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Ausgabe:

1981

Spalte:

74-77

Kategorie:

Allgemeines

Titel/Untertitel:

Das Menschenbild des Nikolaus von Kues und der christliche Humanismus 1981

Rezensent:

Kandler, Karl-Hermann

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 2

71

umfrage »Wie stabil ist die Kirche?" (hrsg. v. Helmut Hild, 1974)
seinerseits unter der Überschrift: „Wie labil ist die Kirche?"
seine Warnung: „Kirchliche Konjunkturforschung unter dem
obersten Wertmaßstab der konjunkturellen Stabilität der Kirche
beim 'Verbraucher' ist von vornherein eine schiefe Sache"
(350). „Denn Stabilität ist eine kirchenfremde Größe. An Sta-
bilitätsvcrlust geht die Kirche bestimmt nicht zugrunde" (354).

Im Kontext des Kirchcnvcrtragcs von Loccum (1955) und des
Konkordats (1965) mit dem Land Niedersachsen plädiert H.
(„In verrosteten Angeln?", 1965) zwischen Landeskirchcntum
und Freiwilligkcitskirchc für eine nach dänischem Muster
wohlverstandene Volkskirchc als „freies Angebot": „Volkskirchc
ist Dienst am Volk für dessen Leben in der Welt" (256). Im
Unterschied zur empirischen Kirche braucht und duldet die
Kirche des Glaubens kein „Vertretungssystem'' („Wer vertritt
die Kirche? Zum Problem der kirchlichen Repräsentanz', 1974),
das mit der „reinen Wortgewalt der Herrschaft Christi in seiner
Gemeinde" (361) nur konkurrieren könnte.

Eine echte Gelcgenhcitsrede ist der Vortrag „Politisches Ermessen
und politische Entscheidung als Problem des Gkiubens-
gehorsams und der Einheit der Kirche", den er 1955 auf einer
Hit der Frage der Wiederbewaffnung befaßten Tagung in
Loccum gehalten hat und mit dem er zum verantwortlichen
Gebrauch der politischen Vernunft und zum Ertragen auch gegensätzlicher
Entscheidungen in brüderlicher Liebe anhält.
von ungeschmälerter Aktualität sind seine Überlegungen zu
■Krieg und Flieden im Lichte der Königsherrschaft Christi"
(1958): „Wer an die Königsherrschaft Christi glaubt, der kann
nicht zugleich auch an die 'Stärke' glauben und sich auf sie
verlassen" (232).

b) In den homiletischen Untersuchungen i „Auftrag und
Verh eißung der Predigt im Lichte der hermeneutisehen Frage"
(1950), „Die Verkündigung im Wandel des Welt und Selbst-
verständnisses des Menschen" (1953) und „Der Dienst der
historisch-kritischen Exegese an der Predigt" (1963) sieht H.
■n der historischen Kritik, der cxistcntialcn Interpretation und
■n der Entmythologisicrung biblischer Texte methodische Hilfen
zur rechten Unterscheidung von Gottes- und Menschenwort
in der Predigt. Hingegen wehrt er sich gegen die Rezeption
hunianwissenschaftlichcr Methoden und Erkenntnisse durch
die Praktische Theologie und sieht in ihnen die Gefahr einer
Überforderung derer, die heute zu predigen haben („Predigen
unter dem Leistungsdruck unserer Zeit. Randbemerkungen
zur heute gefragten, humanwissenschaftlich perfektionierten
Leistungspredigt", 1973).

Vorbehalte einer überwiegend historisch-hermcncutisch arbeitenden
Praktischen Theologie gegenüber der Forderung,
Slch als Handlungswisscnschaft - orientiert am Maßstab der
Effizienz - neu zu begreifen, formuliert H. bereits 1968 in Auseinandersetzung
mit Hans-Dieter Bastian („Von Barth zu
Bastian. Erwägungen zu H.-D. Bastian, Vom Wort zu den Wörtern
- Karl Barth und die Aufgaben der Praktischen Theologie
") : „Indem der Mensch mit Hilfe von Wissenschaft und
Technik zu empirischer Wirklichkeit sich theoretisch und prak
tisch verhält, verhält er sich immer schon auch zur Schöpfung
und zum Schöpfer. Das ist das störende 'Axiom' in der Rechnung
der empirischen Analyse zu dem Zwecke des 'was kann
nian machen?'" (312). In diesem Zusammenhang darf vermutet
werdcn, daß der auch heute noch nicht überholte Aufsatz:
■Was wir an den Gräbern sagen" (1947) der später durch Rudolf
Bohrens Schrift „Unsere Kasualpraxis - eine missionarische
Gelegenheit?" (1960) ausgelösten Debatte über die kirchlichen
Amtshandlungen möglicherweise eine andere Wendung gege
ben hätte, wenn die in ihm enthaltenen Ansätze zu einem positiven
Verständnis von Ritual und civil rcligion auch human
Wissenschaftlich hätten erhärtet werden können.

In kritischer Auseinandersetzung mit der Agendenrevision
lst der Aufsatz „'Wort und Sakrament' in ihrer Bedeutung für
"'e Erneuerung des Gottesdienstes" (1953) geschrieben, der
bereits in dem Sammelband „Daß wir die Predigt und sein
^°rt nicht verachten" (1958) wieder abgedruckt vorliegt: „Eine
gute Gottesdienstordnung muß immer von der Art sein, daß sie
offcn bleibt, Raum läßt und Raum gibt dem Geber und der

Gabe der evangelischen Freiheit. Auf diese Freiheit ist alle
Gottesdienstordnung zu relativieren" (154).

c) Bei dem zwischen Barth und Bultmann um die Mitte des
Jahrhunderts geführten theologischen Streit über die Bedeutung
der Anthropologie für den Erkenntnisweg in der Theolo
gic hat H. eine vermittelnde Haltung eingenommen. Dies wird
in seiner Behandlung der Frage: „Was ist Freiheit?" (1955)
deutlich, die er in weitgehender Übereinstimmung mit Barths
Grundlegung evangelischer Ethik: „Das Geschenk der Freiheit"
(1953) beantwortet: „Genau so wie Barth ist auch Bultmann
darauf aus, des Menschen Freiheit als eine solche zu verstehen,
die er in dem Rni vernimmt, der an ihn ergeht" (181). Den
Gegensatz zwischen ihnen sieht H. in der unterschiedlichen
Behandlung des Sprachproblems in der Theologie: „Es ist ja
keine Frage, daß auch Barth hermeneutisch verfährt, daß
auch er nur von Gott reden kann, indem er den Menschen zur
Sprache bringt. Wenn es sich überhaupt um einen ernsten
Gegensatz zu Bultmann handelt, dann muß dieser sich in einer
verschiedenen Hermeneutik zeigen" (185).

Bultmanns Hermeneutik der existentialen Interpretation im
Anschluß an Heideggers „Sein und Zeit" stellt H. in dem Vortrag
: „Die Theologie Rudolf Bultmanns und die Philosophie"
(1964) dar, wobei die Wertung dieser Rezeption vielleicht eher
auf H.s Art, Theologie zu treiben, als auf Bultmann zutrifft:
„Es liegt darin ein Stück Glaubensgehorsam gegenüber der
Forderung der geistesgeschichtlichen Situation, wie Bultmann
sie während Heideggers Marburger Zeit höchst konkret vorgefunden
hat" (294).

Herausforderungen sind für H. auch die sog. Bekenntnisbewegung
'Kein anderes Evangelium', mit der er sich in „Der
Streit um die moderne Theologie " (1967) befaßt, wie auch das
Jesus-Buch von Rudolf Augstein, dessen Nutzen er darin sieht,
„menschliche Existenz zu artikulieren, die sich von keinem Gott
und von keinem Menschensohn mehr im Ernst geliebt weiß"
(336. „Die sich nicht mehr geliebt wissen", 1973). Beiden gemeinsam
ist ein historischer Fundamcntalismus, dem gegenüber
historisch-kritisch arbeitende Theologie die Aufgabe hat
zu zeigen, „was es besagt, daß Jesus in das Kerygma auferstanden
und so in der Gemeinde gegenwärtig und wirksam
ist" (327. „Tod und Auferstehung Jesu als zentrale Aussagen
der Theologie", 1969).

Sich dieser Aufgabe mit Engagement und Freude gestellt zu
haben, bezeugt H.s letzter Aufsatzband (vgl. den zu Barths
70. Geburtstag geschriebenen Aufsatz: „Von der Freude", 1956).

Haan Henning Theurith

|Haubst, Rudolf:) Das Menschenbild des Nikolaus von Kues
und der christliche Humanismus. Die Referate des Symposions
in Trier vom 6.-8. Oktober 1977 und weitere Beiträge.
Festgabe für Rudolf Haubst zum 65. Geburtstag dargebracht
von Freunden, Mitarbeitern u. Schülern, hrsg. v. M. Bodewig,
J. Schmitz, R. Weier. Mainz: Matthias-Grünewald-Vcrlag
1978. XXIV, 479 S., 1 Porträt gr. 8° = Mitteilungen und Forschungsbeiträge
der Cusanus-Gesellschaft, 13. Kart. DM 70,-.

Diese Festschrift ist R. Haubst gewidmet; er hat sich besonders
um die Persönlichkeit, um die Theologie und Philosophie
des NvK bemüht, „in dessen Werk der Mensch in seinen religiösen
, kirchlichen und politischen Beziehungen eine nicht
übersehbare Bedeutung einnimmt". Die Beiträge versuchen,
„das Menschenbild des NvK in seinen weitausgreifenden und
vielgestaltigen Problemstellungen aufzuhellen, die lebendige
Auseinandersetzung mit den Strömungen der damaligen Zeit
herauszuarbeiten und die Bedeutung des NvK auch für die
heutige Zeit sprechen zu lassen" (IX). Mit wenigen Ausnahmen,
die hier auch nicht weiter besprochen werden können, entsprechen
die Aufsätze dem Rahmenthema und dem Ziel, das
die Herausgeber angegeben haben. So ergibt sich eine in sich
fast geschlossene Festschrift. Glücklicherweise scheint die Zeit
vorbei zu sein, wo Festschriften ganz unterschiedliche Aufsätze
enthielten.