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Ausgabe:

1981

Spalte:

917-919

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Rendtorff, Trutz

Titel/Untertitel:

Ethik; Grundelemente Methodologie und Konkretionen einer ethischen Theologie 1 1981

Rezensent:

Wiebering, Joachim

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 12

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verkündigt, aber den Verlust an congregatio in ihrer Mitte übersehen
hat, mischen sich freilich auch solche, die nicht unwidersprochen
bleiben können: Sollte eine Wiederbelebung und Ausweitung der
Abendmahlspraxis wirklich keine Impulse in die Gemeinden bringen
, da gerade dabei Gemeinschaft als Wesen und Ziel des Glaubens
erfahren wird?

Fast allen Aufsätzen ist es eigen, Beziehungen herzustellen, unterschiedliche
Positionen und divergierende Sachfragen ins Gespräch zu
bringen. Theologie wird als Dialog betrieben. Mit diesem Impuls
wird das Buch seiner Zielstellung gerecht und ist es ein hilfreicher
Beitrag zu den Jubiläen der lutherischen Bekenntnisschrift.

Corrigendum: S. 87, Anm. 5 lies: K. E. Skydsgaard und L. Vischer.
Kamenz Hans-Jochen Kühne

Systematische Theologie: Ethik

Rendtorff, Trutz: Ethik. Grundelemente, Methodologie und Konkretionen
einer ethischen Theologie, 1. Stuttgart-Berlin-Köln-
Mainz: Kohlhammer 1980. 148 S. gr. 8° = Theologische Wissenschaft
, 13,1. Kart. DM22,-.

In der Kohlhammer-Reihe „Theologische Wissenschaft" liegt nun
auch die „Ethik" vor, die wie die „Christliche Glaubenslehre" von
Hans Graß aus derselben Reihe in zwei Teilbänden erscheinen soll.
Während die letzten Gesamtdarstellungen der evangelischen Ethik
(einmal abgesehen von dem neuen Zweig der „Sozialethik") im Jahre
1975 als Spätwerke zweier Theologen, die Karl Barth verbunden
waren (Ernst Wolf und Walter Kreck), gedruckt worden sind, meldet
sich mit diesem Buch eine jüngere Generation zu Wort. Der
Unterschied zu den beiden fünf Jahre zuvor erschienenen Werken ist
denn auch unübersehbar. An die Stelle einer im wesentlichen von
dogmatischen Prämissen geprägten Grundlegung tritt in Rendtorffs
Entwurf der Anspruch einer „ethischen Theologie", die „Ethik als
eine Grunddimension der Theologie zu begreifen und den eigenständigen
ethischen Sinn von Theologie zu erkennen" versucht (9). Über
die Hälfte des ersten Teilbandes ist zudem der Methodologie gewidmet
, die in den früheren Werken meist nur kurz in der Einleitung behandelt
worden ist, und bewußt aufgegeben worden ist die Intention,
die theologische Ethik deutlich von der allgemeinen Ethik abzugrenzen
. Die Nähe zur Wirklichkeit und die Auseinandersetzung mit verschiedenen
Wirklichkeitserfahrungen werden als wichtigste Aufgaben
jeder Ethik angesehen und der Versuch abgelehnt, „die Ethik aus
einem einzigen normativen, theologischen Ansatz zu entwickeln"
(69).

Der erste Teilband beginnt mit einer „Ortsbestimmung der Ethik"
(11-29). Ethik als „Theorie der menschlichen Lebensführung" stellt
sich der Frage nach Grund und Ziel der menschlichen Lebenswirklichkeit
. Damit wird Ethik zu einer „Steigerungsform von Theologie,
weil sie in gesteigerter Weise die für jede Theologie elementare Frage
nach der Grundstruktur unseres Wirklichkeitsverhältnisses thematisiert
" (16). Dementsprechend ist die Ethik gegenüber der Dogmatik
selbständig und erhebt auch keinen Exklusivitätsanspruch gegenüber
außertheologischen Erörterungen der Ethik. Ihre Wissenschaftlichkeit
bewährt sich im kritischen Herangehen an den eigenen Standpunkt
und in der Beschränkung auf die ethische Besinnung an Stelle
unmittelbarer Handlungsappelle. Insofern behält die ethische Theorie
eine dienende Funktion im Blick auf den praktizierten Lebensvollzug
.

Im Zentrum des ersten Teilbandes steht eine Beschreibung der drei
Grundelemente der ethischen Lebenswirklichkeit, die dann für den
Aufbau der Ethik bestimmend werden. Das erste Grundelement ist
das Gegebensein des Lebens, das in jedem Handeln bereits vorausgesetzt
ist und eine elementare Verbindlichkeit dadurch erhält. Zweites
Grundelement ist die Aufgabe, Leben zu geben, weil jedem Leben die
Angewiesenheit auf andere zu eigen ist. Dazu kommt als drittes

Grundelement die Reflexivität des Lebens, die sich im ethischen Bewußtsein
und der Fähigkeit des Transzendierens äußert. Diese sehr
allgemeinen Feststellungen werden dann jeweils zum Schluß auf
einen theologischen Sinnzusammenhang bezogen: das Gegebensein
des Lebens auf die Geschöpflichkeit des Menschen, das Geben des
Lebens auf die Rechtfertigung als Ermöglichung des Liebens, die Reflexivität
des Lebens auf den Glauben als Vertrauen zum Gelingen
der Zukunft. In diesen drei Grundelementen erschließt sich die Wirklichkeit
dem ethischen Nachdenken, wird die Einstellung zum Leben
erfaßt. „Die Ethik hat es nicht nur mit Informations- und Wissensfragen
zu tun; sie thematisiert die ethisch relevante, nämlich die eigene
Lebensführung betreffende Beziehung zur Wirklichkeit" (71).

Die Methodologie der Ethik wird aus den verschiedenen Antworten
auf die Frage „Was sollen wir tun?" entwickelt. Rendtorff unterscheidet
dabei die Antwort der Tradition (Gebotsethik), in der auf
überindividuelle Orientierungen (etwa im Sinne der Pflichtenlehre)
verwiesen wird, die Antwort der eigenen Lebensführung (Verantwortungsethik
), bei der der Handelnde auf sich selber verwiesen wird
(etwa im Sinne der Tugendlehre), und die Aufgabe der theoretischen
Rechtfertigung der Ethik (Metaethik), die im ethischen Diskurs geschieht
, wenn etwa nach dem höchsten Gut gefragt wird. In diesem
Schema findet Rendtorff nicht nur die wichtigsten ethischen Antworten
der Vergangenheit zusammengefaßt, sondern auch die Parallelen
zu den drei Grundelementen der ethischen Lebenswirklichkeit und
ihre theologische Deutung. Dabei plädiert er für die Vielstimmigkeit
der ethischen Ansätze, weil nur dadurch der Differenziertheit des
ethischen Problemfeldes und der Vielschichtigkeit der menschlichen
Lebenswirklichkeit gerecht geworden wird. So werden im Verfolgen
der metaethischen Ansätze die verschiedenen Zielvorstellungen sichtbar
, von denen sich eine Ethik leiten läßt, denn ethische Theorien
implizieren jeweils eine eigene Zielvorstellung. Nach der Analyse
mehrerer solcher Theorien wird als angemessene theologische Zielvorstellung
die Eschatologie des Reiches Gottes genannt. Eschatolo-
gie ermöglicht und entlastet die Ethik, sofern hier das Gelingen des
Guten dem eigenen Gelingen schon vorausliegt. Im Symbol des Reiches
Gottes werden das Gegebensein und das Geben des Lebens
transzendiert: „Im Blick auf diese beiden Grundelemente der ethischen
Lebenswirklichkeit thematisiert die Eschatologie gleichsam
einen ontologischen Mehrwert" (148). Der ontologische Mehrwert
wirkt sich in der Orientierung auf Gott im Schöpfungssinn und im
Liebessinn aus. An dieser Stelle sollen die Konkretionen einer ethischen
Theologie einsetzen, die erst im zweiten Teilband enthalten
sind.

Der Autor verrät in dem vorliegenden Teilband eine beeindruk-
kende Fähigkeit zu knappen Formulierungen und systematischer
Gliederung seines Entwurfes, so daß dem Leser an jedem Punkt der
Darlegung der Argumentationsgang bewußt bleibt. Freilich wirkt die
Systematisierung der methodischen Aspekte doch etwas willkürlich,
was vor allem die Zuweisung der traditionellen Pflichten-, Tugend-
und Güterethik betrifft. Die Überschneidungen und Verschränkungen
sind gerade im Feld der „Verantwortungsethik" stärker, als es
hier sichtbar wird. Dem Leser wird zwar eine stattliche Reihe von
Bausteinen zur ethischen Orientierung vor Augen gestellt, aber es fehlen
deutliche Prioritäten. Dadurch wirken auch die Ausführungen
über den theologischen Bezug bzw. die theologische Rechtfertigung
von Ethik wie ein Baustein unter vielen, und es bleibt die gewiß nicht
unerhebliche Frage, welche Verbindlichkeit diesen theologischen
Passagen eignet. Man kann diesen Einwand auch auf die Formel bringen
, daß der Wirklichkeitsbezug der Ethik ihren Offenbarungsbezug
verdrängt. Die Deutung der Grundelemente der ethischen Lebenswirklichkeit
auf Geschöpflichkeit, Liebe und Glauben scheint eine
mehr illustrierende als begründende Bedeutung für die ethische
Analyse zu haben, und das unterstreicht doch noch einmal die Frage,
ob das Theologische dabei nicht zu kurz kommt. Es sind ähnliche
Fragen, wie sie an die Bemühungen um die Ethik in der liberalen
Theologie gestellt werden können, und es ist sicher kein Zufall, daß in