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Ausgabe:

1982

Spalte:

260-261

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Eikon und Logos 1982

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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259

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 4

260

(„gebauten") Buchschriften, die kursive dem ganzen Spektrum der
Bedarfsschriften angemessen ist. Die Entwicklung der im folgenden
behandelten Schriftarten erklärt der Vf. immer wieder dadurch, „daß
in den kursiven .gezogenen' Schriften die entscheidenden Veränderungen
vor sich gehen und die neuen Formen Zustandekommen" und
sich die Kursivschriften dann den Erfordernissen der Buchschriften
durch Kalligraphierunganpassen.

Der Beschreibung Von Herkunft und frühen Formen der lat. Schrift
folgen Kapitel über die Alphabete der Monumentalis (Capitalis qua-
drata) und der kanonisierten Capitalis (traditionell Cap. rustica genannt
). In gleicher Weise werden Entstehung, Verbreitung, Wirkungsdauer
, Sonderformen usw. der älteren und jüngeren römischen
Kursive, der Unziale und der beiden Halbunzialschriften dargestellt.
Die mit 1 I Abb. versehenen Ausführungen über die lat. Schrift im
Altertum beschließen Kapitel über die Kombination verschiedener
Schriftarten (Auszeichnungsschriften) und die Tachygraphie.

Die im Vorwort vom Vf. genannte Absicht, zu kontroversen Fragen
der älteren Paläographie Stellung zu nehmen und Lösungen anzustreben
, bezieht sich zumindest auch auf die ersten Jahrhunderte
des Mittelalters (S. 107-191). Auch hier schreitet er vom Beschreiben
der Veränderungen einzelner Buchstaben oder ihrer Teile zur
Gegenüberstellung der Entwicklungen in verschiedenen Ländern,
Regionen, Skriptorien und in einzelnen Zeitabschnitten fort. Ausgewogen
und lehrreich folgen die mit 16 weiteren Abb. veranschaulichten
Kapitel über lat. Schrift in Irland, angelsächsische Schrift,
westgotische und Sinai-Schrift, Entwicklung zur Minuskel in Italien
und im Frankenreich, Beneventana, Vollendung und Durchsetzung
der karolingischen Minuskel, Schriftentwicklung vom späten 9.-12.
Jh., gotische Textura, gotische Kursive (womit der Vf. seine frühere
Bezeichnung als Notula präzisiert, S. 175) und Bastarda, humanistische
Schrift.

Wer öfter mit Handschriften (naturgemäß überwiegend des Spätmittelalters
) umzugehen hat und sich dabei mit Schriftbestimmungen
und Fragen der Terminologie konfrontiert sieht, wird diese Ausführungen
besonders schätzen. Eventuell sähe mancher gerne die gotischen
Schriften noch stärker berücksichtigt, auch bei den Abb.; denn
dort fehlt - außer der „Vorfraktur" - vor allem ein Beispiel der
S. 175, 179f dargestellten gotischen Buchkursive, der neben der Textura
die Bastardaschriften ihre Herkunft verdanken. Doch mildert
diesen Wunsch vielleicht der 3. Abschnitt (S. 192ff), der unter der
Bezeichnung „Ergänzendes" gerade zum spätmittelalterlichen
Schriftwesen noch Wichtiges beiträgt. Dem Kapitel über Abkürzungen
und ihre Geschichte werden die wichtigsten Erscheinungen bei
der Bildung von Abbreviaturen angefügt („Formen und Methoden
der hoch-und spätmittelalterlichen Abkürzungen", S. 200-213), es
folgen Interpunktion und Verwandtes, musikalische Notation, Zahlzeichen
(mit 1 Abb.) und Geheimschriften.

Nach Behandlung der Kodikologie und Paläographie wird im folgenden
noch einmal der Lauf der Jahrhunderte vom römischen und
christlichen Altertum bis zum Spätmittelalter durchschritten unter
dem Gesichtspunkt (C.) „Die Handschrift in der Kulturgeschichte"
(S. 226-298). Von Disposition und Materialfülle her erscheint dies
als sehr einleuchtend; denn der erneute Gang ermöglicht dem Vf. die
Entlastung der beiden vorigen Teile, die dadurch klar und übersichtlich
wirken können. Andererseits kann er nun eine Vielfalt kulturgeschichtlicher
Aspekte im Hinblick auf die antike und mittelalterliche
Hs. auf der Basis des bereits Dargestellten behandeln. Beispielsweise
wurde bei Erörterung der Schreibstoffe Papyrus und Pergament
(S. 19ff) fast ausschließlich vom Material, seinen Eigenheiten, Verwendungsmöglichkeiten
usw. gesprochen; jetzt wird ausgeführt, welche
kulturgeschichtliche Bedeutung es hatte, daß (spätestens im
4. Jh.) im Abendland ein Übergang von der Papyrus-Rolle zur Form
des Kodex und gleichzeitig zum Pergament erfolgte (S. 228): „Die
Rollen verschwanden aus den Bibliotheken, und für die alte Literatur
war die Folge, daß das rechtzeitige Umschreiben in die neue Form
darüber entschieden hat, in welcher Auswahl sie an spätere Jahrhunderte
gelangen sollte." Und: „Für uns beginnt mit diesem Wechsel im
Buchwesen das Zeitalter der abendländischen Buchschriften."

In diesem vielseitigen kulturgeschichtlichen Abriß finden durchgängig
Buchschmuck und Buchmalerei aller Epochen, Länder und
Regionen Beachtung (mit Erwähnung vieler Bibel-Hss.), wobei der
Vf. die führenden klösterlichen Skriptorien und Malerschulen jeweils
charakterisiert und ihre Verarbeitung traditioneller Motive und
Techniken sowie die Weitergabe neuer Entwicklungen hervorhebt.

Spätestens hier wird deutlich, daß sich hinter dem Titel dieses Buches
viel mehr verbirgt, als sich zunächst annehmen läßt. Es ist für jeden
interessierten Leser verständlich geschrieben und gewiß nützlich;
darüber hinaus aber erfüllt es wichtige speziell wissenschaftliche Aufgaben
, indem es in den sehr zahlreichen Anmerkungen nicht nur die
fachliche Diskussion weiterführt, sondern auch eine Fülle einschlägiger
Belege und Literaturhinweise vorlegt. 28 Abb. veranschaulichen
den Text, doch sind das nicht Fotos aus einzelnen Hss., die als Beispiele
der besprochenen Schriftgenera dienen. Der Vf. hat einen
anderen Weg gewählt und aufgrund seiner langen Erfahrung typische,
„normalisierte" Alphabete einzelner Schriftarten beigegeben. Der
Vorteil für den Leser besteht darin, daß er nun nicht aus einer Abb.
die (mehr oder weniger) signifikanten Einzelbuchstaben herausfinden
muß, sondern daß ihm vollständige Alphabete als Schriftproben angeboten
werden. Zusätzlich verweisen Anmerkungen sehr oft auf
Tafelwerke, Faksimile-Ausgaben u. ä. mit genauen Stellenangaben.

Für Forschung und Handschriftenpraxis hilfreich sind neben dem
„Verzeichnis der abgekürzt angeführten Literatur" (6 S.): das eigentliche
Literaturverzeichnis (eine systematisch angeordnete Auswahlbibliographie
weiterführender Literatur [25 S.] in 22 Gruppen), ein
Register der zitierten (zeitgenössischen) Autoren, Namen- und
Sachregister (16 S.), ein Register der zitierten Hss. (das sind in Text
und Anm. zusammen bald 600 Hss. in mehr als 150 Aufbewahrungsorten
zahlreicher Länder!); ein Register der Texte beschließt den
Band. - Es ist dem Vf. sehr zu danken, daß er seine langen paläo-
graphischen und kodikologischen Forschungen und Erfahrungen zusammengefaßt
und zu einem Lehrbuch des gesamten Arbeitsgebiets
der Handschriftenkunde erweitert hat, das in klarer und anschaulicher
Darstellung eine seit langem empfundene Lücke füllt.

Düsseldorf Gerhard Karpp

[Onasch, Konrad:] Kikon und Logos. Beiträge zur Erforschung byzantinischer
Kulturtraditionen, hrsg. v. H. Goltz, Bd. I u. 2, Bildtafeln
. Halle (Saale): Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
1981. 343 S., 29 Taf. 8° = Wissenschaftliche Beiträge 1981/35
(K6).

Zur Vollendung des 65. Lebensjahres wurde dem Hallenser Forscher
Konrad Onasch eine 2bändige Aufsatzsammlung gewidmet.
Der Herausgeber H. Goltz, ein Schüler des Jubilars, der auch schon
an dessen Bibliographie beteiligt warfThLZ 106, 1981 Sp. 613-622),
stellt zu Beginn des Vorworts fest: „Die Bedeutung von EI KON ist
mindestens ebenso breit und vielschichtig wie die von LOGOS, noch
mehr verwirrend die Unmenge der Kombinationsmöglichkeiten beider
aufgefächerter Begriffe." Die Vielfalt der Beiträge kann man verstehen
als ein Zeichen für „den weitgespannten Horizont im bisherigen
wissenschaftlichen Werk von Konrad Onasch" (5). Die Autoren
und Themen der 22 Beiträge seien genannt:

Sergej Awerinzew. Moskau: Zu den Ethopoiien des Nikephoros Basila-
kes; Viktor V. Bykov, Moskau: Tri tendencii ponimanija obraza v rannej
srednevetkovoj estetike; Haps Dieter Döpmann, Berlin: Überlieferungen
zur Troerucica; Erich Donnert, Halle (Saale): Über Literatur, Weltbild und
Geschichtsbetrachtung im Kiever RuUland; Ivan Dujcev, Sofia: Theodoras
als Bezeichnung für einen Ncophytos. Beitrag zur byzantinisch-slavischcn Geistesgeschichte
; Viktor H. Elbern, Berlin (West): Eine wiedergewonnene
nordrussische Ikone mit dem „Einzug Christi in Jerusalem"; Hubert Faen-
sen, Berlin: Architektonische Motive der Kiewer Sophien-Kathedrale; Dietrich
Freydank, Halle (Saale): Die Ermordung Glebs. Variationen eines