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Ausgabe:

1982

Spalte:

228-231

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Affolderbach, Martin

Titel/Untertitel:

Kirchliche Jugendarbeit im Wandel 1982

Rezensent:

Henkys, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 3

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daher hat sich der Presbyter zu verstehen, der als Hirte im „fürsorg-
lichen.Einsatz" (S. 26) zu wirken hat. „Hier ist Mitte und Höhepunkt
aller neutestamentlichen Aussagen über das Vorsteheramt" (S. 24).
Der Hirte lebt vor Ort, während der „Verwalter des Evangeliums",
dargestellt an Paulus, „hauslose Wanderdienste" (S. 29) wahrnimmt.
Beide Gestalten des Dienstes, der „häusliche" und der „hauslose",
sind im Presbyteramt der Kirche zusammengeflossen, das allerdings
durch den Dienst eines „Gefangenen im Herrn" (S. 34) überboten
wird. Paulus, „kontaktlos und funktionslos" (S. 35) im Gefängnis,
wird zum Vorbild für den heutigen Diener, der „weltweit... eingeschlossen
in einen Säkularismus (lebt), in die Welt eines Unglaubens,
eines praktischen und theoretischen Materialismus, in eine Luft der
Transzendenzlosigkeit, die Christen den Atem verschlagen können"
(S. 35). „Und wer heute Theologen, die sich zum Presbyter berufen
glauben, auf ihre Intention und Eignung hin prüft, muß fragen, ob die
Bereitschaft und Fähigkeit des Simon von Cyrene festzustellen sind"
(S. 40).

Der zweite Vortrag, „Spirituelle Aspekte unseres Presbyterdienstes
" (S. 41-63), setzt nicht biblisch, sondern dogmatisch trinitarisch
ein. Analog zum trinitarischen Geschehen in Gott lebt der Presbyter
seine Spiritualität. „Der Vater ist der Dahingehende und (sich selbst)
Übergebende (der traditor), der Sohn der Dahingegebene (traditus)
und Sichhingebende, wobei die beiderseitige Hingabe (traditio) der
Heilige Geist ist" (S. 42). Dieser spekulative Versuch, die Trinität
vom Grundbegriff des Gebens her zu verstehen, bleibt eindrücklich
und befremdlich zugleich, auch wenn seine existentiale Interpretation
mit wesentlichen Einfällen einleuchtet. Gottes Wille geschieht als
Liebe gegenwärtig, anders steht es bei uns. Wir hängen der Vergangenheit
nach. „Die akedeia ... dürfte das Haupthindernis in unserem
seelsorgerlichen Wirken sein, wohl auch in vielen Fällen der
Hauptgrund der Aufgabe von Priesterberufen und eine nicht unwichtige
Hemmung, die uns unfähig macht, in unseren Jugendlichen geistliche
Berufungen wecken zu helfen" (S. 51).

„3. Gottes Wille im Tagewerk" (S. 64-84): Falscher Umgang mit
der Zeit, tiefsitzende Unruhe, Fernsteuerung durch die eigene Anlage,
durch Geltungsdrang und Genußsucht sind Symptome für „das unerleuchtete
ichhafte Tun" (S. 67). Dagegen zählt Vf. Regeln und Wege
auf für „das erleuchtete liebende Tun" (S. 71). Da wird manches an
pastoraler Weisheit laut, die so seltener oder kaum anderswo zu lesen
ist.

In dem Vortrag „Der Presbyter von morgen. Ein utopischer Orientierungsversuch
im Heute" (S. 85-127) entwirft Vf. aus eschatologi-
scher, biblischer Zukunftshoffnung Utopien für die Kirche als ganze,
um daraus Konsequenzen für den Dienst des Presbyters abzuleiten.
Dieser wird wie die Kirche selbst „brüderlich unter Brüdern und als
Mensch unter Menschen, aber als .Geistlich-Geistlicher', solidarisch
mit den Deklassierten, nicht von der Welt mitten in der Welt als Tor
um Christi willen und eingedunkelt im Licht" (S. 127) leben und sein.
Mit dem letzten Aspekt ist gemeint, daß der Pfarrer der Zukunft nicht
durch charismatische Sondererleuchtung herausgehoben existieren,
sondern unter der Abwesenheit Gottes zu leiden haben wird. Das hält
er aus in der schweigsamen Kirche, die „dunkle Kontemplation und
stellvertretendes Sich-Hinhalten" (S. 123) Passion leben wird. „Der
Presbyter der Gemeinden von morgen ... wird als .Nachtfalter' leben
müssen: lebt er doch (1) in der Finsternis einer Welt, in der Gott nicht
mehr epiphan ist, weil sein leises Licht die säkulare Selbstabschirmung
der Menschen nicht mehr durchbrechen kann. (2) Er wirkt
in einem dunklen Kirchenraum, der verstellt ist von geistigem Ge-
rümpel der Jahrhunderte... In der Verkündigung klappert es von
Formeln und unverständlichen Metaphern" (S. 125). Aber „wir
werden wieder Bilder haben; unsere Verkündigung wird Osterjubel
sein"(S. 126).

Abschließend ist eine Primizpredigt zu lesen, die, biblisch durchsättigt
, dem Berufenen Auftrag und Verheißung ansagt (S. 128-136). •

Die Anmerkungen zeigen, daß Vf. neben katholischen auch evangelische
Exegeten, Theologen und Bischöfe zitiert (S. 137-144).

Eindrücklich ist es, wie dieses Büchlein geistliche Impulse zum
Selbstverständnis von Kirche und Pfarrerstand in unserer Zeit ökumenisch
weit vermittelt. Exegetische und dogmatische Überlegungen
werden mit geistlichen Erfahrungen verbunden und können zu pasto-
ralen Hilfen für den werden, der heute den Dienst des „Presbyters"
tun will. Auch evangelischen Pfarrern ist die Lektüre zu empfehlen.

Berlin Friedrich Winter

Praktische Theologie:
Katechetik/Religionspädagogik

Affolderbach, Martin: Kirchliche Jugendarbeit im Wandel. Analysen
zur Bibelfrömmigkeit. Mit einem Nachwort von Hermann Steinkamp
. München: Kaiser; Mainz: Matthias-Grünewald-Verlag
1977. 274 S. = Gesellschaft und Theologie. Abt.: Praxis der Kirche,
26. Kart. DM 33,-.

Affolderbachs Bonner Dissertation (1976) zu besprechen liegt mir
aus zwei Gründen besonders nahe: Es handelt sich um einen der
immer noch seltenen Beiträge theologischer Forschung zum Praxisfeld
Jugendarbeit. Es handelt sich außerdem um ein Werk, das eine
einst von mir selbst verfolgte Fragestellung (J. H., Bibelarbeit, 1966;
vgl. dazu D. Mendt ThLZ 92, 1967 Sp. 629-631) weiterführen und
dabei korrigieren und präzisieren will. Es sei mir erlaubt, mit einem
Vergleich beider Bücher zu beginnen.

In beiden Untersuchungen kommt das Ganze der evangelischen Jugendarbeit
in den Blick, und zwar unter der Perspektive des für sie bezeichnenden
Bibelverhältnisses. Beidemal ist der geschichtliche
Wandel thematisch, dem das Bibelverhältnis der an der Jugendarbeit
Beteiligten unterworfen ist. Beide Bücher schließlich laufen auf einen
zusammenfassenden Schlußteil hinaus, in dem es um eine „Theorie
der Bibelverwendung" (so A. in Teil V) geht: Eine solche Theorie
wird von beiden Verfassern für möglich und nötig gehalten, aber
nicht ausgearbeitet, sondern durch entsprechende Überlegungen nur
vorbereitet.

Bei so deutlicher Gemeinsamkeit kommt alles auf die Unterschiede
an, und die sind freilich noch augenfälliger. Während ich mich auf die
Entwicklung der evangelischen Jugendverbände zwischen den Kriegen
konzentriere (unter Einschluß ihrer Vorgeschichte), bearbeitet A.
den Zeitraum 1945 bis 1975 (aber nur im BRD-Bereich). Während
mein Interesse vorrangig jenem Qualitätsumschlag des Umgangs mit
der Bibel gilt, der durch den damals neuen Terminus „Bibelarbeit"
angezeigt wird, will A. insbesondere die beim Bibelumgang der Jugendleiter
und Jugendlichen bevorzugten Inhalte verfolgen. Die wesentlichste
Differenz ist damit aber noch nicht genannt. Sie liegt im
Wissenschaftsmethodischen, nämlich in der Art und Weise, wie
Sachverhalte aus einem bestimmten Ausschnitt religiös verantworteter
Sozialität aufgesucht, namhaft gemacht, gedeutet und in theologische
Lehre einbezogen werden. A. schreibt in einer Phase praktischtheologischer
Forschung, von der aus betrachtet die wissenschaftstheoretisch
nur schwach reflektierte Verknüpfung von Empirischem
und Dogmatischem, wie sie in den ersten beiden Nachkriegsjahrzehnten
noch häufig anzutreffen war, vergleichsweise naiv anmuten muß.
Mit scharfsinniger Eleganz handhabt A. Forschungsansätze und
-ergebnisse aus den Sozialwissenschaften, insbesondere aus der
„Methodik der funktionalen Analyse" und der „Theorie sozialer Systeme
" (65), um sie für die Hypothesenbiidung und Materialauswertung
in seinem Spezialbereich fruchtbar zu machen. Sein Buch
repräsentiert die neue Qualität der interdisziplinär rechenschaftsfähigen
Wissenschaftlichkeit Praktischer Theologie. Das kann ich
nur mit großem Respekt wahrnehmen. Aber ob diese Art der Wissenschaftlichkeit
für die kirchliche Praxis wirklich mehr leistet als ein
Durchsichtigmachen relativ abgeschlossener Verläufe und verbleibender
Abhängigkeiten, ob sie also dazu hilft, daß der kritische und
konstruktive Beitrag, der für die Praxis von der Theologie selbst zu