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Ausgabe:

1982

Spalte:

287-288

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Meijering, Eginhard P.

Titel/Untertitel:

Calvin wider die Neugierde 1982

Rezensent:

Gloede, Günter

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287

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 4

288

Menschen wird der prädeterminierende Hintergrund des heilsuchenden
Menschen abgeblendet. "Only the individual who regards him-
self as a 'lost' soul can understand and reach for the justifying grace.
... At the same time we can note that the hidden grace which can
only be grasped by faith is represented as a universal offer. The parti-
cularistic predestination is brushed aside" (171). Meinholds Feststellung
, daß „der deus incarnatus und der deus absconditus identisch
sind", ist richtig, bedarf aber der Ergänzung: "But if Luther thinks of
deus absconditus as the God who imposes necessity on man and im-
mutably works all in all, then we must say that deus absconditus con-
tributes certain metaphysical attributes which do not come from the
revelation of Christ and cannot be directly identified with deus reve-
latus" (182 Anm. 14). Iwand hat zutreffend sowohl „die Antinomie
als auch die Einheit" in Luthers Gottesbegriff beschrieben: „Und so
hat die Prädestination für Luther ein Doppelgesicht, so daß sie dem,
welcher sie nur mit dem natürlichen Auge ansieht, das Bild eines
grausamen, eines die Menschen blind dahingehenden Gottes bietet,
der gefühllos die einen stürzen, die anderen steigen läßt, während sie
sich dem, der ihr im Glauben begegnet, öffnet und ihn hineinläßt in
ihr innerstes Geheimnis und dieses sich dann enthüllt - eben als das
Geheimnis der Erwählung Gottes in Jesus Christus" (207 Anm. 47).

Heilsgewißheit im rechtfertigenden Glauben und Erwählungsge-
wißheit sind gleicherweise der Spannung zwischen der unwandelbaren
fides quae creditur und der nach dem donum perseverantiae sich
sehnenden fides qua creditur ausgesetzt. Der Christ bleibt ganz auf
dieses immer neu zu erbittende donum angewiesen. Darum ist er
„simul certus et incertus" (187). "Thus, in the certainty and incer-
tainty of the idea of election, we have a clear equivalent to the simul
justus et peccator of the doctrine of justification" (188f).

Die Untersuchung von Brosche ist dadurch gekennzeichnet, daß sie
eine christologisch und soteriologisch verengte Deutung des theologischen
und philosophischen Gottesbegriffs Luthers überwindet und
den Befund positiver als bisher in die Spätscholastik einbettet. Es ist
aber auch bemerkenswert, daß Linien gezeigt werden, die von Luther
zu Calvin mit seiner doppelten Prädestination und zum Syllogismus
practicus führen (z. B. lOOf, 184, 194ff). Die hier bestehenden Unterschiede
sind angedeutet, aber nicht näher ausgeführt. Das unterstreicht
den theologiegeschichtlichen Wert der Arbeit und ihre ökumenische
Offenheit. Ferner beeindruckt die Konsequenz, mit der
Luther seine philosophischen und exegetischen Erkenntnismittel auf
den in der Hl. Schrift und im Alltag an uns handeinen Gott als das
schicksalhafte Rätsel allen Menschenlebens und zugleich als den alle
Menschen zum rettenden Christusglauben Rufenden anwendet. Damit
ist in einer von humanistischer Anthropologie und christlichem
Heilsoptimismus bestimmten Lage auf sachlich begründete Weise die
widersprüchliche und doch als Einheit erfahrbare Wirklichkeit des
allmächtigen Gottes, des Vaters Jesu Christi ganz ernst genommen.
Der Gottesglaube Luthers bezeugt eine aus der gesamten Bibel gespeiste
Erkenntnis, die gerade den stiefmütterlich behandelten Artikel
von der doppelten Prädestination als Voraussetzung des universalen
Heilsangebots Gottes in dem gekreuzigten Christus stets neu in Kraft
setzt.

Hildesheim August Kimme

Meijering, E. P.: Calvin wider die Neugierde. Ein Beitrag zum Vergleich
zwischen reformatorischem und patristischem Denken.
Nieuwkoop: de Graaf 1980. 122 S. gr.8' = Bibliotheca Humanistica
& Reformatorica, 29. Lw. hfl 55.-.

Der Vf. stellt sich in einem kurzen Vorwort als Glied der Remon-
stranten-Gemeinde (von denen es heute etwa 30 in den Niederlanden
gibt) in Leiden-Oegstgeest und als Schüler von Prof. Lambert J. van
Holk vor. Er hat seit 1974 bereits fünf Publikationen veröffentlicht
(zumeist bei E. J. Brill, Leiden) über spezielle Thematiken der Patri-
stik, so den Piatonismus bei Athanasius, Tertullians Gotteslehre contra
Marcionem, Augustin über Schöpfung, Ewigkeit und Zeit. Man
erkennt in diesen Arbeiten Vorarbeiten zu dieser neuen, in der er Irenaus
, Tertullian und Augustin in präzisen Zitaten (die in vollem
Wortlaut gebracht werden) in Vergleich setzt zu dem, was Calvin
über Gott im Allgemeinen, als Schöpfer, Erwähler und Gebieter
(31-70) und dann über Christus herausarbeiten will, wieder untergliedert
in: Zeitpunkt der Christusoffenbarung, das Werk und die Person
Christi (71-99). Auf den letzten zehn Seiten werden eine sehr übersichtliche
Zusammenfassung der Ergebnisse und Schlußbetrachtungen
geboten. Ein Register der zitierten Stellen der alten und modernen
Autoren nach ihren Büchern und Begriffen folgt. Auf eine im Erscheinen
begriffene Arbeit von T. Nieuwenhuis-Groningen über Calvin
und die mittelalterliche Theologie wird verwiesen (29). Denn
auch der Nominalismus und Gerson werden in Zwischenabschnitten
behandelt.

In Irenäus findet Vf. einen echten Gesinnungsgenossen Calvins,
denn dieser tadelt an den Gnostikern ihre „Spekulationen" - das
wäre mit „curiositas" das vom Vf. gemeinte Synonym für „Neugierde
" -, da sie die in der Heiligen Schrift gebotenen Grenzen hier
weit überschreiten. Bei Tertullian kommt eine andere Komponente
hinzu, da dieser sich mehr an die „regula fidei" als Norm hält, da
Kämpfe mit Gegnern über Bibelstellen diese leicht in Mißkredit bringen
kann. Bei ihm steht also das spätere Element, die „Tradition",
bereits im Mittelpunkt, so daß Calvin ihn zwar zitiert, aber sich doch
auch von ihm distanziert. In der reformatorischen Hauptlehre von
der Rechtfertigung des Sünders und Gottes Gnade in Jesus Christus
steht Calvin der Vergottungslehre des Irenäus entfernt, aber einem
Augustin am nächsten. Auch seine (und Luthers) Erwählungslehre
hat in Augustin den fundamentalen Wurzelboden. Der Vf. weist aber
bei seinen Spezialthemen nach, daß Calvin über die Schrift als norma
normans hinaus Augustin nicht auf seinen weiterführenden Gedankengängen
(besonders philosophischer und Natur-Erkenntnisse, also
via „Vernunft") oder nur sehr bedingt Folge leistet, die aber Vf. in seinen
Schlußbemerkungen heute für unumgänglich nötig hält. Denn
das „sola scriptura" als Strukturprinzip der Reformation führt heute
bei Einsicht in die historische Differenziertheit der biblischen Zeugen
nicht mehr zu eindeutigen Aussagen, sondern muß in eine uns verständliche
und unserer Zeit entnommene Denkweise „übersetzt"
werden, ist also ohne eine über den Verbalbestand der biblischen
Zeugen hinausgehende Interpretation nicht mehr ausreichend. Unter
Berufung auf die dogmatischen Bemühungen von Karl Barth und
Emil Brunner mündet diese dogmengeschichtlich höchst präzise
Arbeit ein in die Gegenwartsaufgabe moderner Theologie.

Für die Einzelpositionen zu den obengenannten Themen bei den
vier Hauptautoren findet man (auch dank der Register) hilfreich genaue
Auskünfte, so daß die Arbeit des Vf. Eingang in die Arbeitsbibliotheken
der Theologiestudenten beider Hauptfakultäten verdient.
Sie ist erneut ein Beweis dafür, daß die Reformation „nichts Neues",
sondern Weiterführung aus mancherlei Irrungen und Wirrungen
scholastischer Theologie bringen wollte.

Berlin Günter Gloede

L'actualite de Lamennais. Colloque de La Tourette 2-4 juin 1978.
Preface par J. Lacroix. Strasbourg: Cerdic 1981. 1973 S. 8' =
Recherches Institutionnelles, 6. Kart, ffr 65.-.

Einleitend betont J. Gadille die Aktualität des Abbe de Lamennais
und erinnert daran, daß die katholische Kirche in ihm einen
Mann verurteilte, der ihr meist gehörter Apologet war. J. Lacroix
bietet einen Lebenslauf, der u. a. die Beziehungen zu Montalambert
und Metternich im Blick hat. Es folgen die Referate, die 1978 auf
einem Colloquium gehalten worden sind: P. Guiral, L'actualite de
«L'Avenir» (21-30); L. Le Guillou, Les vraies raisons de la con-
damnation de Lamennais par le Saint Siege (37-45); J. Gadille,
Lamennais «instituteur» de la democratie (52-65); F. Rüde, Les in-