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Ausgabe:

1981

Spalte:

107-109

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Kolb, Robert

Titel/Untertitel:

Nikolaus von Amsdorf (1483 - 1565) 1981

Rezensent:

Rogge, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 2

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Philipp von Hessen versuchte daher wenigstens das evangelische
Lager zu einigen. Hierzu war der Konsens in der Abend-
niahlsfragc erforderlich. Das Marburger Religionsgespräch
von 1529 war ein Versuch in dieser Richtung. Der vorliegende
Band bietet hierzu wertvolles Material (Nr 119-121, S. 360-444).
Osiandcr war an den Vorbereitungen gutachtlich beteiligt und
nahm als Abgesandter der Nürnberger an den Verhandlungen
in Marburg teil. Sein Name findet sich unter den Dokumenten
neben denen Luthers, Mclanchthons und Zwingiis. Das Ausgleichsgespräch
brachte im entscheidenden Punkt keinen Erfolg.
Osiandcr edierte die Marburger Artikel (Nr 119). Aufschlußreich
ist sein persönlicher Bericht über das Gespräch (Nr 120). - Der
7. Artikel von „unser Gerechtigkeit vor Gott" (S. 419), in dem
vom Glauben die Rede ist, durch den wir „seines Sons gerechtig-
keit . . . teilhafftig werden" mußte Osiandcr später in Königs
berg gelegen kommen. Ein Nachdruck erfolgte später jedoch
nicht; allerdings spielten die Marburger Artikel im Zusammen
hang mit der Königsberger Kirchenordnung von 1558 noch
eine Rolle im Sinne behutsam osiandristischer Lchrauffassung
(vgl. Fligge: Herzog Albrccht von Preußen und der Osiandris-
mus 1522-1568. Diss. phil. Bonn 1972. S. 29, 316; 310ff).

Einen Schwerpunkt des Bandes bilden schließlich die zahlreichen
Qucllenstücke, die sich mit Fragen der Visitation und
der künftigen Kirchenordnung beschäftigen (Nr 96-98, 101,
107, 126 f, 133-136). Die Nürnberger Visitationsartikcl von
1528 haben ebenfalls auf Königsberg eingewirkt. Osiander
übergab diese 1551 Hz. Albrecht von Preußen zur Vorbereitung
einer geplanten Visitation (S. 130, 132), wobei er Ergänzungen
vornahm (S. 134). Seebaß beurteilt diese Artikel als „eine sehr
wesentliche Quelle für die Theologie Oslanders", die aber bislang
nicht angemessen gewürdigt wurde (S. 140).

Im Rahmen der Visitation wurden konkrete Fragen geklärt
wie z. B. die Weiternutzung von Sakramentshäuschen (S. 190),
Häufigkeit der Abendmahlsgottesdienste, Anwendung des Kirchenbanns
, geistliche und weltliche aufsichtsrechtliche Fragen.
Nürnberg war im Zusammenwirken mit dem Fürstentum Ansbach
an der Erstellung einer Kirchenordnung nachhaltig interessiert
, und Oslander wurde mit der Ausarbeitung beauftragt.
Er erntete mit seinem Kirchenordnungsentwurf (Nr 126), der
sich an die Schwabacher Ordnung anlehnte, freilich die Kritik
Spenglers. Dieser arbeitete mit den Predigern eine Alternativfassung
aus. Oslanders charakterliche Schwäche angesichts
mangelnder Kooperation mit den Kollegen, wird deutlich und
von Spengler beklagt. (Nr 136). Osiander war die Federführung
zugedacht, nicht aber die Erarbeitung im Alleingang. Die
gemeinsame Abstimmung war erwünscht.

Daß diese Vorarbeiten dennoch zu einem fruchtbaren Ergebnis
führten, wird der hoffentlich bald folgende Qucllenband
dokumentieren. Den Mitarbeitern an diesem Band gilt der
Dank aller, die das Projekt Osianderausgabe mit Anteilnahme
und guten Wünschen weiterbegleiten.

Duisburg Jörg Rainer Fligge

Kolb, Robert: Nikolaus von Amsdorf (1483-1565). Populär
Polemics in the Preservation of Luther's Legacy. Nieuwkoop:
de Graaf 1978. 296 S„ 1 Taf. gr. 8° = Bibliotheca Humani-
stica & Reformatorica, XXIV. Lw. hfl 90,-.

Die Forschung zu Themen des jungen Luther hat seit etwa
einem halben Jahrhundert viele Interessenten gehabt. Der
späte Luther und die Reformatoren um den Reformator fanden
weniger Bearbeiter. Man kann den Eindruck haben, daß sich
die Gewichte in letzter Zeit etwas verlagern. Für 1983 ist eine
Festgabe zur Biographie des späten Luther, etwa seit 1530,
vorgesehen. Aber auch Werkeausgaben und Monographien
über diejenigen, die Luthers Gedanken aufnahmen, sind entstanden
oder im Entstehen (Brenz, Osiander, Buccr u. a.).

Bisher wenig ins Licht der Nachwelt gestellt wurde ein
Theologe, der als Luthers Nachfolger (7) und Sachwalter -
wie er sich auch selbst empfand - bezeichnet wurde. Der erste
evangelische Bischof war schon zu Lebzeiten nicht unumstritten.

Er starb einsam und in nicht nur räumlicher Distanz von zahlreichen
ehemaligen Freunden, nachdem der, dessen Vermächtnis
er wahren wollte, bereits fast zwei Jahrzehnte tot war.

Der Vf., bis vor kurzem in der Nachfolge des verdienten
Reformationshistorikers Carl S. Meyer Direktor des Center for
Reformation Research, in unmittelbarer Nähe des Concordia-
Seminars in St. Louis/USA gelegen, ist seinem Forschungsgegenstand
schon seit längerem verbunden. Seine Dissertation
im Jahre 1973 war schon ganz und gar (und so gar nicht
spezialthematisch) Nikolaus von Amsdorf gewidmet (10). Wer
in der vorliegenden große Strecken des Lebenswerkes Amsdorfs
aufnehmenden Monographie ein undifferenziertes Gemälde
eines der wesentlichen Väter der lutherischen Orthodoxie
(vielleicht auch noch in der geistigen Ahnenreihe der Missouri-
Synode) vermutet, unterliegt einer Fehleinschätzung. Wohl
stellt sich der Autor den Fragen, ob man in Amsdorf einen
zweiten Luther vor sich habe (15 ff. 25), ob er ein Theologe
von Natur gewesen sei, wie wir es in Luthers Tischreden lesen
(WATi III 461), aber er läßt gleich eingangs das Ergebnis
seiner Studien durchblicken: Luthers Gewand paßte auch ihm
nicht. Niemand neben und nach Luther füllte es ganz aus, aber
Kolb verwendet viel Sorgfalt darauf, das Wie der Vermächtniswahrung
präzise zu beschreiben.

Das Vorwort besteht fast ausschließlich aus Dankadressen,
denjenigen gewidmet, die am Entstehen der Arbeit wesentlichen
Anteil hatten. Der Leser wird dafür dankbar sein; denn auf
diese Weise erfährt er von der anerkennenswerten Gründlichkeit
, mit der der Autor in beiden deutschen Staaten sich um
die - zum Teil ungedruckte - literarische Hinterlassenschaft
Amsdorfs bemüht hat. So sind die 7 Bände Amsdorfiana in
Weimar genauso herangezogen worden (s. dazu TRE II 496)
wie die einschlägigen Bestände in Wolfenbüttel. Eine auch die
Handschriften einbeziehende umfangreiche Bibliographie (243
bis 288) ist hoch dankenswert und für alle Weiterarbeit an
Amsdorf unverzichtbar. Das Verzeichnis der Sekundärliteratur
weist überdies aus, daß Kolb schon früher im Blick auf Ams
dorf bibliographisch tätig war (284).

In vier großen Kapiteln versucht der Vf. seiner Themastellung
gerecht zu werden. Überschriften und Seitenzahlen geben
bereits einen Eindruck davon, wo der Akzent des Buches liegt,
nämlich bei Amsdorfs Beitrag zur schwierigen und zum Teil
undurchsichtigen Kontroverssituation in den Jahren nach
Luthers Tod, in der Schilderung der zermürbenden Kämpfe
innerhalb des Luthertums oder auch daneben im Horizont des
Interims, des adiaphoristischen, majoristischen und synergistischen
Streites.

Kolb beginnt die Hauptteile mit einer relativ kurzen Schilderung
der Zeit Amsdorfs als Student, Wittenberger Professor,
Magdeburger Superintendent, Naumburg-Zeitzer Bischof - und
dieses alles in der ständig ungetrübten Vergewisserung der
Freundschaft Luthers (27-61). Von Luthers Vertrauen getragen
(s. obiges WA-Zitat), wirkte er lehrend, predigend, die Reformation
kirchenpraktisch fördernd. Das theologiegeschichtlichc
Wie und Was des Anschlusses an Luther hätte man gern noch etwas
präziser erfahren. Auch in der ursprünglichen theologischen
Bindung würde man noch eingehender unterrichtet sein wollen,
aber der Vf. geht hier über etwas allgemeine Angaben nicht
hinaus. Wie ist es exakt um Amsdorfs „Scotist instruetors"
und um seine Prädikation als „father of Lutheran orthodoxy"
(16) im Einzelaufweis der Phänomene wirklich bestellt? Fragen
sind hier wohl leichter gestellt als beantwortet, meint doch
auch der Vf. selbst ziemlich deutlich, daß die Quellenbasis
für Amsdorfs Wittenberger Jahre bis 1524 schmal sei. Immerhin
läßt diese eine Behauptung zunehmender Entfernung von
Luthers dynamischer, lebendiger Glaubensart zugunsten eines
„straightjacket of orthodoxy" (40) nicht zu. Kolb weist für die
Schriften des Professors und Superintendenten in dieser Zeit
wohl auf das Vorhandensein eines Skeletts evangelischer
Theologie hin, aber nicht minder auf das Fehlen der Wärme,
Kraft und Tiefe, die sich in Luthers schriftlichen Zeugnissen
finden. Erfahrung und Lchrengagement waren bei ihm wohl
da (41), aber Luthers Schriftunmittelbarkeit und Aussagekraft
erreichte er auch dann nicht, als er in Magdeburg und anderen