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Ausgabe:

1982

Spalte:

213-216

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Gräßer, Erich

Titel/Untertitel:

Albert Schweitzer als Theologe 1982

Rezensent:

Jenssen, Hans-Hinrich

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 3

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diese Übersetzung, doch bestätigt sie eher das schon vorhandene Gesamtverständnis
Maimunis, als daß sie zu einem solchen hinführte.
Ahnlich ist es, wenn von Arkandisziplin die Rede ist: das Vorverständnis
deutet Maimuni (und weiter zurückgehend, auch Plato) als
Verfechter sozial erforderlicher Lüge. Die Konsequenz - oder der Rigorismus
- in allen Ehren, aber sie muß auf die Wirklichkeit des Menschen
bezogen werden. Das logische Problem in Maimunis Argumentation
von der Unerschaffenheit der Welt und von der 26. These aus
war für Schemtob nicht so schwer zu entdecken (Ist Guide of the Re-
bellious die Übersetzung von Moreh hammoreh?), Maimuni ist sich
der Eigentümlichkeit der 26. These ja bewußt. Zu klären wäre,
warum Maimuni sich auf diese Gedankenführung eingelassen hat.
Der unbewegte Beweger ("an etemal paralytic", 47) und der Gott Abrahams
, Isaaks und Jakobs sind verschiedene "conceptions of God" (ib.).
Das sieht auch Vf. richtig, aber er diskutiert nicht, ob und wie im
biblischen Glauben die ontologische Frage enthalten ist. Es genügt
nicht, dem Psalm eine Form zu geben, die spottet: "The Unknowable
Negation of Privations is my shepherd, I shall not want" (48).

Bei Thomas nimmt Vf. die Analogie unter die Lupe. Er setzt sich
mit Gilson und mit Maritain auseinander. Es gibt geistreiche Apercus
über das Christentum ("we may say that Christianity restrains the
mind, and Judaism the body. Thus a Jew is forbidden to eat oysters; a
Christian is obligated to believe in transsubstantiation", 91), manche
neutestamentliche Stelle erscheint in neuem, interessantem Licht.
Rudolf Ottos Thesen werden ausführlich diskutiert, auch Bubers
Glaubensweisen und Price's belief-in und belief-that. Das ist wohl das
Gesamturteil des Vf.: "the whole scholastic efforts seems to me to be
misguided, one-sided, and incorrect. What man longs for is not an ab-
stract and obscure metaphysical formula on the identity of essence
and existence in an indescribable blur, but a Friend behind phenome-
na" (112). Thomas, von dessen Beten Vf. weiß, könnte dem letzten
Satz zustimmen, sähe freilich in dem Ausdruck "Friend behind phe-
nomena" eine Aufgabe der Deutung, und zwar der philosophischen,
gegeben.

Rostock Peter Heidrich

GräBer, Erich: Albert Schweitzer als Theologe. Tübingen: Mohr
1979. X, 279 S. gr. 8' = Beiträge zur historischen Theologie,
60. Kart. DM 39,-; Lw. DM 64,-.

Nachdem bereits Helmut Groos in seiner umfangreichen Albert-
Schweitzer-Darstellung „Albert Schweitzer. Größe und Grenzen.
Eine kritische Würdigung des Forschers und Denkers" (vgl.
ThLZ 103, 1978 Sp95-100), gute vierhundert Seiten, also etwa die
Hälfte seines Buches, der Darstellung, Würdigung und Kritik der
Theologie Albert Schweitzers gewidmet hatte, hat nun der Neutesta-.
mentler Erich Gräßer in einer speziellen Monographie, die auf einer
Vorlesung für Hörer aller Fakultäten aufbaut, Albert Schweitzer
speziell als Theologen dargestellt und gewürdigt. Auch durch diese
Neuerscheinung wird deutlich, daß die Literatur über Albert
Schweitzer sich, nachdem früher mehr das biographische Element,
die Schilderung des großen Humanisten und seines ärztlichen und
menschlichen Wirkens in Lambarene dominierte, nun stärker der Beschäftigung
mit seinem Denken und Forschen zuwendet.

Gräßers Darstellung der Theologie Albert Schweitzers basiert
natürlich auf den einschlägigen Werken Albert Schweitzers und einer
Profunden Kenntnis der Forschungsgeschichte und der exegetischen
Situation der Gegenwart, aber sie ist auch in Zustimmung und Kritik
deutlich auf die Darstellung von H. Groos bezogen. Laut Namenregister
ist Groos nach R. Bultmann der meistzitierte Autor, selbstverständlich
von Albert Schweitzer abgesehen. Aber während
H. Groos, der seinem Werdegang nach zwar auch Theologe ist, heute
aber zur atheistischen Wertphilosophie Kerlers und Ports tendiert,
Albert Schweitzers Denken als letztlich nicht mehr christlich und als
selbst einem freisinnigen Christentum entwachsen beurteilt und seine

Theologie als charakteristischen Ausdruck allgemeiner Selbstauflösungstendenzen
gegenwärtiger Theologie ansieht, ist die Grundtendenz
bei Gräßer völlig entgegengesetzt. Für ihn ist in Albert Schweitzers
Leben „das Theologische darin die alles bestimmende Mitte"
(S. 2). Und seine Theologie hat vor allem in ihren Problemstellungen,
teilweise und bedingt aber auch mit ihren Problemlösungen, eine
bleibende Bedeutung bis heute. „Weder darf die neutestamentliche
Wissenschaft Albert Schweitzer leichtfertig als überholt zur Seite
legen - das wäre schlimm -, noch kann eine theologische Ethik ihn ignorieren
- das wäre unentschuldbar. Es wäre gut, zu Schweitzer in die
Schule zu gehen - um der Glaubwürdigkeit der Theologie willen!"
(S. VI). Und Gräßer urteilt: „Es ist nicht zuviel gesagt, wenn man den
Gottesdienst, sei es den bloß miterlebten, sei es den später selbst regelmäßig
gehaltenen, als den eigentlichen Mittelpunkt alles Denkens
und Fühlens von Albert Schweitzer bezeichnet" (S. 180- Während
H. Groos den Predigten Albert Schweitzers knappe vier Seiten widmet
, bildet „der Prediger" Albert Schweitzer bei E. Gräßer ein eigenes
, siebenfach untergliedertes, Kapitel von rund 30 Seiten. Ausdrücklich
gegen H. Groos gewendet, stellt Gräßer fest: „Man bringt
Schweitzer um seine Identität, wenn man seine .Beziehungen zur Religion
' unwesentlich werden läßt. Tatsächlich sind sie für sein Denken
elementar" (S. 8). Man könnte das Buch von Gräßer daher auch
als „Anti-Groos" bezeichnen, wenn das nicht doch aus zwei Gründen
einen ganz falschen Eindruck erwecken würde: (I) Die Darstellung ist
keineswegs polemisch orientiert, sondern will vor allem Albert
Schweitzers Theologie selbst zur Darstellung bringen, so daß Gräßer
sein Buch nicht zu Unrecht als ein „Studienbuch" bezeichnet (S. VI),
wobei allerdings „nicht positivistisch nur Fakten zur Kenntnis gebracht
werden" sollen; sondern „Zeugnisse erneut gehört werden, die
den Erfahrungen unserer Gegenwart oft zum Erstaunen nahe sind"
(S. 1). (2) Es geht Gräßer nicht um „Heldenverehrung ..., in der das
Lob des Vielgelobten weiter angereichert würde" (S. 1), sondern er ist
ebenso wie Groos um eine wirklich kritische Würdigung bemüht, so
daß er Groos auch sehr häufig zustimmen kann.

Das entscheidende Mittelstück des Buches bilden drei Kapitel,
nämlich das 3. Kapitel „Der Jesusforscher" mit fast einhundertundzwanzig
Seiten, Kapitel 4 „Der Paulusforscher", der auf rund fünfzig
Seiten abgehandelt wird, und das schon genannte Kapitel 5 „Der Prediger
". Abschließend wird auf dreiundzwanzig Seiten „die bleibende
Bedeutung der Theologie Schweitzers" gewürdigt, wobei die Überschriften
der drei Unterabschnitte, - jedenfalls für den mit Schweitzers
Denken Vertrauten -, bereits die Richtung anzeigen, in der Gräßer
diese bleibende Bedeutung sieht: (1) Die Paradoxie Schweitzers:
Durch die Geschichte von der Geschichte frei werden; (2) Die Aktualität
der Ethik Schweitzers; (3) Die Denknotwendigkeit der Grundideen
des Christentums oder die Versöhnung von Theologie und Philosophie
.

Es würde den Rahmen dieser Rezension überschreiten und einen
falschen, weil zu stark verkürzenden Eindruck bezüglich des Reichtums
der Darstellung erwecken, wollten wir versuchen, die Ergebnisse
, zu denen Gräßer jeweils kommt, kurz zusammenfassend darzustellen
. Es lohnt sich wirklich, das Buch selbst auf sich wirken zu lassen
, zumal es auch dem, der Schweitzers Werke gut kennt, durchaus
Neues bringt. Einmal dadurch, daß Schweitzer kenntnisreich und instruktiv
in die Forschungsgeschichte und den Forschungsstand der
Gegenwart hineingestellt wird, wobei - ähnlich wie schon bei Groos -
die seinerzeitigen wissenschaftlichen Rezensionen seiner Werke ausführlich
herangezogen und des weiteren Analogie und Differenz
seiner Hermeneutik zu der R. Bultmanns anregend erörtert werden.
Zum anderen deshalb, weil an vielen Stellen durch bisher unveröffentlichtes
Material aus dem Archiv in Günsbach interessante Stellungnahmen
A. Schweitzers dokumentiert werden, die zwar in keiner
Weise sensationell bzw. überraschend sind, aber doch geeignet, das
bisherige Bild vom Denken Schweitzers nuancenreich zu vervollkommnen
und zu untermauern.

In diesem Zusammenhang ist allerdings zu bedauern, daß mehr-