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Ausgabe:

1981

Spalte:

99-100

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Trummer, Peter

Titel/Untertitel:

Die Paulustradition der Pastoralbriefe 1981

Rezensent:

Wanke, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 2

100

zuzuschreiben" (235), wobei weder die oft zusammengestellten
Gegenargumente noch die Schwierigkeit von 21,23f überhaupt
erwähnt werden, und sucht dann, immer anhand von blofjen
Aufzählungen, zu zeigen: Johannes „ist von allen Evangelisten
in der Tat der Genaueste" (237), er gibt „als einziger eine Chronologie
des öffentlichen Lebens Jesu" (239), und „diese vielfachen
und übereinstimmenden Feststellungen können den
Leser nur überzeugen, die Schlußfeststellung des Evangeliums
21,24 ernst zu nehmen: diese Seiten sind das Zeugnis eines
Mannes, der den Herrn gesehen und gehört hat" (247). Die Abweichung
der johanneischen Reden von den synoptischen Jesusworten
erklärt sich daraus, daß der Lieblingsjünger „60 Jahre
lang verbracht hat, über die Worte Jesu nachzudenken und sie
unaufhörlich zu meditieren" (249), doch zeigen die wiederholten
Berührungen mit synoptischen Jesusworten, daß „die Meditation
des Johannes . . . sich ganz nah bei den Jesusworten
hält" (253). So sucht dann das letzte Kapitel „allein mit Hilfe
der Texte des Neuen Testaments" (258) nachzuweisen, daß
alles „uns fast unwiderlegbar dazu treibt, den Licblingsjünger
mit Johannes, dem Zebedaiden, gleichzusetzen" (266), und
wenn demnach „der Verfasser des 4. Evangeliums gern und
gut ein Jesusjünger, ein Augenzeuge, der Zebedaide ist, erklärt
sich alles auf die natürlichste Weise von der Welt" (267).

Man ist versucht, am Ende der Lektüre dieses üppig gedruckten
Buches nachzusehen, ob das Titelblatt tatsächlich die
Zahl 1979 trägt! Können die Nachweise der beiden ersten Teile
des Buches (bis S. 172) denjenigen in seiner Meinung bestärken,
der (wie der Rez.) eine literarische Beziehung zwischen Johannes
und Markus für wahrscheinlich hält, so ist bereits die
Behauptung einer Kenntnis der aramäischen Quelle Q völlig
unbewiesen, und alle weiteren Ausführungen, die in souveräner
Weise die gesamte Johannesforschung ignorieren (genannt
werden nur je einmal summarisch M. Black und C. H. Dodd)
können nur den überzeugen, der schon vorher die Anschauungen
des Vf. teilt, zumal er sich um die doch genügsam bekannten
Gegengründe gegen seine Auffassung überhaupt nicht
kümmert. So ist dieses Buch als ganzes nicht nur um Jahrzehnte
zu spät erschienen, sondern hat auch in seinen beiden
ersten Teilen nur einen sehr beschränkten wissenschaftlichen
Wert.

Marburg (Lahn) Werner Georg Kümmel

Trümmer, Peter: Die Paulustradition der Pastoralbriefe. Frankfurt
/M. - Bern - Las Vegas: Lang 1978. 279S. 8° = Beiträge
zur biblischen Exegese und Theologie, 8. Kart, sfr 51,-.

Die Auslegung der Pastoralbriefe (= Past) auf pseudepi-
grapher Grundlage hat innerhalb der kath. Exegese erst eine
junge Geschichte. Die vorliegende Studie, eine überarbeitete
Habilitationsschrift der kath.-theol. Fakultät Graz, will den
literarischen und theologischen Beziehungen der Past zu den
echten Paulinen nachgehen und die Past als Zeugnisse der
Paulustradition würdigen. Der Vf. geht von der richtigen und
für seine Untersuchung grundlegenden Einsicht aus, dafj die
Past „ihre literarische und theologische Absicht nur dann wirklich
freigeben, wenn sie als das betrachtet werden, was sie sind,
nämlich als eine besondere Form der P(aulus)-Tradition" (211).

Dem Vf. ist darin zuzustimmen, dafj erst eine entschiedene
Antwort in der Autorfrage die Grundlage einer sachgerechten
Auslegung der Past bilden kann. In einem 1. Teil (Das Problem
der Past, 15-56) bezieht der Vf. unter Aufnahme der wichtigsten
Positionen der Forschungsgeschichte, die auch neueste
Gesprächsbeiträge (etwa von B. Reicke in ThLZ 102, 1976
Sp. 81 ff) berücksichtigt, klar Stellung. Die Past sind danach als
fiktive Paulus-Briefe konzipiert. Sie stehen freilich schon in
einem gewissen Abstand zum Apostel („zweite nachpl. Generation
", 104; „Tritopaulinen", 228), sind aber nicht zu spät anzusetzen
(gegen Campenhausen). Man vermißt einen Hinweis auf
Vielhauers modifizierte Zustimmung zu Campenhausen (vgl.
Geschichte der urchristlichen Literatur, 1975, 236f). Ausführlich
wird in Teil 2 die Pseudepigraphie der Past (57-106) untersucht
, wobei der Vf. die „totale Pseudepigraphie" (74) auch angesichts
der persönlichen Notizen innerhalb der Briefe überzeugend
verteidigt und auf die hermeneutische Funktion der
Pseudepigraphie als Stilmittcl in nachpln Zeit aufmerksam
macht. Der Vf. versteht die Past als ein geschlossen konzipiertes
„literarisches Triptychon" (74), das (besonders im Blick
auf 2Tim als „Testament des Paulus") Anspruch auf eine abschließende
Paulus-Interpretation erhoben habe.

Den Schwerpunkt der Arbeit bilden Teil 3 (Die literarische
P-Tradition, 107-160) und Teil 4 (Die Theologie der Past als
P-Tradition, 161-250), in denen der Vf. sein eigentliches Anliegen
zum Zuge bringt, die Past in Abgrenzung und Zuordnung
zu den pln Briefen „als Phänomen einer sehr eigenartigen,
aber doch positiven P-Tradition zu erkennen" (242). Die Unter
suchung der literarischen Berührung zwischen den Past und
Paulus zeigt „die bewußte Anlehnung an das pln Briefformular
im allgemeinen und an IKor, Rom und das Modell eines
Gefangenschaftsbriefes wie Phil im besonderen" (241). Die
konsequente pseudepigraphe Auslegung kann manche Stellen
prägnanter in ihrer Bedeutung erfassen, etwa in 2Tim 3,15f
die inspiratorische Hochschätzung auch der pln Brieflitciatur
oder in den sog. „Paulusanamnesen" eine indirekte programmatische
Standortbestimmung des Autors aufdecken. Das größte
Interesse darf der Vf. bei der Darstellung der Theologie der
Past erwarten, setzt doch gerade hier die Sachkritik an den
Past ein. In fünf Schritten werden zentrale theologische Themenkreise
abgehandelt, insofern sie Berührung mit pln Aussagen
haben: Die Theologie der Past als Kontroverse, Rechtfertigung
, Christologie, Ekklesiologie, Ethik.

Es bleibt nach der Lektüre der Eindruck, daß der Vf. die
kritischen Fragen an die Past gerade als Dokumente einer bewußten
Fortschreibung pln Theologie mit der Feststellung
eines zeitlichen Abstandes und eines veränderten „Sitzes
im Leben" entschärft. So hilfreich das Konstatieren des dialektischen
Verhältnisses von Anknüpfung und Abgrenzung gegenüber
dem echten Paulus im einzelnen ist, um so eindringlicher
erhebt sich die Frage einer Wertung dieser Art von Paulustradition
.

Es bleiben auch im einzelnen Fragen. Die von den Past bekämpfte Irrlehre
ist bekanntlich schwer zu fassen und kaum konkret zu orten. Doch erklärt der
..grundsätzlich offene, nachpln Horizont" (172) schon zur Genüge, dafj die Ketzerbekämpfung
ein konstitutives Element der Past bildet? Der Vf. betont zu
Recht, da§ der Autor angesichts der Häresie als bleibender Gefährdung auf das
Amt verweisen möchte, doch sollte die Tatsache einer einheitlichen Front in
allen Briefen sowie das Vorhandensein einzelner konkreter Hinweise (etwa
lTim 6,20) noch intensiver auszuwerten sein. - Bei der Aufarbeitung der
theologischen Motive der Past werden die modifizierten Anknüpfungen an
Paulus hilfreich erhellt, doch wird die Tatsache, dafj auf die Breite gesehen
wichtige pln Theologumena ausfallen, zu wenig berücksichtigt. Wirkt die pln
Rechtfertigungslehre in den Past nicht doch mehr wie ein Relikt denn als
„Transformation und Interpretation" (193)? Hinsichtlich der Christologie vermerkt
der Vf. „keine speziellere Ausrichtung an P(aulus)" (243). Gälte ähnliches
nicht auch insgesamt von der Ethik zu sagen, die die bei Paulus vorhandene
Spannung zwischen Indikativ und Imperativ doch letztlich verkürzt? Ist z. B.
der Syneidesis-Begriff so konform, wie der Vf. glauben macht (236)? - Zustimmung
darf dem Vf. gewiß sein, wenn er betont, dafj in den Past nur in eingeschränktem
Sinn von einem Amtsprinzip gesprochen werden kann (223). Reicht
dazu aber der Hinweis, die Amter hätten jedem Gemeindeglied offengestanden
und seien nicht monopolisiert gewesen? Hier gälte es zu fragen, ob dem Amt
(um Bultmanns bekannte Formulierung aufzugreifen) nur regulierende oder
doch konstituierende Bedeutung zukommt. Soll nicht gerade das Amt die
sicherlich sachlich vorgeordnete Paratheke bewahren, also diese doch in gewisser
Weise garantieren? Auch wenn wir, wie der Vf. richtig bemerkt, die
Past nicht einseitig an Paulus zu messen haben oder gar ihnen aufgrund eines
solchen Vergleiches eine geringere kanonische Dignität zusprechen dürfen, sollten
wir sie doch in ihrem eigenen Anspruch, Paulustradition sein zu wollen,
ernst nehmen. Dann aber scheint „Paulus" doch wohl weithin ein Mantel zu sein,
hinter dem das Eigene und Andersartige der Past an bedeutend mehr Stellen,
wie diese Arbeit nahelegt, durchscheint.

Die Fruchtbarkeit einer entschiedenen pseudepigraphen Auslegung
der Past kann diese Studie erneut bestätigen und durch
manche interessante Einzelauslegungen, auf die hier nicht eingegangen
werden kann, dokumentieren (vgl. z. B. zu 2Tim 2,2
„was Du von mir durch viele Zeugen gehört hast", 190). Ein
Stellen- und Autorenregister erleichtert dankenswerter Weise
die Aufschlüsselung. Zustimmung verdient ferner die Grundthese
der Arbeit, die Past als Zeugnisse einer Paulustradition
auszulegen. Daß die Past ein Dokument der hohen Wertschätzung
des Paulus darstellen und ihren Teil zu einer gesamtkirchlichen
Rezeption pln Gedankengutes beigetragen haben, ist
nicht zu bestreiten. Doch wird über den modifizierten und in
„Auswahl" und nicht zuletzt mit „Weglassungen" präsentierten
„Paulus" der Past noch weiter zu diskutieren sein.

Erfurt Joachim Wanke