den Ortskirchen (S. 549-555)
Lengsfeld, Peter: Revidiertes Kirchenrecht - Ökumenisch betrachtet

(S. 556-560)

Komonchak, Joseph: Die Stellung der Gläubigen im neuen Kirchenrecht
(S. 561-567)

Green, Thomas: Die Verwendung der Texte des Zweiten Vaticanums im
Schema „De popolo Dei" (S. 568-575)

Rikhof, Herwi: Die Ekklesiologien von „Lumen Gentium", der „Lex Fundamentalis
" und des Schemas zum neuen Codex (S. 576-586)

Cody, Aclred: Die neuen Kanones über das Ordensleben nach dem Konzil
(S. 587-591)

Zapp, Hartmut: Traditionen der Kirchenordnung und der revidierte Codex
(S. 592-597)

Winniger, Paul: Kirchenrecht und Katholizität (S. 597-600)
Potz, Richard: Ist die Sprache des Codex-Entwurfes verständlich und zeitgemäß
?^. 601-605)
Zu einer Charta der Rechte der Katholiken in der Kirche (S. 606f).
Krämer, Peter: Was bringt die Reform des Kirchenrechts? (StZ 106, 1981
S. 651-659).

Lingncr, Olaf: ..Leuenberg" als Kriterium für die Auslegung von Bestimmungen
der Grundordnung der EKD von 1948 (ZEvKR 25, 1980 S. 337-369).

Meyer, Christian: Probleme des Datenschutzes aus der Sicht der kirchlichen
Verwaltung (ZEvKR 25, I980S. 199-239).

Meyer, Hans Philipp: Glaube. Bekenntnis. Kirchcnrccht 1530-1980
(JGNKG 78. 1980 S. 9-19).

Meyer. Hans Philipp: Kirchenleitung nach lutherischem Verständnis: zur
Auslegung von Confessio Augustana Art. 28 (ZEvKR 25. 1980 S. 115-135).