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1982

Kategorie:

Religions- und Kirchensoziologie

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 4

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Marhold, Wolfgang, u.a.: Religion als Beruf. Bd. I: Identität der
Theologen. Bd. II: Legitimation und Alternativen. Stuttgart-Berlin
-Köln-Mainz: Kohlhammer 1977. Je 232 S. m. Abb. 8* =
Urban-Taschenbücher, 625/626: T-Reihe. Kart, je DM 14,-.

Acht Autoren und Forscher (W. Marhold, U. Bußmann, T. Eikel-
mann, W. Fischer, E. Löschcke, H. Przybylski, M. Schibilsky, H. Sie-
mers) aus dem Institut für christliche Gesellschaftswissenschaften in
Münster, zusammen mit sieben weiteren Mitarbeitern und W. Marhold
als Projektleiter, haben zwischen 1971 und 1976 die Ergebnisse
dieser beiden Bände zusammengetragen. Ob sie sämtlich Theologen
oder Vertreter aus anderen Bereichen der Wissenschaft sind, ist nicht
klar ersichtlich.

Es geht um eine Motivationsforschung bei evangelischen und
katholischen Studenten, Vikaren und Pfarrern im Blick auf ihre
Bereitschaft, in der Kirche beruflich tätig zu werden, zu sein - oder
auch nicht. Besonders genau werden die „drei Dimensionen der religiösen
, beruflichen und politischen Sozialisation" (Bd. I, S. 12)
beachtet. Die Zahl der befragten evangelischen liegt wesentlich höher
als die der katholischen Theologen. Fast alle gehören zu der kritischen
Generation, wie sie vor einer halben Generation an den Hochschulen
der Bundesrepublik zu finden war.

Methodisch bewegen sich die Vf. im „Theorierahmen des Symbolischen
Interaktionismus" (S. II) und versuchen, „klassische Methoden
der empirischen Sozialforschung mit einem verstehenden Ansatz
zu verbinden" (S. 11). Neben postalisch versandten Fragebogen (1747
Versuchspersonen) kommen Gruppen- und Einzelinterviews zur
Anwendung.

Ziel der Arbeit ist nicht so sehr der Versuch, eine Handlungsorientierung
für Kirche oder Hochschule zu geben, sondern Erkenntnisse
zu vermitteln, um durch sie Hilfen für eine erst danach zu leistende
Studien- und Kirchenreform anzubieten. Die Untersuchung selbst
verhält sich hier äußerst zurückhaltend.

Band I liefert „Ergebnisse zu den verschiedenen Stationen und
Aspekten der theologischen Karriere" (Bd. II, S. 7), die auch eine
„Fülle von Inkonsistenzen" dieser Laufbahn sichtbar werden lassen.
Nach einer Einführung (I, S. 9-15) werden die „Dimensionen der
Identität" (S. 16-63) besprochen, denen eine empirisch soziologisch
gefaßte Definition des Identitätsbegriffes zugrundeliegt. „Der soziologische
Identitätsbegriff... stellt die Konstitution des Selbst dar als
einen interaktiven Prozeß des permanenten Aushandelns individueller
Bedürfnisse und gesellschaftlicher Erfordernisse" (S. 17). -
Methodische Hinweise folgen: „Von der Theorie zur Empirie"
(S. 64-103). - Und danach kommen allgemeine Sozialdaten der
Befragten in den Blick; z. B. Geschlecht (ca. 10 Prozent Frauen),
Alter. Familienstand, soziale Herkunft, Berufsabschluß oder nicht
(S. 104-1 16). - Dann kommt es zu der Frage: Wie wird man Theologe
? (S. 117-158). Religiös sozialisierte Angehörige und Teilnahme
an der Jugendarbeit sind Hauptgründe für die Aufnahme eines Theologiestudiums
. Negative Einschätzung der Theologie läuft dahin, daß
sie zu wirklichkeitsfremd und zu historisierend betrieben wird. Auch
werden die Sprachanforderungen als zu hoch angeschen. - Im nächsten
Abschnitt (S. 159-193) „Theologische Identität" werden ehemalige
Theologen befragt, die sich vollkommen distanziert haben,
aber auch solche, die theologisch wissenschaftlich oder religiös tätig
geblieben sind, ohne Pfarrer zu werden. Sic beurteilen sich in ihrer
Identität überwiegend ebenso positiv wie die im Beruf stehenden
Theologen. -Endlich werden Einstellungen von Theologen zu Kirche
, Gesellschaft und Politik, aber auch zur Christlichkeit bzw. zur
Kirchlichkeit zusammengetragen (S. 194-231).

Im II. Band, „Legitimation und Alternativen", werden die „subjektiv
erfahrenen Inkonsistenzen und ihre Bewältigung durch die Ausbildung
legitimierender Ordnungsfiguren dargestellt" (II, S. 7). Noch
stärker treten diejenigen in den Blick, die den Dienst in der Kirche
nicht angetreten oder aufgegeben haben. Zuerst kommen Legitima-
•ionsproblcme evangelischer (S. 7-43). dann katholischer Theologen

(S. 44-57) zur Sprache. Weiter werden Biographien ehemaliger Theologen
verfolgt unter dem Thema: Die Krise findet nicht statt
(S. 58-126). Es erfolgt in der Regel eine berufliche Umorienticrung,
die zufriedenstellt. Endlich kommen Gruppengespräche zur Auswertung
(S. 127-153), aus denen verschiedene Typen sozialer Identität
eines Christentums außerhalb der Kirche deutlich werden: Der
Theologe außerhalb der Kirche, der wahre Christ außerhalb der Kirche
, der freie Christ außerhalb der Kirche, der religiöse Atheist, der
Nicht-mchr-Christ, der politische Kirchenkritiker.

Leider ist es nicht möglich, alle Ergebnisse im einzelnen vorzuführen
, weil es zu viele sind, die freilich oft auch im Horizont möglicher
Erwartungen liegen. Ein Zitat für viele: „Professionelle Mitgliedschaft
in der Kirche vermittelt sich in erster Linie über Inhalte
und nicht über generalisierte Medien. Kirche als Organisation handhabt
ihre Instrumente zur Selektion und Substitution des professionellen
Mitgliederbestandes... sehr liberal, die Subjekte selbst
bestimmen über Eintritt und Austritt. Kritik an der Kirche als
Organisation allein ist allenfalls für 10% der ehemaligen Theologen
ein zentrales Motiv, die Berufslaufbahn zu wechseln. Bei weiteren
65 % erscheint sie als ein begleitendes Moment in einem breiten
Spektrum anderer... Ursachen . . . Partielle oder totale Kirchenkritik
linden sich aber auch unter den gegenwärtigen Theologen"
(S. 20). Es zeigt sich auch, daß nicht immer und so sehr allein „geistliche
", sondern vielfältige menschliche Beweggründe dazu führen,
daß Theologen Pfarrer werden, bleiben - oder auch nicht.

Am Ende des II. Bandes erfolgt eine Wiedergabc der „Fragebogen
mit den Ergebnissen" der Grundauszählung (S. 154-215). Ein ausführliches
Literaturverzeichnis von fünfzehn Seiten schließt die
Untersuchung ab.

Nach der etwas mühseligen Lektüre, bei der man sich durch eine
soziologische SpezialSprache und durch viele Tabellen hindurchwinden
muß, weiß man genauer, daß Theologen, im kirchlichen Dienst
oder nicht, mit ihrer jeweiligen Lebenssituation überwiegend zufrieden
sind und das gewiß auch kritisch gesehene Studium im Rückblick
dennoch mehr positiv als negativ bewerten. Ähnlich dürfte es bei den
ehemaligen bzw. gebliebenen Theologen im Bereich des Bundes der
Evangelischen Kirchen in der DDR stehen. Die Einstellungen katholischer
Theologen im gleichen Bereich sind mir freilich nicht
bekannt.

Berlin Friedrich Winter

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