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Ausgabe:

1981

Spalte:

915-917

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Titel/Untertitel:

Lebendiger Umgang mit Schrift und Bekenntnis 1981

Rezensent:

Kühne, Hans-Jochen

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 12

916

Track, Joachim [Hrsg.]: Lebendiger Umgang mit Schrift und Bekenntnis
. Theologische Beiträge zur Beziehung von Schrift und Bekenntnis
und zu ihrer Bedeutung für das Leben der Kirche, im Auftrag
des Dozentenkollegiums der Augustana-Hochschule hrsg.
Stuttgart: Calwer 1980. 216 S. 8 Kart. DM 24,-.

Das Jubiläum der CA hat in Theologie und Kirche eine vielfältige
Beschäftigung mit der Geschichte, dem Inhalt und dem Stellenwert
der Bekenntnisse ausgelöst. Vor allem ist vom geschichtlichen Bekenntnistext
her wieder nach dem gegenwärtigen Bekennen gefragt
worden. Auch die hier anzuzeigenden Beiträge des Dozentenkollegiums
der Augustana-Hochschule Neuendettelsau versuchen, Hilfen
und Kriterien zu einem sachgemäßen Umgang mit der kirchlichen
Bekenntnistradition, für den Glaubensvollzug und die Gestalt der
Kirche zu geben.

J. Track setzt Schrift, Bekenntnis und Erfahrung zueinander in
Beziehung (S. 9-39). Er reflektiert dabei über die Erfahrung als Weg
des neuzeitlichen Menschen zur Erkenntnisgewinnung und die damit
zwangsläufig verbundene Hinterfragung von Schrift und Bekenntnis.
Durch Beispiele wird die Über- bzw. Unterbewertung einer der drei
Größen als falsche Alternative deutlich gemacht. Gefordert wird
„eine Auseinandersetzung mit den Anfragen der Neuzeit an die Geschichtsbestimmtheit
, den Autoritätsanspruch und die Erfahrungsbe-
zogenheit des christlichen Glaubens" (S. 26). So geht Tr. in Anlehnung
an Ebeling der Bedeutung der Erfahrung für den Glauben und
der Eigenart der Glaubenserfahrung nach. Er macht auf den Zirkel in
der Zuordnung von Schrift, Bekenntnis und Erfahrung aufmerksam,
der beachtet und bejaht werden muß, soll es nicht zu einem Glaubens
- und Wirklichkeitsverlust kommen. Der für Kirche und
Theologie als notwendig angesehene Erfahrungsbezug müßte allerdings
noch stärker den Blick auch auf die hermeneutische Relevanz
der Gegenwartserfahrung lenken. Die Bedeutung, die Tr. der Erfahrung
gibt, fordert dazu gerade heraus.

Hinter dem Aufsatz von G. Hausmann über die Verhältnisbestimmung
von biblischer Theologie und kirchlichem Bekenntnis
(S. 41-61) steht als grundsätzliche Frage: „Wie kann die Kirche in
Bindung an das ihr als Tradition Vor- und Aufgegebene und zugleich
in Offenheit für gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen und
Erfahrungen ihren Weg finden, ohne dabei ihre Identität als Kirche
aufzugeben?" (S. 41). Zwei Überblicke werden geboten. Zuerst wird
in einem theologiegeschichtlichen Abriß zur Schriftautorität und
Schriftauslegung über die unterschiedlichen Lösungen hinsichtlich
des Zusammenhangs von Hl. Schrift, Schriftverständnis und kirchlichem
Bekenntnis von der neutestamentlichen Zeit bis in unser Jahrhundert
informiert. Der zweite Überblick beschäftigt sich mit der
Lösung der unbefriedigenden Konfrontation zwischen biblischer Exegese
und kirchlicher Tradition nach dem Auseinanderklaffen von
Bibel und Lehre im Zeitalter der Orthodoxie und des Pietismus und
dem Aufkommen der historischen Exegese in der Aufklärung. Damals
hatte sich die Exegese „zu einer der Dogmatik gegenüber mit
normierendem Anspruch auftretenden Größe entwickelt" (S. 50). H.
verweist auf die Forderung von Plöger nach einem „Dialog zwischen
heutiger biblischer Theologie und kirchlicher Bekenntnistradition"
(S. 56), die immer noch als unerledigte Aufgabe vor der Theologie
steht. Auf Stuhlmachers Engagement in dieser Frage wird ausdrücklich
aufmerksam gemacht und in Anlehnung an ihn von einer „Hermeneutik
des vernehmenden Einverständnisses auch den Bekenntnissen
gegenüber" die Überwindung der „Alternative von einem bekenntnisfreien
Christentum und einem konfessionalistisch engem Bekenntnisverständnis
" erhofft (S. 61).

A. Strobel untersucht an Hand von drei neutestamentlichen
Streitgesprächen (Zinsgroschen, Auferstehung, größtes Gebot) die
Autorität des Wortes Jesu (S. 63-84). Für Str. verbinden sich bei
Jesus „höchste Objektivität und höchste Subjektivität". Die Autorität
seines Wortes war „im Grunde identisch mit der Autorität seiner
eigenen Gotteserfahrung, ja mit der Gegenwart Gottes in ihm"

(S. 84). Noch heute ist er in seinem Wort Autorität, d. h. „daß der
lebendige Christus des Wortes nicht anders auf uns zutritt als der
historische Jesus gegenüber den Menschen seiner Zeit". Er nimmt
unsere Einwände ernst und entkräftet sie durch das bessere Argument
(S. 71). Mit der hier beschriebenen Art Jesu: Willen zur menschlichen
Begegnung, Bereitschaft zum Dialog, keine Diffamierung des
Gegners, wird der Aufsatz zu einem Spiegel für unsere theologische
Arbeit und kirchliche Verkündigung.

Als innerevangelische „Selbstverständigung über die Frage, ob die
Verbalinspiration der Heiligen Schrift die Voraussetzung für die
Haltbarkeit des sola scriptura ist" (S. 88) versteht F. W. Kantzen-
bach seinen (im Buch umfangreichsten) Aufsatz über den argumentativen
Schriftgebrauch in der reformatorischen Theologie des Heils
(S. 85-125). Die Fragestellung wurde ausgelöst durch eine theologische
Einschätzung des „sola scriptura" bei Rahner, doch bleibt K.
letztlich die Antwort auf das dogmatische Problem der Einbettung
der Schriftautorität in das lebendige Zeugnis der Kirche schuldig.
Hier hätte man sich neben dem Nachweis, daß bei Luther sich
Schriftprinzip und Verbalinspiration keineswegs bedingen, stärker
eine Auseinandersetzung mit der einschlägigen neueren evangelischen
und vor allem der sehr differenziert argumentierenden katholischen
Theologie gewünscht.

Am Beispiel der Theologie und der Predigten Schleiermachers
stellt H. D. Preuss seine Überlegungen zum Verlust des AT und seinen
Folgen an (S. 127-160, mit ausführlichem Literaturverzeichnis).
Schi, hat alttestamentliche Texte nur zu bürgerlichen und nationalen
Festen ohne spezifisch christliche Prägung verwendet, weil seiner Erkenntnis
nach das AT das mit Christus Neugewordene nicht aussagen
kann. Pr. zieht daraus weitreichende Folgerungen: Verlust der Geschichte
, der geschichtlichen Auslegung biblischer Texte und überhaupt
der geschichtlichen (sündhaften) Existenzweise des Menschen.
Doch ist dieser Verlust wirklich Folge einer Ausblendung des AT
oder nicht vielmehr beides Ergebnis eines soteriologischen Grundverständnisses
? Die Notwendigkeit, auf die Grenzen Schleiermachers
aufmerksam zu machen, besteht. Vor einer Umkehrung sollte man
sich allerdings hüten (S. 156 wird das AT förmlich zur Voraussetzung
für den Glauben an den Gott, der die Sünder gerecht spricht).

Auf dem Hintergrund der Kontroverse um die Volkskirche beschreibt
K. Kasch in seinem Aufsatz „Bekenntnis als Kriterium der
Gestalt von Kirche" (S. 161-185) Wesen und Struktur des Bekenntnisses
. Herausgearbeitet wird, daß dem Bekenntnis einerseits „die absolute
Geltung und Wahrheit für den Bekennenden", andererseits
aber auch „das Wissen um die Strittigkeit beider für andere" eigen ist
(S. 176). Es will das subjektive Überwältigtsein weitergeben und zielt
auf soziale Geltung. Insofern ist es „Kommunikationsangebot" und
„Einladung". Ekklesiologisch bedeutet das die Ablehnung einer „Privatisierung
der Religion" und das Festhalten an einer Bekenntnisgemeinschaft
, die gesamtgesellschaftlich wirksam ist. Denn die Mehrzahl
der Menschen übernimmt für sich nur das, was sie in ihrer „sozialen
Umwelt als dominant" erleben (S. 172). Damit wird hier eine
Thematik angesprochen, die weit über eine theologische Fachreflexion
und die Aufgabenstellung des Aufsatzes hinausführt und Anlaß
geben sollte, über Theologie und Kirche in einer Zeit, da beide ihre
Dominanz verloren haben, nachzudenken.

Der letzte Beitrag führt dieses Anliegen weiter. G. H. Dellbrügge
legt „soziologische und sozialpsychologische Beobachtungen zum
Verständnis des einzelnen und der christlichen Gemeinde" vor
(S. 187-215). D. setzt sich mit der Verkürzung der ekklesiologischen
Aussagen von CA V und VII - der Vernachlässigung der konkreten
Gemeindebezüge im Laufe der Geschichte der luth. Kirche - auseinander
und macht deutlich, daß die Forschungsergebnisse der Soziologie
(Bedeutung der Gruppe, soziale Dimension der Sprache, soziale
Bedingtheit von Normen) von der Kirche nicht ungestraft übergangen
werden können. Gemeinde muß als Ort gemeinsamen Handelns und
sozialer Begegnungsmöglichkeit konkret erlebbar sein. In die berechtigten
Anfragen an eine Kirche, die die Fleischwerdung des Wortes