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Ausgabe:

1981

Spalte:

165-172

Autor/Hrsg.:

Fischer, Karl Martin

Titel/Untertitel:

Die Christlichkeit der Offenbarung Johannes 1981

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 3

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Die Christlichkeit der Offenbarung Johannes *

Von Karl Martin Fischer, Leipzig

1. Das Problem Forderung der Tora verschärft. Die wartenden Gläubigen verstehen

r. „~ . ■ .., ■ _, ... _ o. . e. sich selbst als die Vorhut der neuen Zeit. Angesichts des baldigen Ein-

Die Offenbarung ist ein in vielfältiger Weise umstrittenes Buch. Sie ....

u„, .... ... , . f _ „ .... „. ,. , _ • greifens Gottes wird die Forderung erhoben, umzukehren und Buße

hat glühende Verehrer und harte Kritiker. Die einen entdecken in ihr ...

j. _ , . _ . , _ . . ■ u ja zu tun. Die Bußwilligen schließen sich zu Konventikeln zusammen,

die Geheimnisse der Zeichen der Zeit, andere sehen in ihr den Aus- 6

l„ , ~ . .. rk:-:i.itu__.ii i ji _ Als Bekenntnisgemeinschaft und Bruderschaft warten sie auf das bal-

bruch von Schwarmertum. Die sich überstürzenden und kaum ver- 6

c-t« ji- u n u rn- u -u • i u i dige Hereinbrechen der Gottesherrschaft.

Handlichen Bilder sind den einen Ollcnbarungen uberirdischen, den 6

anderen kranken Geistes. Schon in der Alten Kirche fanden sich Geg- ln den apokalyptischen Konventikeln entsteht ein eigenes Schriftner
, und das war nicht nur der Erzketzer Marcion; auch den Alexan- tum, von der Auslegung des AT über Sammlungen von Lebensregeln
drinern war der hier sich aussprechende Geist fremd. Die Protest- bis hin zu den eigentlichen Apokalypsen. Obwohl auch die Apoka-
bewegungen gegen die verweltlichte Kirche, die im Papsttum die 'yPsen " wie «• B- Dan, 4Esr. ApkBar (syr), äthHen - andere Gattun-
Hure Babylon sahen und sich selbst als heilige Märtyrer fühlten, be- 8en in sicn aufnehmen, entwickeln sie eine ihrem Geschichtsbild ent-
riefen sich auf dieses Buch. Doch auch das sehnsüchtige Warten der sprechende eigene sprachliche Ausdrucksform. Da sie einen weltstillen
Frommen suchte Rat und Zeitdeutung in ihm. Die Leiden- geschichtlichen Entwurf bieten wollen, der zeigt, daß die Welt ihrem
sehaft, die das ganze Werk durchglüht, macht es schwer, ihm gegen- Endc zugeht, wählen sie ein Pseudonym der Vorzeit (Daniel, Henoch,
über in distanzierender Betrachtung zu bleiben. Baruch. Esra, Abraham, ja sogar Adam und Eva), deren Offenbarun-
Das spiegelt sich auch in der wissenschaftlichen Forschungs- 8en bisner geheimgehalten wurden, jetzt aber enthüllt werden. Da
Beschichte wider. Von einer einheitlichen Auslegung der Apokalypse zeig< sich dem Leser in verhüllter Form, daß die bisherige Gekann
nicht einmal innerhalb der historisch-kritischen Forschung ge- schichte tatsächlich genau dementsprechend verlaufen ist, wie es hier
sprechen werden. Man spürt zwar den heißen Atem, der in diesem geweissagt steht. Damit gewinnt er die Überzeugung, daß die Tür die
Buch weht, aber es sträubt sich immer wieder gegen das Verstehen. Es Zukunft angekündigten Ereignisse genauso sicher eintreffen werden,
gehört geradezu zu dem Wesen dieses Buches, daß es sich rationalem Meist läßt sich für den Historiker daraus die Entstehungszeit erschlie-
Verstehen entzieht. Echte Wissenschaft wird die vielleicht von An- ßen< denn das geschichtlich Deutbare führt bis zur Zeit der Abfas-
fang an gewollten Grenzen des Verstehens respektieren. In einem sol- sun&' Dann weilel sicn die Darstellung immer mehr ins Bildhafte, um
chen apokalyptischen Buch soll gar nicht alles verstanden werden, jenes bald eintretende Endgeschehen zu weissagen. Auch die Vergan-
sondern der Leser soll selbst dazu gereizt werden, mit den Bildern genheit wird natürlich nicht in der Art einer Geschichtsschreibung
weiterzudenken und sie zu deuten. Diesem von ihr ausgeübten Reiz dargestellt, sondern in Allegorien und Sinnbildern, weil sie ja eine
kann sich offensichtlich auch wissenschaftliche Exegese nur schwer erst vom Leser zu deutende Weissagung sein soll. Personen werden
entziehen, denn an phantastischen Deutungen mangelt es nicht. als Tiere dargestellt, geschichtliche Ereignisse werden zum Natur-
Einig ist sich wissenschaftliche Exegese nur in der Ablehnung einer geschehen gemacht, Zahlen (meist von ihren astrologischen Geheimkirchen
- oder weltgeschichtlichen Deutung, wie sie seit Joachim von Bedeutungen erschließbar) und Farben sind Geheimsymbole. Der
Fiore über Bengcl bis in unsere Tage wundersame Blüten treibt. Die Verstehende vermag zu deuten, doch jede Apokalypse läßt auch
Offenbarung Johannes ist ein Buch, das zu einer bestimmten Stunde immer eincn geheimnisvollen Spielraum des Undeutbaren. Es ist ja
geschrieben wurde. Alle über diese Stunde hinausweisenden Ereig- himmlische Weisheit, und der Mensch vermag nur stückweise zu er-
n'sse sind keine geschichtlichen, sondern im strengen Sinne end- kennen.

Seschichtliche Geschehnisse. Zwischen der Stunde, in der der Apoka- Zweifellos gehört die Offenbarung Johannes zu dieser Literaturgat-

'yptiker an die Gemeinden Klcinasiens schreibt und dem dann in tung. Wir begegnen denselben Stilmitteln und Ausdrucksformen. Sie

unerbittlicher Folge ablaufenden Enddrama gibt es keine von ihm ins teilt mit dieser Literatur auch das Grundanliegen, die Gegenwart als

Augc gefaßten geschichtlichen Ereignisse, an denen man ablesen die Zeit der letzten Trübsal zu zeigen, in der die widergöttliche Macht

könnte, welche Stunde es auf der Weltuhr ist. Die Heuschrecken sind noch einmal ihre ganze Dämonie entfaltet. Danach wird Gott seine

weder die Türkenheere des 16. Jh. noch die Düsenjäger des 20. Jh. Herrschaft offenbaren und die, die im Kampf gegen Satan tapfer

E'nig ist sich die wissenschaftliche Auslegung auch darin, daß man widerstanden, gelitten oder gar den Märtyrertod gefunden haben, in

die Apokalypse im Zusammenhang mit den anderen jüdischen und sein Freudenreich führen.

ehristliclien Apokalypsen und den in ihnen entwickelten Sprach-und Diese offensichtliche Verwandtschaft zur jüdischen Apokalyptik

S'illormen sehen muß. hat das heute weithin anerkannte Urteil Bultmanns hervorgerufen:

Es soll jetzt nicht unsere Aufgabe sein, über die Probleme der Apo- „Man wird das Christentum der Apk als ein schwach christianisiertes

kalyptik und der Vielfalt ihrer Erscheinungen zu reden. Als eine Judentum bezeichnen müssen. Die Bedeutung Christi beschränkt

eigene religionsgeschichtliche Größe ist die Apokalyptik nur zu be- sich doch im wesentlichen darauf, daß er der leidenschaftlichen Hoff-

Breifen, wenn man von dem allen gemeinsamen Denkansatz ausgeht: nung die Sicherheit gibt, die cjen jüdischen Apokalyptikern fehlt. . .

Oott hat seine Herrschaft zeitweilig satanischen Mächten überlassen. Aber der eigentümliche Zwischen-Charakter des christlichen Seins ist

*°n den innergeschichtlichen Kräften ist nichts Positives zu erwar- nicht erfaßt worden ... Die Gegenwart ist... grundsätzlich nicht

,cn. Allein durch Gottes Eingreifen findet die Geschichte ihre Er- anders verstanden als in der jüdischen Apokalyptik, nämlich als eine

'üllung. Zeit der Vorläufigkeit, des Wartens." (Theologie des Neuen Testa-

Der Grundhaltung, geschichtliche Erfüllung allein von Gottes ments. 525f).

Handeln zu erwarten, entspricht eine „pietistische" Ethik, die die Es geht um eine Auseinandersetzung mit diesem Urteil Bultmanns:

I. Ist es wahr, daß die Offenbarung den eigentümlichen Zwischen-

, Charakter des christlichen Seins nicht erfaßt hat?

Der Vortrag wurde wahrend der theologischen Tage der Sektion Theologie/ j Wenn sjch doch zejgen ^„^ daß die Offenbarung den echt christ-

"P»g am 6. II. 1980 gehalten. Er stellt eine Zusammenfassung mir beson- ... , ,__. , . , . , r „ ,

d(.rv .. __. ,, ... 7 ., , liehen Zwischen-Charakter der Zeit nicht nur erfaßt, sondern ver-

. 's Wichtiger Gedanken zur Offenbarung Johannes dar. die ausführlicher und .. .

in Am . tu .r i. . u vi c u „t./ schärft hat, dann muß ihre Botschaft als christliche anerkannt wer-
'^scinanderscl/ung mit anderen I hesen entfaltet sind in: H.-M. Schenke/

* M. Fischer: Einleitung in die Schriften des Neuen Testaments Bd. II. Berlin: den. Dann kann man sich von der Apokalypse nicht distanzieren.

^Vang. Verlagsansiall: zugleich Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus Gerd indem man sie dem Judentum zuweist. Das Gespräch muß dann

ktohn 1979,277-114. innerchristlich geführt werden.