Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1982

Spalte:

190-191

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Ben-Chorin, Schalom

Titel/Untertitel:

Juedischer Glaube 1982

Rezensent:

Heidrich, Peter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

189

Theologische Literaturzeitung 107. Jahrgang 1982 Nr. 3

190

derartige Erwartung berechtigt? Trotz aller Gemeinsamkeiten sind
die Differenzen zwischen den einzelnen handschriftlichen Zeugen
doch recht erheblich. Wird man bei künftiger Arbeit zu genügend
tragbaren Kriterien kommen, um so weitgehende Rückschlüsse ziehen
zu können? Dem Rez. erscheint das nicht recht wahrscheinlich.
Die Handschriften bezeugen jedenfalls von Anfang an eine größere
Variabilität bei der Abschnittsgliederung als bei der Überlieferung
des Konsonantentextes. Das läßt doch darauf schließen, daß sich
auch die der Endredaktion folgende Auslegungsgeschichte auf die
Gliederungsprinzipien ausgewirkt hat. Außerdem ist zu bedenken,
daß die Redaktion selbst ein komplexer Vorgang ist. Muß nicht damit
gerechnet werden, daß bereits den Endredaktoren bestimmte Gliederungsstrukturen
vorlagen, die sie teils übernahmen, teil veränderten,
so daß auch deren Gliederung kritisch zu hinterfragen wäre?
M. a. W., die Rückschlüsse, wie sie dem Vf. vorschweben, sind doch
wohl mit zu vielen Unsicherheitsfaktoren belastet, um für die Exegese
wirklich erfolgversprechend angewendet werden zu können. Die Bedeutung
der „Gliederungskritik" darf also nicht überschätzt werden.
Ihre Ergebnisse dürften auch in Zukunft vorrangig für die Textgeschichte
und Textkritik sowie für Fragen der Auslegungsgeschichte
von Nutzen sein.

Leipzig ' Joachim Conrad

Judaica

Henrix, H.H. [Hrsg.]: Jüdische Liturgie. Geschichte - Struktur -
Wesen. Freiburg-Basel-Wien: 1979. 160 S. 8* = Quaestiones Dispu-
tatae, 86. Kart. DM 26,-.

Das Gemeinsame im gottesdienstlichen Leben, das Kirche und
Synagoge verbindet, könnte sich als eine Brücke erweisen, über die
eine Begegnung zwischen den getrennten Gemeinschaften erfolgen
kann. Dieses Verbindende näher zu bestimmen, war einer gemeinsamen
Arbeitstagung zugedacht, die im März 1978 von der Katholischen
Akademie Aachen veranstaltet wurde. Sie sollte zum Verstehen
des jüdischen Gottesdienstes in seiner Geschichte und in seiner
gegenwärtigen Praxis beitragen; diesen als Gegenüber zum christlichen
Gottesdienst, aber auch als Teilhaber an einem gemeinsamen
Erbe kenntlich machen. Es blieb vorerst bei einer Selbstdarstellung
und Darstellung dessen, was in der Übernahme eines christlichen Begriffs
jüdische Liturgie genannt wird. Nachdem bereits ein zusammenfassender
Bericht veröffentlicht wurde,1 liegen nun die Referate
und ein nachträgliches Votum von Hermann Reifenberg (Bamberg)
vor (S. 137-160). Die jüdische Seite ist dabei ausschließlich durch
den in den USA lehrenden Jakob J. Petuchowski vertreten, die christlichen
Beiträge stammen von den katholischen Judaisten Johann
Maier (Köln) und Clemens Thoma (Luzem).

Allen gemeinsam ist das Bemühen, der Gefahr zu entgehen, nur
allseits anerkannte Ergebnisse der Forschung vorzutragen, und statt
dessen vielmehr zu versuchen, Erkenntnisse zu vermitteln, die aus
der eigenen aktuellen Arbeit am Gegenstand erwachsen sind. Dies gelingt
, wie bereits die ersten Stücke zeigen, in unterschiedlichem
Maße. J. J. Petuchowskis Überblick zur Geschichte der Liturgie
(S. 13-22) geht vom Kontrast zwischen Tempelfrömmigkeit und syn-
agogaler Laienreligion aus und zeichnet den Prozeß nach, durch den
die Synagoge zum Ersatz des verlorenen Heiligtums wurde. Wichtig,
wenn auch keineswegs neu, war der nachdrückliche Hinweis, daß bei
der Gestaltung der Gebete lange Zeit nur Struktur und Inhalt, nicht
der genaue Wortlaut festgelegt war. J. Maier, der erst kürzlich die
Tempelrolle von Qumran einem größeren Interessentenkreis bekannt
gemacht hat,2 geht unter den Aspekten der Kultfrömmigkeit im Lichte
der Tempelrolle von Qumran (S. 33-46) dem in dieser Schrift entfalteten
Grundsatz der Heiligkeitsbereiche (vgl. Kelim I, 6-11) nach,
konstatiert einen Zusammenhang von kultisch-ritueller und Erwäh-

lungsheiligken und kommentiert das in der Tempelrolle enthaltene
Kalendersystem, durch das ein Zusammentreffen von Sabbaten und
Festen ausgeschlossen wird. Cl. Thoma beschäftigt sich mit dem biblischen
Erbe im Gottesdienst der Synagoge (S. 47-65) und sieht dabei
in Neh9-10 einen Schlüsselabschnitt, in dem die Elemente des
späteren Synagogendienstes keimhaft enthalten sind.

J. J. Petuchowski bietet Übersetzung und kurzgefaßte Kommentierung
des Sch'ma (S. 66-76) und des Achtzehngebetes
(S. 77-88) und läßt dabei Ansätze zu einer formgeschichtlichen
Rekonstruktion erkennen. Leider ist in diesem Zusammenhang die
Bedeutung der Akklamation für die Frühgeschichte beider Gebete
völlig übersehen. Joh. Mai er gibt einen Überblick über die Entwicklung
der synagogalen Poesie (S. 89-102), die durch die seit dem
3. nachchristlichen Jahrhundert erfolgte Ausbildung des Pijut, der
freien Dichtung, ein Gegenstück zur streng fixierten Gestalt der
Stammgebete hervorgebracht hat, freilich auch zu einer Überwucherung
führte, die die Kritik der Reformer auslöste. Wie schade, daß
hier der Blick nicht auf die christliche Hymnodik (Hymnen, Sequenzen
, Litaneien) und die dabei erkennbare Parallelentwicklung fiel!

Auch in den Beiträgen des letzten Teils stehen jüdische und christliche
Referate nahezu beziehungslos nebeneinander: einerseits wird
berichtet über die traditionelle jüdische Liturgie (S. 100-110) und die
gegenwärtigen Bestrebungen zur Reform des Synagogengottesdienstes
, vor allem in den USA (S. 111-121); andererseits bietet
Cl. Thoma unter dem Thema Jüdische Liturgie und die Kirchen
(S. 122-130) eine Zusammenfassung seiner in Vorbereitung befindlichen
Studie Biblisches Erbe im Gottesdienst der Synagoge. Man
wird von diesem Buch eine ideenreiche Weiterführung der Christlichen
Theologie des Judentums des gleichen Vf.3 erwarten dürfen.

Was der vorliegende Band bringt, ist kaum mehr als ein Anfang,
der wichtige Themen, wie die Psalmenfrömmigkeit in Synagoge und
Kirche, völlig aussparte. Die Chance, etwa durch Referat und Korreferat
Strukturlinien aufzuweisen und gemeinsames Erbe zu verdeutlichen
, blieb diesmal leider noch ungenutzt. Eine integrierte jüdischchristliche
Liturgieforschung bleibt eine Aufgabe für die Zukunft.

Halle/Saale Wolfgang Wiefel

' H. Reifenberg in Bibel und Leben 51, 1978, 104-109.

2 J. Maier, Die Tempelrolle vom Toten Meer, UTB 829, München 1978.

3 Vgl. dazu die Anzeige des Rez. ThLZ 104, 1979 Sp. 897-899.

Ben-Chorin, Schalom: Jüdischer Glaube. Strukturen einer Theologie
des Judentums anhand des Maimonidischen Credo. Tübinger Vorlesungen
. 2., durchgesehene Aufl. Tübingen: Mohr 1979. 332 S.
kl. 8'. Lw. DM 32,-.

Der Vf. braucht nicht vorgestellt zu werden, er ist als freier Schriftsteller
, Journalist und Publizist tätig. Die Kapitel des Buches wurden
als Vorlesungen am Institutum Judaicum an der Universität Tübingen
für das Sommersemester 1975 konzipiert. Das Buch ist ersterTeil
eines dreibändig geplanten Werkes, dessen zweiter Teil (über das Gesetz
) 1979 erschien, geplant ist ein Buch über das Gebet im Judentum
. Vorliegenden Band nennt der Vf. „ein Bekenntnisbuch eines engagierten
Denkers", es sei keine theologische Fachliteratur. Das ist
treffend gekennzeichnet. Das Buch ist in schöner Sprache geschrieben
(eine Wortprägung erscheint ungewohnt: platonistisch, 86). Ein
Druckfehler fiel auf: „Prooemium, Gott und Welt" muß es 239 heißen
. Die Belesenheit des Vf. fällt auf, ein Register am Schluß erschließt
das Buch. Nach einer Einleitung über Dogma und Dogmatik
im Judentum folgen 13 Kapitel, nach den Punkten des Glaubensbekenntnisses
des Maimonides. Dieser mittelalterliche Denker gehört
für den Vf. zu den Autoritäten. Das Register weist ihn als am häufigsten
Genannten aus. Die Einleitung macht den induktiven, wenig
systematischen Charakter hebräischen Denkens deutlich. Das Credo,
dessen 13 Artikeln der Vf. nachgeht, gruppiert sich so: Lehre von