Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1982

Spalte:

207-210

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Seibert, Peter

Titel/Untertitel:

Aufstandsbewegungen in Deutschland (1476 - 1517) in der zeitgenössischen Reimliteratur 1982

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

207

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 3

208

sind. Oft ist zusätzlich oder allein die aktenkundliche Bezeichnung
der Quelle (Vertrag, Mandat, Protokoll usw.) oder der Inhalt (z. B.
Geleit, Lehnseid) angegeben. Gelegentlich wird auch die Selbstbezeichnung
des Vorgangs genannt: „Landgebrechen", „Brüderlicher
Vertrag" u. a. Es folgt die Archivsignatur. Oft liegen mehrere Überlieferungen
eines Schriftstücks vor. Etwa 75% der Archivalien stammen
aus dem Staatsarchiv Dresden, 15-20% aus dem Staatsarchiv
Weimar, der Rest aus 29 verschiedenen weiteren Archiven, vor allem
aus Wien und Marburg. Auch die Form der Überlieferung (Konzept,
Ausfertigungen usw.), Schreiber und Unterschriften, Besiegelung,
Kanzleivermerke und bei Fremdsprachen die Sprache des Schriftstücks
sind angegeben. - Die Regesten sind in gut lesbarem Stil abgefaßt
. Ihre Übersichtlichkeit wird durch zahlreiche Absätze und oft
auch durch Bezifferung erhöht. Das Ziel, die Dokumente für eine
künftige Benutzung aufzubereiten und leichter zugänglich zu machen
, ist so noch besser erreicht worden als in Brandenburgs Edition.

Auf ein Verzeichnis der publizierten Schriftstücke wurde verzichtet
. - Das vor allem von Ingeborg Herrmann mit großer Sorgfalt bearbeitete
Namensregister gibt die Titel, Berufe und Lebensdaten der
Personen sowie die Lage der Orte in Bezirken, Kreisen bzw. Ländern
an, bei Orten im fremdsprachlichen Ausland auch die amtlichen
Ortsbezeichnungen.

Insgesamt ist eine Dokumentenpublikation vorgelegt worden, die
die Herausgabe der Politischen Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten
Moritz von Sachsen mit neuen, verbesserten Methoden fortsetzt
. Historiker und Theologen finden hier ein reichhaltiges, vielseitiges
Quellenmaterial, das in bester wissenschaftlicher Qualität zugänglich
gemacht ist. Es bleibt nur zu wünschen, daß die angekündigten
Bände 4 und 5 ebenfalls bald erscheinen können und so die
gesamte Aktenpublikation in absehbarer Zeit zum Abschluß gebracht
wird.

Dresden Gerhard Schmidt

1 (1) Akten und Briefe zur Kirchenpolitik Herzog Georgs von Sachsen.
Bd. 1 (1517-1524), 1905; Bd. 2 (1525-1527), 1917, beide hrsg. von dem Professor
für Geschichte an der Technischen Hochschule Dresden Felician Geß; für
die Jahre 1528 bis 1539 ist die Bearbeitung durch die Studienrätin Dr. phil. Elisabeth
Werl großenteils erfolgt, aber noch nicht abgeschlossen.

(2) Akten zur Geschichte des Bauernkrieges in Mitteldeutschland. Bd. 1,1,
hrsg. von dem preußischen Archivrat Dr. Otto Merx, 1923; Bd. 1,2, hrsg. von
Günther Franz, 1934; Bd. II, hrsg. von den Professoren für Geschichte Walter
Peter Fuchs und Günther Franz, 1942. Ein unveränderter Nachdruck aller
Bände erschien 1964.

(3) Thomas Müntzers Briefwechsel. Hrsg. von dem Leipziger Professor Tür
Kirchengeschichte Heinrich Böhmer und dem Professor für Geschichte Paul
Kirn, 1931; später überarbeitet und mit enthalten in: Thomas Müntzer. Schriften
und Briefe. Kritische Gesamtausgabe. Unter Mitarbeit von Paul Kirn hrsg.
von Günther Franz, Gütersloh 1968 (= Quellen u. Forsch, zur Reformationsgeschichte
, Bd. 33).

(4) Politische Korrespondenz des Herzogs und Kurfürsten von Sachsen.
Bd. 1, Leipzig 1900, XXIV, 761 S. (1533-1543); Bd. 2, Leipzig 1904, XVIII,
1064 S. (1544-1546), beide bearb. von Erich Brandenburg, später Professor für
Geschichte in Leipzig.

2 Erich Brandenburg, Moritz von Sachsen, Bd. 1: Bis zur Wittenberger Kapitulation
(1547). Leipzig 1898, VIII, 558 S.

3 Vgl. Heinrich Bornkamm: Kurfürst Moritz von Sachsen. Zwischen Reformation
und Staatsräson. In: Zs. f. dt. Geisteswiss. 1, 1938, S. 398-412; Wiederabdruck
in: Das Jahrhundert der Reformation. Gestalten und Kräfte.
2. verm. Aufl. Göttingen 1966, S. 225-242; Christa Hülm: Kurfürst Moritz
von Sachsen. Wandel des Urteils über seine Politik. Kritische Untersuchungen
zur Persönlichkeitswertung in der Geschichtsschreibung. Leipzig Phil. Diss.
1961.

Seibert, Peter: Die Aufstandsbewegungen in Deutschland 1476-1517
in der zeitgenössischen Reimliteratur. Heidelberg: Carl Winter
1978. 550 S. 8° = Reihe Siegen. Beiträge zur Literatur- und Sprachwissenschaft
, 11. Kart. DM 72.-; Lw. DM 88.-.

Neuere germanistische Arbeiten zur politisch-historischen Reimliteratur
lassen häufig hinreichende Kenntnis der historischen Zusammenhänge
vermissen. Den historischen Untersuchungen fehlen
dagegen oft die notwendigen philologischen und literarhistorischen
Grundlagen. Eine umfassendere Arbeit über die zeitgenössische
Reimliteratur der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Aufstandsbewegungen
, die das Verhältnis von Geschichtsprozeß und literarischer
Produktion im Blick hat, existiert demzufolge bislang nicht.
Diese Lücke möchte Seibert (= S.) mit seiner bei H. Kreuzer an der
Gesamthochschule Siegen gearbeiteten germanistischen Dissertation
schließen helfen. In Anlehnung an die ältere Fassung der Konzeption
von der frühbürgerlichen Revolution wählt er die Lieder und Spruchdichtung
aus der ersten Phase der Revolution (1476-1517) zum
exemplarischen Untersuchungsgegenstand.

Bevor er mit der eigentlichen Darstellung beim Bauernspott und
Bauernlob des ausgehenden 15. Jh. einsetzt (Kap. 3), schildert er die
allgemeinen „Bedingungen für Produktion und Rezeption der Reimliteratur
der revolutionären Bewegungen am Beginn der Neuzeit"
(Kap. 2). Als Vertreter des Bauernspotts führt S. den letzten bedeutenden
Dichter der Neidharttradition, Hans Heseloher, einen Spruchdichter
, der sich „Durst" nennt, und Sebastian Brant vor. In ihren
Werken wird den Bauern die „Üppigkeit", die Ursünde der Superbia,
zum Vorwurf gemacht. Damit steht in der Literatur „bereits ein Klischee
zur Verfügung, das jede Auflehnung der Bauern letztlich als
Auflehnung gegen die göttliche Ordnung, als Teufelswerk erscheinen
läßt", längst bevor die Bauern „zu offenen Angriffen auf die herrschende
Ordnung übergehen" (58). Das Bauernlob ist durch zwei
bekannte Spruchgedichte des 15. Jh. vertreten, in denen der arbeitende
Bauer in besonderer schöpfungsgemäßer Nähe zu Gott gesehen
und der Superbiavorwurf gegen den Adel erhoben wird. Die Schwelle
von der Kritik zum Appell, aktiv Widerstand zu leisten, wird nicht
überschritten. Im 4. Kap. untersucht S. die Reimdichtungen der
Niklashauser Fahrt, wobei er die überlieferte Wallfahrerstrophe von
1476 - sicher interpretatorisch überzogen - als Ausdruck eines neuen
Programms verstehen möchte. Bei der Untersuchung des Spruchs der
bischöflichen Partei kommt S. zu ähnlichen Ergebnissen wie
H. Strohbach, dessen einschlägige Arbeit (ZfG 1975/2, 191-197) er
aber nicht benutzt hat. Danach wendet er sich der Gesellschaftskritik
in der Kurzgnomik des bäuerlichen Lagers in der Überzeugung zu,
daß sich die Bauern der Bundschuhzeit allein in den literarischen
Kleinformen selbst äußerten: Rätsel, Vierzeiler „Magd, hol Wein"
(Kritik des verbreiteten Verständnisses als Kampfspruch), Adam-
Eva-Spruch, Prophezeihungsspruch vom Sieg der Bauern. Vor allem
zum Adam-Eva-Spruch kann S. viel Material beibringen und die
gängigen kurzschlüssigen Interpretationen umgehen, indem er sich
bemüht, den Spruch in der Tradition der biblischen Legitimierung
der Ständegesellschafl einzuordnen. Da er die patristische und scholastische
Tradition unbeachtet läßt, befriedigt auch seine Interpretation
noch nicht. Sein Verständnis des Adam-Eva-Spruchs „als eine
Art .Internationale' der vom Feudalismus unterdrückten Bauern"
greift auf jeden Fall zu weit (435). „Der Kampf gegen die drohende
Ausweitung der Schweizer Freiheit'" wird im 6. Kap. vor allem an
der Reimchronik des „Haintz von Bechwinden" dargestellt, als deren
Verfasser Heinrich Bebel bereits durch J. Haller identifiziert wurde.
Die reimliterarische Reaktion auf den Aufschwung der Bauernbewegung
am Beginn des 16. Jh. (Kap. 7) exemplifiziert S. an einer
anonymen Edelmannslehre aus der Tradition der Bauern Verhöhnung
, der Rechtfertigung des Raubrittertums durch das Lied des Ritters
Schenkenbach, das eine literarische Debatte (Kontrafrakturen)
auslöste, und am Bundschuhkapitel aus Thomas Murners „Narrenbeschwörung
". Im umfangreichsten Kap. 8 beschäftigt sich S. mit den
Liedern und Spruchgedichten über die Lehener Bundschuhverschwörung
. Er hält es für denkbar, daß das „lied von dem
bunndtschüch" aus der Frciburger Meistersingerschule stammt, auch
wenn die zuerst von A. Rosenkranz vorgetragene Beweisführung
nicht zwingend ist. In eindringender Analyse von Pamphylius Gen-