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Ausgabe:

1981

Spalte:

913-914

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Pannenberg, Wolfhart

Titel/Untertitel:

Ethik und Ekklesiologie 1981

Rezensent:

Kühn, Ulrich

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Seite 1

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913

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 12

914

gunsten des Dialogs mit Kierkegaard und Adorno kurzerhand die Beziehung
theologischer Dialektik zur theologischen Tradition gekappt
: „weder Luthers Leitfrage nach dem ,gnädigen Gott' noch die
Barths nach dem ,soli Deo gloria' (sind) als die Entscheidungsfragen
der Gegenwart anzusehen" (251). Das ist eine ebenso ungeprüfte Vorentscheidung
des Autors wie die, daß „dialektische Theologie" exklusiv
in der Konstellation Kierkegaard - Adorno getrieben werden
müsse, deren Einbeziehung in das theologische Denken Rez. voll anerkennt
- nur müssen Recht und Reichweite dieser Einbeziehung
sehr sorgsam untersucht werden. Übrigens würde eine detaillierte
Analyse der Dialektik Karl Barths in der Phase seiner „dialektischen
Theologie" ähnliche Analogien zu Adornos Denken an den Tag bringen
und zugleich sehr viel energischer zur Reflexion auf Wert und
Grenzen der Dialektik in der Theologie zwingen. Doch zu Barth
äußert sich Deuser nuren passant(19ff, 245IT).

So läßt das Buch den an der theologischen Erprobung der Dialektik
interessierten Leser in einer gewissen Ratlosigkeit. Denn die sehr aufschlußreichen
und durch Sachkenntnis geprägten Studien zu Adorno
und Kierkegaard weckten theologische Erwartungen, die am Ende
schwerlich überzeugend eingelöst wurden.

Halle (Saale) Michael Beintker

Systematische Theologie: Dogmatik

Pannenberg, Wolfhart: Ethik und Ekklesiologie. Gesammelte Aufsätze
. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1977. 334 S. Kart.
DM 39,50.

Wegen der Säumigkeit des Rez. kommt dieser wichtige Band erst so
verspätet zur Anzeige. Er vereinigt Aufsätze zur Grundlegung der
Ethik bzw. der Theologie überhaupt (u. a. zum Dialog mit G. Ebeling
über die Krise des Ethischen und die Theologie), zur politischen
Ethik, zur ökumenischen Ekklesiologie, zum Amtsverständnis und
zur Abendmahlslehre aus den Jahren 1962-1975. Lediglich drei
Arbeiten waren früher noch nicht veröffentlicht, darunter ein sehr instruktiver
Aufsatz über die Begründung der Ethik bei E. Troeltsch
(70-96).

Durch die Zusammenstellung von Arbeiten zu den genannten Themenbereichen
wird dem Leser eindrücklich bewußt, wie sehr die ökumenisch
-theologische Arbeit Pannenbergs von seinen fundamentaltheologischen
Überzeugungen getragen wird und in ihnen wurzelt.
Das ökumenische Grundvotum des Vf. ist eindeutig: Es geht in der
Ökumene darum, daß die Christenheit wieder zum „Zeichen der
künftigen Einheit der Menschheit" wird, wie es übereinstimmend
das II. Vaticanum und der ORK in Uppsala 1968 gesagt haben (319,
vgl. 125,267 u. ö.). Der wichtigste Beitrag dazu ist-mehr als aktuelle
politische Stellungnahmen - die Wiedergewinnung der christlichen
Einheit (319,333)- Dies aber ist deshalb der Fall, weil die Kirche im
Zuge ihrer konfessionellen Aufspaltung in zunehmendem Maße
gesellschaftlich unglaubwürdig wurde und der Privatisierung der
Religion in der Neuzeit Vorschub geleistet hat (z. B. 121), weil aber
andererseits Religion ihrem Wesen nach gerade nicht Privatsache ist
(320) und die menschliche Gesellschaft bei ihrer Suche nach gelingender
Gemeinschaft (in der ständigen Spannung von Individuum
und Gesellschaft sowie in ihren unterschiedlichen Herrschaftsformen
) im tiefsten auf eine religiöse Orientierung und also auf das
glaubwürdige Zeugnis der Christenheit vom Reich Gottes angewiesen
ist. Hier zeigt sich die sachliche Verklammerung zwischen (politischgesellschaftlicher
) Ethik und (ökumenischer) Ekklesiologie, die die
Aufsätze wie ein roter Faden durchzieht. Diese Verklammerung weist
einerseits zurück auf die fundamentalthologischen Thesen Pannenbergs
von der anthropologischen Begründung des Gottesgedankens in
der Frage nach dem Sinn des Menschseins, einzeln und gesellschaftlich
, und zwar vorgängig zu aller ethischen Forderung (63), sowie von
der sachlichen Priorität der Zukunft vor der Gegenwart, entsprechend
der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu (181). Sie zeigt sich auch
in der Kritik an Luthers Zwei-Reiche-Lehre, die u. a. die Beziehung
des gesellschaftlich-politischen Lebens als solchen auf die christliche
Hoffnung vermissen lasse (110). Und sie entfaltet sich sowohl in dem,
was der Vf. zu Frieden und Versöhnung, gegen alle Formen nationaler
„civil religion" sowie gegen des Recht der Rede von einem „gerechten
Krieg" (159) zu sagen hat, als auch in seinen pointierten ökumenisch
-theologischen Beiträgen, in denen es immer wieder darum
geht, daß „keine einzelne Kirche, keine einzelne Erscheinungsform
christlicher Katholizität ... exklusiv identisch sein (kann) mit der
einen katholischen Kirche, deren volle Offenbarung die Christen von
der künftigen Vollendung erwarten und in deren vorläufiger Erscheinung
sie leben" (238). Letzteres betrifft gerade auch die in den einzelnen
Kirchen gültigen Lehrformulierungen (239) und läßt den Vf. eine
„offene Kommunion" im Sinne der Zulassung von Gliedern auch
anderer Kirchen zur Abendmahlsfeier der eigenen Kirche als schon
jetzt angemessen empfehlen (291). Ja, die ökumenische Frage ist über
den Bereich der christlichen Kirchen hinaus geöffnet für die Entdeckung
von Gemeinsamkeiten mit anderen Religionen, aus der Erkenntnis
heraus, „daß zu Christus und zu dem von ihm verkündeten
Reich gehören kann, wer sich aus den einen oder anderen Gründen
nicht zu ihm bekennt" (322).

Was den Rez. an diesen Aufsätzen - neben ihrem umfassenden Ge-
präch mit der Theologiegeschichte aller Jahrhunderte und auch mit
der außereuropäischen Theologie - beeindruckt und nachdenklich
macht, ist das durchgehende Bemühen, die allgemeinmenschliche
und -gesellschaftliche Relevanz von Religion, Glaube an Jesus Christus
, Kirche herauszuarbeiten und den Sinn der Ökumene unter dem
Gesichtspunkt eines glaubwürdigen Zeichens, das die Christenheit in
der Welt sein sollte und könnte, zu begreifen. Daß von hier aus die
Frage der Einheit aller Kirchen nach wie vor als zentrale ökumenische
Aufgabe erscheint, möchte der Rez. ebenso wie die sehr einleuchtenden
und beherzigenswerten Darlegungen zum Verständnis
kirchlicher Einheit, zur Eucharistie und zum kirchlichen Amt (bes.
im Beitrag über das Ämtermemorandum von 1973) unterstreichen.
Ebenso dürfte der im besten Sinne apologetische Ansatz in theologischen
Denken Pannenbergs gegenüber aller lediglich positivistisch
vom biblischen Zeugnis her argumentierenden Theologie eine zunehmend
wichtiger werdende Aufgabe von Theologie und Verkündigung
aufgreifen.

Die theologische Grundkategorie Pannenbergs ist der Begriff des
„Reiches Gottes". In diesem Zusammenhang fällt auf, daß vom
Kreuz Jesu in dem ganzen Band, soweit ich sehe, nur an einer einzigen
Stelle (1470 die Rede ist. Könnte das evtl. ein Signal dafür sein,
daß über die Gebrochenheit alles voreschatologisch und zumal politisch
Möglichen und über die Verborgenheit der Herrschaft Gottes
noch weiter nachgedacht werden müßte? Auch die These des Vf., daß
Luthers Unterscheidung von Gesetz und Evangelium zu den bloß
zeitbedingten Elementen seiner Theologie gehört (261), fordert zu
weiterem Nachdenken heraus.

Solche Bemerkungen und Überlegungen können indessen den
Dank für diesen hilfreichen und gewichtigen Band und die bleibende
Aktualität des in ihm Gesammelten nur unterstreichen.

Ulrich Kühn Leipzig