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Ausgabe:

1982

Spalte:

216-217

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Panarion haer. 34 - 64 1982

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 3

216

fach aus einer im Archiv befindlichen „Selbstdarstellung" Albert
Schweitzers aus dem Jahre 1926 zitiert wird, die in der dritten Person
abgefaßt ist, ohne daß Auskunft darüber gegeben wird, in welchem
näheren Verhältnis sie zur gedruckten „Selbstdarstellung" steht, die
in der ersten Person abgefaßt und von Schweitzer am 20. August
1928 abgeschlossen wurde und als Grundlage für die am 7. März
1933 vollendete Selbstbiographie „Aus meinem Leben und Denken"
diente.

Im Sinne der Förderung der wissenschaftlichen Diskussion möchte
ich meiner Freude über das Erscheinen der so anregenden Monographie
von Erich Gräßer dadurch Ausdruck geben, daß ich zu zwei
Punkten kritische Rückfragen stelle:

(1) Gegen Ulrich Neuenschwander, den so früh verstorbenen Herausgeber
der „Straßburger Predigten" Albert Schweitzers, der sie im
Epilog dahingehend charakterisiert hatte, „daß Albert Schweitzer gerade
nicht das Gesetz, sondern das Evangelium predigt", wobei
Neuenschwander ausdrücklich die Serie der Predigten über die „Ehrfurcht
vor dem Leben" aus dem Jahre 1919 ausnimmt, vertritt Gräßer
die Auffassung, daß Schweitzer „das neutestamentliche Begründungsverhältnis
von Indikativ des Heils und Imperativ des Tuns...
umgedreht" habe. „Das Evangelium vom gnädig zuvorkommenden
Gott wird in diesen Predigten kaum laut" (S. 223). Diese Kritik an
Neuenschwander bzw. Schweitzer ist zwar keineswegs völlig unbegründet
, es ist vielmehr im Gegenteil zuzugeben, daß Schweitzer
„moralisch", wenn auch „nicht ,moralistisch"' gepredigt hat (S. 222)
und daß ein christologisch begründeter Indikativ bei ihm höchstens
sehr verdeckt eine Rolle spielt. Aber das bedeutet nicht, daß Schweitzer
das Verhältnis von Indikativ und Imperativ schlechthin umgedreht
hätte, vielmehr geht er zwar nicht vom „Indikativ des Heils"
aus, dafür aber von dem, was man den „Indikativ der Schöpfungsgnade
" nennen könnte. Es ist ein Grundgedanke für ihn, daß Gesundheit
, Kraft, Glück usw., daß unsere Gaben und Kräfte nichts Selbstverständliches
, vielmehr Geschenk sind, für das wir daher den Dank
der Tat schulden. Gräßer fügt den bisher schon bekannten zahlreichen
Äußerungen Schweitzers in dieser Richtung einen von ihm
selbst als „charakteristisch" bezeichneten Satz aus einer Archiv-
Predigt Schweitzers über Psalm 50,14-15 vom 5. 6. 1902 hinzu: „Es
will einem manchmal scheinen, als ob die alten Völker, mit allen
ihren falschen, ungeistlichen Vorstellungen von Gott, doch in einem
uns an Frömmigkeit überragt haben, in dem Gefühl des Dankes gegen
Gott" (S. 214, Anm.). Man kann sicher sagen, Albert Schweitzer hat
innerhalb und außerhalb seiner Predigten eine denkende Frömmigkeit
dankbaren Dienstes vertreten, die durch das Stichwort „Ste-
wardship" treffend charakterisiert wäre.

Aber spielt nicht in der Haushalterschaftstheologie, auch soweit sie
sich am ersten Artikel orientiert, notwendigerweise ein Indikativ eine
entscheidende, tragende Rolle? Es ist kein Zufall, daß Groos
(S. 746ff) im Anschluß an Kerler und Port in eine Diskussion darüber
eintritt, ob die von Schweitzer so stark artikulierte Dankbarkeit überhaupt
eine Tugend und berechtigt sei, um sie nach einigen Reduktionen
als „letzten sublimen Rest der religiösen Einstellung" dann doch
zu befürworten (S. 748). Dankbarkeit, so urteilt W. Lütgen u. E. zu
Recht, „ist der Anfang aller Religion: ,des alles ich ihm zu danken
und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin'.
Das ist für Luther die Religion, die aus dem Schöpfungsglauben folgt.
Ebenso ist für Paulus Dankbarkeit für die Wohltaten des Schöpfers
die erste religiöse Pflicht und Undankbarkeit die Urschuld des Menschen
(Rom 1,21)" (Schöpfung u. Offenbarung, 1934, S. 382).

(2) Gräßer betont mehrfach in unterschiedlichen Wendungen, daß
„die Versöhnung von Denken und Glauben" das „theologische
Lebensprogramm" Schweitzers gewesen sei (S. 25) und stellt bei der
Darlegung der bleibenden Bedeutung der Theologie Schweitzers den
dritten, abschließenden Abschnitt - wie bereits erwähnt - unter die
Überschrift „Die Denknotwendigkeit der Grundideen des Christentums
oder die Versöhnung von Theologie und Philosophie". Damit
ist, wie Albert Schweitzers Äußerungen zu verschiedenen Zeiten und

bei verschiedenen Gelegenheiten hervorgeht, ein entscheidendes,
wenn nicht das entscheidende, grundlegende Anliegen Schweitzers
getroffen, der die Bahnung des Weges vom Denken zur Religion als
„mein Werk", „mein(en) Beruf bezeichnen kann, so in einem von
Gräßer zitierten Archivbrief vom 12. Oktober 1923 an Martin Werner
: „Die tiefsten Überzeugungen des Christentums sind denknotwendig
. . . Mein Beruf ist, diesen Gedanken der Denknotwendigkeit
der Grundideen des Christentums zu Ende zu denken und zu erweisen
, daß alles consequente Denken religiös und ethisch wird! Eine
unausgesprochene, schlichte Christlichkeit umschwebt meine Philosophie
..." (S. 260). Harald Steffahn hat dieses Grundanliegen
Schweitzers durch den treffenden Vergleich veranschaulicht: „Er holt
nur philosophische Ersatztruppen zur Stabilisierung der religiösen
Front. Denn: ,Mein Werk sehe ich darin, das Religiöse nicht weiterhin
als einen Enthusiasmus, der einigen verliehen, anderen nicht verliehen
ist, gelten zu lassen, sondern den Weg vom Denken zur Religion
zu bahnen ..."' (Albert Schweitzer in Selbstzeugnissen und
Bilddokumenten dargestellt, 1979, S. 99).

Aber Gräßer bringt die konkreten Konturen dieses religionsphilosophischen
Programms Schweitzers nicht wirklich zusammenhängend
zur Darstellung, vielleicht weil Schweitzer selbst nie mehr
dazu gekommen ist, sich ausführlich, systematisch-theologisch dazu
zu äußern. Um so dienlicher wäre es gewesen, die diesbezüglichen
Äußerungen Schweitzers zu systematisieren und zu interpretieren. Es
ist schade, daß Gräßer zwar gelegentlich aus Schweitzers Vortrag von
1922 „das Christentum und die Weltreligionen" zitiert, aber ausdrücklich
auf eine zusammenhängende Darstellung dieser Schrift verzichtet
(S. 195, Anm.), denn u. E. liegt gerade in diesem Vortrag das
religionsphilosophische Programm Schweitzers besonders klar zutage
, insbesondere wenn man verschiedene Stellen aus anderen Schriften
Schweitzers ergänzend und interpretierend heranzieht. Das ergibt
sich aus dem Anlaß dieser kleinen Schrift; Schweitzer redet vor
einem Kreis, der zu einem großen Teil aus Missionaren bestand, aber
er spricht bewußt in „philosophischer Weise", und so kommt es zu
einer interessanten Parallelität religiöser und philosophischer
Sprechweise. So gewiß man Schweitzers „Reich Gottes und Christentum
" als sein „theologisches Testament" bezeichnen kann (S. 242),
so sehr m. E. diesen Vortrag von 1922 als sein religionsphilosophisches
. Es ist daher doch sehr schade, daß ein Buch über Albert
Schweitzer als Theologen seine konkrete Religionsphilosophie so
stark ausklammert, obwohl Gräßer selbst - unter Berufung auf Fritz
Buri - schreibt, daß man Schweitzers Theologie „besser als ,Religionsphilosophie
' bezeichnet" (S. 261), wobei anzumerken ist, daß
Buri an der herangezogenen Stelle ebenfalls den genannten Vortrag
von 1922 als „Zusammenfassung" von Schweitzers Religionsphilosophie
betrachtet.

Aber diese kritischen Anmerkungen können und sollen nicht die
Bedeutung und den Wert dieser Monographie mindern, die Albert
Schweitzers theologisches Erbe, besonders sein neutestamentliches,
in seiner Bedeutung für unsere Zeit erhellt. Ihr ist von Herzen Verbreitung
und Beachtung zu wünschen.

Berlin Hans-Hinrich Jenssen

Holl, Karl [Hrsg.]: Epiphanius II. Panarion haer. 34-64. 2. bearb.
Aufl. hrsg. v. J. Dummer. Berlin: Akademie-Verlag 1980. VI,
544 S. gr. 8* = Die Griechischen Christlichen Schriftsteller der
ersten Jahrhunderte. Lw. M. 110,-

Die Epiphanius-Edition von K. Holl erscheint in neuer Auflage,
die gegenüber der ersten Auflage von 1922 kaum Veränderungen aulweist
. Nachträge zum Text sowie zum Sachapparat (529-44) zeigen
die Fortschritte der neuen Edition an. Der Herausgeber stellt fest, daß
„Holls Textbehandlung - bei allem Respekt vor seiner großen Leistung
- sich durchaus manche Frage gefallen lassen muß" (525). In
einem Sammelband „Texte und Textkritik" in der Reihe „Texte und