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Ausgabe:

1981

Spalte:

171-174

Kategorie:

Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Schönherr, Albrecht

Titel/Untertitel:

Horizont und Mitte 1981

Rezensent:

Dantine, Wilhelm

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 3

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„Wer siegt, den werde ich zu einer Säule im Tempel meines Vaters
machen ..." (3,12). „Wer siegt, dem werde ich geben, mit mir auf
meinem Thron zu sitzen, wie auch ich gesiegt habe und mich gesetzt
habe mit meinem Vater auf seinen Thron" (3,21). Ahnliche Verheißungen
sind auch in den Seligpreisungen zu finden. „Selig sind die,
die zum Hochzeitsmahl des Lammes gerufen sind" (19,9). „Selig und
heilig ist, wer teilhat an der ersten Auferstehung, über diese hat der
zweite Tod keine Gewalt, sondern sie werden Priester Gottes und des
Christus sein, und sie werden mit ihm 1000 Jahre herrschen" (20,6).

Die Gemeinde ist jetzt die kämpfende, aber bald die triumphierende
, die direkt an der Weltherrschaft Christi teilhaben wird. Mag
man darauf hinweisen, daß solche Herrschaftsgelüste sich auch in
jüdischen Texten finden, so bleibt dennoch die Anfrage bestehen, ob
hier von einem christlichen Denkansatz aus, dem Glauben an die
große Wende in der Geschichte durch Christi Kreuz und Auferstehung
, der Gedanke von der Weltherrschaft der Glaubenstreuen radi-
kalisiert worden ist.

Das Leben der Christen als Kampfsituation zeigt sich zuletzt auch
noch in der Ethik.

6. Die Ethik

Glaube und Geduld sind in unserem Buch Synonyma geworden.
Glaube ist das standhafte und geduldige Ausharren. Glaube ist darum
auch in diesem Buch eine der hervorragenden Tugenden, auswechselbar
vor allem mit hypomone (1,9; 2,2f; 3,10). Angesichts der blutigen
Verfolgung wegen der Verweigerung der Anbetung des Tieres heißt
es: „Hier ist die Geduld und der Glaube der Heiligen nötig" (13:10;
vgl. 14,12). Aber auch das „die Gebole halten" (12,17; 14,12), die gesamte
Haltungdes Bewahrens (Wrein 2,26; 2,2.8.10), die sich auf die
Worte dieses Buches bezieht (1,3; 22,7.9), und sogar das absolut gebrauchte
„Werke tun" (2,2.5.19; 3,1.8.15) können synonym für
„Glauben" werden.

Konkretisierungen der Werke finden sich kaum. Wirklich deutlich
ist allein die Forderung der bedingungslosen Kompromißlosigkeit in
Fragen des Kaiserkults, der als Götzendienst gilt. Die Scheidung der
Geister in Orthodoxe und Häretiker findet für Johannes an dieser
Frage statt: Dort die Tieranbeter, hier die Nachfolger des Lammes.
Zwischen beiden gibt es keinen Kompromiß.

Vermuten darf man noch mit einigem Recht, daß die Sexualmoral
ein weiterer wichtiger Prüfstein für Glaube, Geduld, Gebote halten,
Werke tun usw. ist. Hurerei gilt als schwere Sünde. Geschlechtsaskese
hat er aber wahrscheinlich noch nicht gefordert. Wäre Askese solcher
Art ihm ein wesentliches Zeichen, um zu den Auserwählten zu gehören
, hätte er es bestimmt deutlicher gemacht.

Ansonsten rechnet Johannes mit Armut in den Gemeinden und
empfiehlt der Gemeinde zu Smyrna, gerade das als geistlichen

Reichtum zu verstehen (2,9). Die Diakonia ist ihm darum ein
Anliegen (2,19). Aber im Ganzen muß man doch sagen, daß Johannes
an den Alltagsproblemen der Gemeinden wenig Interesse zeigt.

Sein Blick geht über die Alltagsfragen hinweg auf die Zukunft, wo
man seinen Standort im Kampf zwischen dem Lamm und seinen •
satanischen Widersachern finden muß. Dieser Kampf hat für ihn mit
der Forderung zur Anbetung des Kaisers begonnen. Von nun an lallt
die Entscheidung, ob man am Hochzeitsmahl des Lammes teilnehmen
oder ausgelöscht werden wird aus dem Buch des Lebens. Denen,
die den rechten Weg gehen in diesem Kampf, wird durch eine himmlische
Stimme kundgetan: „Selig sind die Toten, die von nun an im
Herrn sterben. Ja, sagt der Geist, damit sie ausruhen von ihren Müh-
salen, denn ihre Werke folgen ihnen nach" (14,14).

7. Nachbemerkungen

Die Offenbarung Johannes hat sich uns dargestellt als ein Entwurf,
der von dem christlichen Zeitverständnis her das Erbe der jüdischen
Apokalyptik radikalisiert. Es ging mir nicht darum, das jüdische
Element zu leugnen. Hier ließe sich in bezug auf das Material,
einzelne Vorstellungen, Bilder usw. viel sagen. Die Frage ist nur, ob
wir uns mit religionsgeschichtlichen Gründen von diesem Buch
distanzieren können. Wenn man die Apokalyptik die Mutter der
urchristlichen Theologie nennt, muß man auch die Offenbarung Johannes
als legitimes Kind anerkennen.

Die Wirkungsgeschichte zeigt, daß die Apokalyptik vor allem in
diesem christlichen Gewand wirksam geworden ist, bis hin zu ihrer
Pervertierung im „Tausendjährigen Reich".

Die Kritik sollte nicht vordergründig bei den Vorstellungen einsetzen
. Kritisieren kann man dieses Werk nur, wenn man es als ein mit
ganzer Leidenschaft geschriebenes Zeugnis eines lebendigen Glaubens
würdigt.

Eine sachgemäße Kritik kann die Frage vielleicht so stellen: Ist das
wirklich der Geist des mit den Sündern Mahlgemeinschaft haltenden
Jesus, der sich im Dienst für die Verlorenen verzehrt, der ihn nun als
den schrecklichen Richter erscheinen läßt, der alle Widersacher niederreitet
und nur seine Getreuen überreich belohnt? Ist die rechte
Nachfolge Jesu nicht der Dienst an und in der Welt, die Botschaft von
der Versöhnung aufzurichten? Ist es nicht doch der falsche Geist,
fanatisch zu kämpfen und heimlich von einer tausendjährigen Herrschaft
zu träumen, wo wir es angeblich besser machen werden? Sollten
wir nicht tiefer darum wissen, daß wir nur dann eine Zukunft
haben, wenn wir uns als begnadigte Sünder wissen?

Wenn das alles nicht vergessen wird, dann kann freilich dieses
Buch in den ihm gesetzten Grenzen den Trost und die Hoffnung zusprechen
, daß das Böse nicht das letzte Wort in der Geschichte hat,
sondern alles Seufzen in den Lobgesang Gottes mündet.

Allgemeines, Festschriften

Schönherr, Albrecht: Horizont und Mitte. Aufsätze, Vorträge, Reden
1953-1977. Berlin: Evangelische Verlagsanstalt; zugleich München
: Kaiser 1979. 336 S. 8°.

Die Besprechung eines Sammelbandes, in dem beinahe vierzig
nach Inhalt und Form unterschiedliche Beiträge vereinigt sind, bedarf
einer anderen Gestalt als der üblichen sonstiger Rezensionen. Es ist
weder möglich noch sinnvoll, die geschlossenen Gedankengänge der
einzelnen Beiträge im Nacheinander in extenso zu schildern, um
dann so etwas wie ein Schlußergebnis zu ziehen. Vielmehr scheint es
angebracht, das Ganze so in den Blick zu nehmen, daß Schwerpunkte
aufgesucht werden. Dazo erweist es sich als hilfreich, daß das Buch

selbst schon für eine Gliederung sorgt, die zugleich von der differenzierten
Vielfalt der behandelten Themen Zeugnis ablegt: Erneuerung
der Kirche (I2ff), Verbindliches Christsein (48ff), Der Dienst des
Pfarrers (74ff), Versuche über und mit Bonhoeffer (I04IT), Anrede an
die Kirche (202ff), Gespräche mit dem Staat (248IT), Zeitungsartikel
(278ff) und Predigtmeditationen (296ff) nennen sich die Abschnitte,
die jeweils mehrere Beiträge zusammenfassen. Insgesamt umspannt
der Zeitraum vierundzwanzig Jahre. 1953-1977, in welchem diese
Inhalte gedacht, ausgesprochen und niedergeschrieben wurden, mithin
quer durch ein reiches Berufsleben als Pfarrer, Predigerseminarleiter
, Gencralsupcrintendent und Bischof. Es kann nicht ausbleiben,
daß Person und Amt des Autors hinter diesen Einzclausführungen
sichtbar werden und daher in gewisser Weise auch in der Rezension
dieser Art Rechenschaftsablagc zur Sprache kommen.