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1982

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 3

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genbachs Baseler „biechlin" über den Bundschuh kann er unterschiedliche
Tendenzen herausarbeiten. Der Prosateil will die negativen
Vorstellungen über den Bundschuh korrigieren und stammt
vielleicht aus den Kreisen der städtischen Schreiber. Gengenbachs
Reimvorrede ist dagegen bauernfeindlich ausgerichtet und will abschrecken
. Die vier Nachdrucke (Basel, zweimal Augsburg, Sammeldruck
) analysiert S. genauso wie eine gereimte zeitgenössische Bearbeitung
. Das „Narrenschiff vom Bundtschuh", in dem der Bauernbund
dem Teufel zugeordnet wird, möchte er mit großer Wahrscheinlichkeit
dem Stadtarzt von Schaffhausen Johann Adolf Muling zuschreiben
. Urs Graf assistierte mit seinen Illustrationen dem Verfasser
bei seiner Zusammenfassung der Propagandaargumente gegen den
Bundschuh. Aus der umfangreichen zeitgenössischen Reimdichtung
über die frühneuzeitlichen städtischen Aufstandsbewegungen greift
S. im 9. Kap. beispielhaft die Lieder und Sprüche über die Schwarzsehen
Händel in Augsburg, den Niederschlag des Kölner Aufstandes
von 1513 in der Reimliteratur, die reimliterarische Auseinandersetzung
über die Schweinfurter Ereignisse von 1513 und ein Spruchgedicht
zur Wiederbelebung der revolutionären Bewegung in Worms
auf. Im 10. Kap. untersucht er die Dichtungen aus dem Aufstand des
Armen Konrad, unter denen sich eine erneute Verurteilung der Aufständischen
aus der Feder von Heinrich Bebel befindet. Die bis in die
jüngste Forschungsliteratur hinein . (z. B. W. Steinitz) vertretene
These von der Existenz eines Liedes aus dem Kreise der Aufständischen
kann S. widerlegen. Als Beispiel für die Dichtung der letzten
vorreformatorischen Aufstände und Verschwörungen analysiert
S. das Lied über die Krainer Bauern (Kap. 11). In knappen Schlußbemerkungen
weist S. noch einmal darauf hin, daß in der vorwiegend
städtisch geprägten vorreformatorischen Reimliteratur die pragmatischen
Begründungen gegenüber den programmatischen den Vorrang
haben. Dennoch sei P. Blickles These vom Legitimationsvakuum
Anfang 1525 mindestens zu modifizieren, da der radikale Flügel des
Bauernkriegs an die in der Reimliteratur erkennbaren Ansätze zu
einem Verständnis des Aufstandes als heilsgeschichtliche Notwendigkeit
anknüpfen konnte.

S.s materialreiche Arbeit basiert auf diffizilen Quellenanalysen.
Der Überlieferungsproblematik (Druckvarianten, verschiedene Fassungen
, xylographische Ausstattung) widmet er besondere Aufmerksamkeit
. Durch sein Bemühen, den jeweiligen Verfasserstandpunkt
und Adressatenkreis deutlich herauszuarbeiten, führt er die Forschung
im Detail und auch insgesamt weiter. Am Beispiel der Reimdichtung
kann er den starken funktionalen Charakter der spätmittelalterlichen
und frühneuzeitlichen Literatur erneut aufzeigen. Die Sekundärliteratur
ist in umfangreichem Maße eingearbeitet worden.
Einige wichtige neuere Arbeiten sind allerdings nicht berücksichtigt
worden (z. B. J. B. Menke: Geschichtsschreibung und Politik in deutschen
Städten des Spätmittelalters. Jb. des Kölnischen Geschichtsvereins
33, 1958, 1-84. 34/35, 1959/60, 85-194; V. Schlumpf: Die fru-
men edlen Puren. Zürich 1969; E. Schubert: „bauerngeschrey". Jb.
für fränkische Landesforschung 34/35, 1975, 883-907). Gleiches gilt
v°r allem für die Spezialliteratur zur Stilistik der historischen Lieder.
In einzelnen Fällen wünschte man sich auch die Verwendung der kritischen
Quellenedition (z. B. 525 u. ö. Luther nach der Ausgabe von
S- Streller). Begrüßenswert ist das Bestreben S.s, die literarischen
Zeugnisse in ihren historischen Kontext zu stellen. Nicht selten unterliegt
er aber dabei der Gefahr einer allzu undifferenzierten Sicht
der historischen Zusammenhänge oder einer .exkursartigen Ausweitung
der Darstellung (Kap. 2; 130. 378f. 406f. u. ö.). Die Entwick-
'ungslinie vom Protest der Bauern zum aktiven Widerstand wird zu
einseitig formuliert, wenn die Schweizer und die Hussiten unbeachtet
bleiben (64-67). Nicht zu verkennen ist auch, daß S. immer wieder
zur Uberinterpretation einzelner Textaussagen oder Holzschnittdarstellungen
neigt (z. B. 75. 168. 208-210. 324. 342f. 517). So setzt er
mehrfach zu unproblematisch einen direkten Einfluß der Autoren auf
die Holzschnittbeigaben voraus (z.B. 154). Zu fragen ist auch, ob
Hans Böhm wirklich „lediglich" aus politischen Gründen hingerichtet
worden ist (83) und ob hinter der Umarbeitung einer Bundschuhdarstellung
'aus der Prosa- in die Reimform tatsächlich ein Wechsel
des Rezipientenkreises in sozialer Hinsicht stehen muß (229). Eindeutig
falsch ist die Angabe, daß die Flugschriften aus dem ersten
Viertel des 16. Jh. „durchweg mit einem Titelholzschnitt versehen"
waren (33). Die legendäre Überlieferung, daß Müntzer seine Predigten
mit dem Lied „Es fuhr ein Bauer ins Holz" begonnen habe, die
sich schon in H. W. Kirchhoffs „Wendeunmuth" findet, sollte nicht
kritiklos weitergegeben werden (447). Diese kritischen Anmerkungen
sollen aber nicht die Anerkennung verdunkeln, die S. für diese bisher
umfassendste Darstellung der vorreformatorischen Reimliteratur
über die Aufstandsbewegung verdient. Das Fehlen eines Registers
wird die Aufarbeitung vieler seiner Detailergebnisse in der Forschung
erschweren.

Gravierende Fehler im Druck: 438 Anm. 78a fehlt; 193f Anm. 173 (vgl.
468) ist zweimal verwendet; 93: Philipp von Hessen statt Philipp der Schöne.

Berlin Siegfried Bräuer

Blaschke, Karlheinz: Die Auswirkungen der Reformation auf die städtische
Kirchenverfassung in Sachsen (HerChr 12,1978/80 S. 29-33).

Dahlerup, Troels: Om kirkens dorn for gaeld: reformationen som retsreform
belystvedgaeldsjurisdictionsproblemet(KHS 1980 S. 105-114).

Gabler, Ulrich: Johannes Bünderlin von Linz (JGPrÖ 96, 1980 S. 355-370).

Immenkötter, Herbert: Die Antwort der Altgläubigen auf das Augsburger
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Jesse, Horst: Das Augsburger Bekenntnis. Glaubenszeugnis einer Kirche.
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- : Christoph von Stadion, Bischof von Augsburg während der Reformationszeit
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Liebman, Maximilian: Urbanus Rhegius - Vom Reformer zum Reformator
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Pfeiffer, Gerhard: Nürnberg und das Augsburger Bekenntnis 1530-1561
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Schwarz Lausten, Martin: Melanchthoniana i Danmark: nogle hidtil utrykte

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Wartenberg, Günther: Die Confessio Augustana in der albertinischen Politik

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Dogmen- und Theologiegeschichte

Gray, Patrick T. R.: The Defense of Chalcedon in the East
(451-553). Leiden: Brill 1979. IX. 189 S. gr. 8' = Studies in the Hi-
story of Christian Thought, XX. Lw. hfl 64,-.

Der Verfasser, von dem eine Ausgabe der Schriften des Leontius
von Jerusalem für die griechische Serie des Corpus Christianorum in
Vorbereitung ist (der Schriften des Leontius von Byzanz nimmt sich
Brian Daley an), liefert hier den historischen, kirchenpolitischen und
theologischen Hintergrund für die Texte seines Helden. Seitdem sich
F. Loofs mit der Leontiusfrage befaßte, ist die Forschung auf diesem
Gebiet erheblich fortgeschritten, vor allem durch die Arbeiten von
M. Richard. Die inzwischen klassische Gesamtdarstellung ist der umfangreiche
Aufsatz von Ch. Moeller über Chalcedonismus und Neu-
chalcedonismus im Osten von 451 bis zum Ende des 6. Jahrhunderts
in dem von A. Grillmeier herausgegebenen Sammelwerk „Das Konzil
von Chalkedon" (Bd. I, 1951). Gray schreibt in ausdrücklicher
Frontstellung gegen Moeller, dessen Beurteilungskategorien ihm zu
westlich, „römisch-antiochenisch" sind; eine „objektivere Beurteilung
" der Quellen wird angestrebt. Nach Grays Meinung hat wie die
Löwener Schule, so auch die englische nicht die richtige Sensibilität
für den Kyrillianismus des Konzils von Chalcedon entwickelt, wohl