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Ausgabe:

1981

Spalte:

923-924

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Bindemann, Walther

Titel/Untertitel:

Weltverantwortung als Hoffnung 1981

Rezensent:

Bindemann, Walther

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923

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 12

924

Referate über theologische Dissertationen
in Maschinenschrift

Bindemann, Walther, Weltverantwortung als Hoffnung, Exegetische
und hermeneutische Aspekte der Relation von Ktisiologie und
Soteriologie, dargestellt an Römer 8,19-22, Diss. A Rostock 1980,
179 S.

Die anzuzeigende Arbeit ist im Kern (Kap. 3 und 4) eine exegetische
Untersuchung von Rom. 8,12-39 mit dem Ziel, den „ktisiolo-
gischen Exkurs ' 8,19-22 in seiner Funktion näher zu bestimmen.
Dieser Text gilt als „ein gewisser Indikator für unsere heutigen theologischen
Besinnungen u. a. über Geschichte, Anthropologie und
Weltverständnis" (U. Gerber, Nov. Test. 8, 1966, 80). Die vorliegende
Untersuchung versucht, ausgehend von einer Interpretation dieses
Textes und seines näheren Kontextes,

1. deutlich zu machen, welcher Gesprächsposition sich Paulus bei
der Niederschrift von Rom. 8 gegenübersieht,

2. deutlich zu machen, wie und mit welcher Absicht der Apostel vorgegebene
Überlieferung in das Gespräch einbezieht,

3. die Funktion von Rom. 8,19-22 auszumachen und

4. von dieser Funktion her den Stellenwert der ktisiologischen Aussagen
von Rom. 8,19-22 im Rahmen einer biblischen Theologie zu
reflektieren.

Der apokalyptische Charakter von 8,19-22 ist in neuerer Zeit wiederholt
überzeugend nachgewiesen worden; er wird als gesichert vorausgesetzt
. Nach einer verbreiteten - und etwa durch E. Käsemanns
Römerbriefkommentar eindrucksvoll ausgeführten - Auffassung
setzt der Apostel mit dem Abschnitt apokalyptische Theologie gegen
einen Enthusiasmus, wie er in den hellenistischen Gemeinden vor
und neben Paulus verbreitet war. Gegen solche Annahme aber erheben
sich aus dem Text selber wie aus dem Kontext erhebliche Bedenken
.

Wie die Analyse des Kontextes (8,12-17. 26f. 28-39) ausweist,
setzt Paulus sich Rom. 8 mit einer christlich-apokalyptischen Meinungsfront
auseinander, die jüdischer Apokalyptik nahesteht und, im
Warten auf den Messias Jesus verunsichert, nach ihrem verheißenen
Erbe fragt. Paulus nimmt ihre Fragestellungen auf, stellt sie aber in
einen christologischen, von Kreuz und Auferstehung Christi her geprägten
Rahmen. Diese christologische Perspektive gewinnt der Apostel
durch Rückgriff auf Tauftraditionen, die teilweise auch von seinen
Gegnern anerkannt gewesen sein müssen, teilweise aber auch in
den Bereich hellenistisch-enthusiastischen Christentums verweisen,
von dessen theologischen Positionen her Paulus die Fragestellungen
der römischen Adressaten seines Briefs korrigiert: Die im Christusgeschehen
von Kreuz und Auferstehung realisierte und in der Taufe
dem einzelnen Christen zugesprochene Freiheit der Kinder Gottes
wird von Paulus für die Gegenwart reklamiert.

Von seinem christologischen Ansatz her kann der Apostel einerseits
betonen, daß in der Nachfolge des Gekreuzigten auch leidvolle
Gegenwartserfahrung zum Element der Hoffnung werden und zu
hoffnungsvoller Bewältigung der Gegenwart wie zur Solidarität mit
der noch unerlösten xvaig anleiten kann; andererseits kann der Apostel
die mit der Auferweckung Christi eröffnete Perspektive neuen
Lebens festhalten, in dem die Glaubenden nichts und niemand von
der Liebe Gottes in Christus trennen kann.

In diesem Horizont sind die ktisiologischen Aussagen von Rom.
8,19-22 zu sehen. Paulus trägt sie vor in Form eines apokalyptischen
Referats, das auf jüdisch-apokalyptisches Denken als den Hintergrund
verweist, der die Adressaten seines Römerbriefs maßgeblich
bestimmt. Er hat aber in diesem apokalyptischen Referat Akzente gesetzt
, die seine eigentliche Position und sein Anliegen deutlich
machen; Ihm liegt an Präzisierung christlicher Hoffnung als Vertrauen
auf den Gott, der durch sein geschichtliches Handeln in Jesus
Christus seinen Anspruch auf die Welt als seine Schöpfung unter Beweis
gestellt hat. So bindet Paulus den Glauben an die Geschichte
und betont den Anspruch der geschichtlichen Gegenwart an die
Glaubenden, der seine sachgemäße Entsprechung in der Nachfolge
Christi findet.

Von den an Rom. 8 gewonnenen Einsichten her muß die Frage
nach dem Verhältnis des Paulus zur Apokalyptik so gestellt werden,
daß Käsemanns These, der Apostel sei auch als Christ Apokalyptiker
geblieben, eine Modifizierung erfährt (Kap. 5). Wenn Paulus in Rom.
8 gegenüber einer apokalyptisch orientierten Meinungsfront seinerseits
mit apokalyptischen Aussagen operiert, spiegelt dies einen Differenzierungsprozeß
jenes Komplexes wider, den wir als frühchristliche
Apokalyptik bezeichnen. Vor allem aber erweist sich wieder einmal,
daß Apokalyptik nicht Mitte paulinischer Theologie, sondern eine
Interpretationsebene ist, auf der die eigentliche Mitte: das Christus-
kerygma, entfaltet wird, wenn dieses „in seiner eschatologischen Endgültigkeit
aufgewiesen werden soll" (E. Lohse, ZNW 62,1971,66).

Die in Rom. 8 beobachtete Verzahnung von ktisiologischen und
soteriologischen Aussagen ist auch im Gesamtzusammenhang von
AT und NT dominant. Die Analyse schöpfungstheologischer Aussagen
des AT und NT im Rahmen einer biblischen Theologie (Kap. 6)
weist aus, daß in beiden Testamenten die Schöpfungstheologie nicht
als selbständiger Topos entfaltet wird, sondern in die Verkündigung
des Gottes integriert ist, der sich in geschichtlichen Ereignissen manifestiert
. Die Schriften des AT wie des NT betonen in je spezifischer
Weise die Identität Gottes als Schöpfer und Befreier von Welt und
Mensch.

Zwei Kapitel runden die Untersuchung ab: Kap. 2 geht der Frage
nach dem exegetischen Standort im hermeneutischen Horizont nach,
stellt dar, daß Exegese biblischer Texte immer auch die Interpretation
der Situation des Exegeten einschließt, daß darum immer auch mitbedacht
werden muß, ob, wie und warum bei der Exegese biblischer
Texte Projektionen gegenwärtiger Probleme auf die Texte wirksam
werden. Dabei geht es einmal um die Destruktion eines positivistischen
Verständnisses historisch-kritischer Arbeit und um die Anerkennung
einer Subjekt-Objekt-Relation bei aller exegetischen Arbeit.
Andererseits soll das die| eigene Interpretation leitende Interesse
schärfer konturiert werden: es ist die Frage nach der Weltverantwortung
von Christen und Kirchen in einer sozialistischen Gesellschaft.
Dies leitende Interesse erklärt, warum Rom. 8,19-22 nicht einfach im
Rahmen einer Theologie der Natur oder der Schöpfung, also unter
ausschließlich ktisiologischen Fragestellungen, interpretiert werden
konnte, sondern im Rahmen der Frage nach der Weltverantwortung
der Glaubenden.

Ein Anhang skizziert Erwägungen zum historischen Hintergrund
des Römerbriefs, die über die an Rom. 8 gewonnenen Einsichten hinaus
das Profil der Adressaten des Briefes zu konturieren versuchen. Es
erweist sich, daß Paulus sehr konkret in Auseinandersetzungen in der
römischen Gemeinde eingegriffen hat. Sein Brief ist nicht an die Gemeinde
als ganze, auch nicht, wie weithin angenommen wird, an Heidenchristen
, sondern an eine judenchristliche Gruppe in der Gemeinde
gerichtet, deren Existenz und Agitation Spannungen in die
bis dahin stabile heidenchristliche Gemeinde hineintrug und auch
Probleme hinsichtlich ihres Verhältnisses zur nichtchristlichen Umwelt
aufwarf. Paulus wehrt sich gegen Gesetzlichkeit und Partikularismus
dieser Gruppe wie auch gegen eine Christologie, die am Kreuz
Christi vorbeidenkt und darum die Gegenwart nicht mehr als Wirklichkeit
unter dem Anspruch des Gekreuzigten verstehen kann. Er
sieht in den Adressaten seines Briefes aber nicht eigentlich Gegner,
sondern, wie immer wieder benutzte jüdische und judenchristliche
Traditionselemente deutlich machen, Dialogpartner, an deren Verständnis
und Einverständnis er appelliert.