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Ausgabe:

1982

Spalte:

212-213

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Haberman, Jacob

Titel/Untertitel:

Maimonides and Aquinas 1982

Rezensent:

Heidrich, Peter

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 3

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aber die "Eastern Orthodox school" (Verweis auf Meyendorff); was
der letzteren bisher fehle, sei eine auf den Quellen basierende wissenschaftliche
Begründung, die die neueste Forschung berücksichtige.

Das Buch besteht aus zwei etwa gleich langen Hauptteilen: Nachdem
in Abschnitt II (S. 7-16) Chalcedon behandelt worden ist, bildet
III (S. 17-79) über kaiserliche Politik, Kirchenpolitik und Theologie
den ersten Hauptteil, gegliedert nach den Regierungszeiten der Kaiser
von Marcian bis Justinian [.; der zweite Hauptteil (S. 80-172) behandelt
in zwei kurzen Abschnitten die antiochenische Verteidigung des
Konzils (IV) und die (angeblich, dazu s. u.) origenistische durch
Leontius von Byzanz (V); mit Recht sehr viel ausführlicher die neu-
chalcedonensische Verteidigung (VI), hier werden besprochen Ne-
phalius von Alexandria, Johannes von Skythopolis, Johannes Gram-
maticus, Leontius von Jerusalem, Ephrem von Amid und Justinian.
Von diesen Abschnitten sind III und VI sehr nützlich und empfehlenswert
, III wegen des Übersichtscharakters und VI darüber hinaus
wegen mancher Klarstellungen gegenüber Moeller.

Eine der Thesen Grays, die ihn von Moeller unterscheiden, ist die,
daß es keine eigene Gruppe der strikten Chalcedonenser gegeben
habe, sondern daß es sich in allen Fällen um Vertreter der antiocheni-
schen Tradition (oder doch ihres Einflusses) handle, die die eine chri-
stologische Hypostase akzeptiert hätten, so daß man, wie bei den Ky-
rillianern, Chalcedonenser und Nichtchalcedonenser auch in dieser
Richtung zu unterscheiden hätte. Trotzdem benutzt er S. 34 ff ständig
den Begriff „streng chalcedonensisch". Was den Kyrillianismus des
Konzils von Chalcedon angeht, so ist es schade, daß der Vf. anscheinend
nicht mehr den hervorragenden Aufsatz von A. de Halleux (Löwen
!) in Rev. theol. de Louvain 7, 1976 benutzen konnte, in dem er
den weitgehenden Kyrillianismus der christologischen Formel selber
hätte bewiesen finden können. Dieser Befund erfordert allerdings erst
recht die Reflexion darüber, was die Einfügung des leoninischen Zitats
und der vier berühmten Adverbien („unvermischt und ungetrennt
" etc.) für den theologischen Gehalt des gesamten Textes bedeutet
. - Andererseits gewinnt man aus der Besprechung der voneinander
sehr verschiedenen neuchalcedonensischen Theologen den verblüffenden
Eindruck, daß sie eigentlich nicht durch ausgeprägten Kyrillianismus
auffallen, bei allen Vermittlungsversuchen.

In Abschnitt IV hat Gray nicht erkannt, daß das Theodoret-Zitat
über die chalcedonensische Hypostase polemisch absichtlich so zurechtgestutzt
worden ist, daß der Eindruck erweckt wird, Theodoret
vertrete schlechthin, also auch christologisch, „hypostasis" als Ausdruck
für ein Kollektivum; dabei tut er im erhaltenen Text nichts
anderes, als eine Art (von mehreren) des biblischen Gebrauchs der
Vokabel zu beschreiben. In Abschnitt V hätte der doppelte Anspruch
auf Objektivität wie auf Berücksichtigung der neuesten Forschungsergebnisse
erfordert, daß auf die Kritik hingewiesen worden wäre, die
D. B. Evans' These von der euagrianischen Prägung der Christologie
des Leontius von Byzanz erfahren hat. Gray übernimmt diese These
so fraglos wie Meyendorff und andere. Evans (und Meyendorff) sind
schon 1971 (Rev d'Hist. Eccl. 66) überzeugend von de Halleux kritisiert
worden; zunächst unabhängig von de Halleux hat Daley (Journ.
Theol. Stud. 27, 1976) z. T. mit denselben Argumenten und sehr ausführlich
die euagrianisch-origenistische These widerlegt - man findet
weder de Halleux noch Daley (auch wenn für diesen Termingründe
angeführt werden könnten) in der Bibliographie. - Weiter: Über Phi-
loxenus sollte man nicht schreiben, ohne de Halleux's Monographie
zu erwähnen. Die Akten des Konzils von 553 liegen seit 1971 in der
kritischen Ausgabe der Acta conciliorum oecumenicorum IV 1 vor
und hätten statt des entsprechenden Mansibandes benutzt werden
müssen. Das von Gray S. 70f behandelte überlieferungsgeschichtliche
Problem der Verurteilung des Origenes in diesen Akten wird in der
Einleitung der Ausgabe S. XXVIf besprochen. Zu Leontius von Jerusalem
gibt es die Münsteraner Dissertation (1974) „Die Christologie
des Leontius von Jerusalem. Seine Logoslehre" von Athanasios Bas-
dekis. AufS. 176 erhofft sich Gray weitere Einsichten von der Untersuchung
antichalcedonensischer Gedanken bei späteren Nestorianern

- aber dazu liegen bereits Textausgaben und Aufsätze vor, aus denen
man lernen kann, daß die Nestorianer nicht Chalcedon, sondern die
Neuchalcedonenser bekämpfen (und ihretwegen eventuell auch Chalcedon
). Das Buch Grays bleibt also ein wenig hinter seinem eigenen
Anspruch zurück; trotzdem muß jeder, der sich mit Dogmengeschichte
über das Jahr 451 hinaus befaßt, es benutzen, wenn auch
kritisch.

Tübingen Luise Abramowski

Haberman, Jacob: Maimonides and Aquinas. A Contemporary
Appraisal. With a Foreword by J. L. Blau. New York: KTAV
Publ. House 1979. XX, 289 S. gr. 8°. Lw. $ 17.50.

Pascal, Kant und Santayana sind mit bekannten Zitaten an den
Anfang dieser Studie gestellt. Religion und Denken, Religion und
Wissenschaft ist das Problem dieses Buchs; die beiden Denker des
Mittelalters sind die hervorragenden Beispiele für als verfehlt angesehene
Lösungen. Dem Vorwort von J. Blau ist über den Autor zu
entnehmen, daß dieser vor seinem 21. Geburtstag seine Vorbereitung
zum Rabbinat abgeschlossen hatte, aufgrund einer Übersetzung und
Kommentierung eines mittelalterlichen hebräischen philosophischen
Werks sei er an der Abteilung für Religion der Columbia Universität
promoviert worden; während er als Geschäftsmann aktiv gewesen sei,
habe er seine juristische Promotion betrieben, mit dem zu besprechenden
Buch läge nun die Fortsetzung seiner Studien vor. Laut
Waschzettel arbeitet der Autor an der neuen Encyclopaedia Judaica
und an Jewish Quarterly Review mit.

Die Position des Vf. ist der Fideismus, die Synthese von Theologie
und Philosophie verwirft er, sie entspräche nicht der biblischen Religion
. An Maimonides und Thomas versucht er im einzelnen zu zeigen
, daß ihre Syntheseversuche auch philosophisch abwegig sind.
Kontradiktion und Verbalismus seien die Tricks, die hier verwendet
würden. Maimonides bediene sich der Kontradiktion "to confuse the
masses and hide his true meaning from them". "A doctrine whose
purpose it is to confuse and mislead the masses is fundamentally im-
moral. A sign of this immorality can be found in the fact that Maimonides
even speaks of God's deeeit" (ib.) Wie man sieht, geht Vf. mit
Maimuni energisch ins Gericht, Thomas kommt nicht besser davon.
Hier sind wir am Gegenpol jenes Worts: von Mose (in der Bibel) bis
Mose (= Maimuni) ist kein Größerer als Mose (= Maimuni).

Die Einleitung spricht zutreffend von den Geistesströmungen im
Mittelalter, sie stellt, auch zutreffend, fest, die Bibel biete keine Beweise
für Gottes Dasein, auch das teleologische Argument kenne sie
nicht. Kant und Hume nennt Vf. als für ihn wichtig, er hoffe, sein Fideismus
sei gemäßigt und nicht irrational.

Die folgenden Kapitel behandeln die Synthese, die Maimuni und
die Thomas versucht haben; der Versuch, Glaube und Vernunft zu
versöhnen wird dargestellt, sodann die Tricks im Konflikt von Wissenschaft
und Religion. Vf. plädiert dann für die Autonomie von
Religion und Philosophie. Herbert Loewe, dessen Werk Vf. verpflichtet
ist, ist ein Epilog gewidmet. Fünf Anhänge informieren über die
Forschung, der Zusammenhang des letzten mit dem Ganzen erschließt
sich nicht leicht, er ist, für sich genommen, interessant. Rund
100 Seiten kleingedruckter Anmerkungen und ein Register schließen
das Buch ab.

Das Buch ist gut geschrieben, Vf. ist ausgezeichnet belesen. Die Position
wird energisch und einseitig vertreten. Ein Versuch solcher
Konsequenz ist dadurch interessant, daß er den hermeneutischen Zirkel
deutlicher macht, als das sonst geschieht. Die Interpretation wird
spürbar vom Vorverständnis bestimmt - das ist stets so, doch fallt es
hier besonders auf. Talattuf heißt üblicherweise Freundlichkeit, Liebenswürdigkeit
, Zartheit; beim Vf. wird daraus Betrug, List - jenes
"deeeit", was in obigem Zitat die Immoralität Maimunis „belegte",
und was das erzieherische Wirken Gottes charakterisieren sollte. Vf.
steht mit seiner peiorativen Deutung nicht allein, er übernimmt sogar