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Ausgabe:

1981

Spalte:

910-911

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Tourn, Giorgio

Titel/Untertitel:

Geschichte der Waldenser-Kirche 1981

Rezensent:

Molnár, Amedeo

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 12

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ausdrückt, will Fahlbusch keine allgemeine „Konfessionskunde" bieten
, sondern beschränkt sich darauf, „in einem orientierenden Überblick
bestimmte gegenwärtige christliche Kirchen zu sichten und darüber
zu informieren, wie sich diese Kirchen in Selbstverständnis, Organisation
, Glaubensvollzug, Disziplin u. ä. darbieten" (S. 13). Er
beabsichtigt, „ den evangelischen Theologiestudenten, Religionspädagogen
, Pfarrern und anderen kirchlichen Mitarbeitern einen Überblick
solcher Kirchen zu bieten, die ihnen in unserem Land in Studium
und Beruf begegnen", jene Kirchen, „die derzeit Mitglieder und
Gäste der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Bundesrepublik
Deutschland und West-Berlin sind" (S. 17). Trotzdem ist die
vorliegende Arbeit nicht nur für den Leser in der BRD von Interesse.
Denn einerseits wird von dem so umrissenen Ausgangspunkt her das
Wesentliche der jeweiligen Konfession oder religiösen Gemeinschaft
insgesamt herausgestellt. Und zum anderen entfaltet Vf. Ansätze
eines grundlegenden Konfessionsverständnisses, das einen
eigenständigen Beitrag für Inhalt und Methoden dieser Disziplin zur
Diskussion stellt.

Sein Werk ist in drei Hauptteile gegliedert, die seine Zielstellung in
unterschiedlicher Weise entfalten. Der ein Drittel des Raumes umfassende
I. Hauptteil befaßt sich mit der römisch-katholischen Kirche.
Davon ausgehend, daß sie keine einheitliche Größe darstellt, sondern
von unterschiedlich geprägten Katholizismen gesprochen werden
muß, wird eine instruktive Gesamtübersicht geboten und im letzten
Paragraphen auf das Spezifische der römisch-katholischen Kirche in
der Bundesrepublik Deutschland eingegangen.

Der II. Hauptteil mit der Überschrift „Christliche Kirchen in der
Bundesrepublik" behandelt in 14 Paragraphen die verschiedenen
Kirchen und Gemeinschaften sowie die Arbeitsgemeinschaft christlicher
Kirchen in der BRD und Berlin (West), wobei auch kurz auf die
in der DDR vorhandenen hingewiesen wird. Drei Gruppen finden dabei
die besondere Aufmerksamkeit des Verfassers. Die evangelischen
Kirchen hinsichtlich ihrer kirchenkundlich interessanten Entwicklungstendenzen
. Die evangelisch-methodistische Kirche als typisches
Beispiel einer Freikirche. Und die „orthodoxen katholischen Kirchen
" als ein charakteristischer Frömmigkeitstyp und angesichts
ihrer zunehmenden Bedeutung im ORK. Bei letzteren wird, ausgehend
von der Griechisch-orthodoxen Metropolie von Deutschland,
ein einfühlsamer Gesamtüberblick gegeben, dem sich ein Exkurs über
die Orientalischen Nationalkirchen (Nestorianer, Monophysiten) sowie
die unierten Kirchen anschließt. Doch fragt man, warum das
Mitteleuropäische Exarchat des Moskauer Patriarchats, das immerhin
zwei Eparchien in der Bundesrepublik besitzt, nicht erwähnt
wurde. Es ist auch schade, daß der Anglikanischen Kirchengemeinschaft
innerhalb eines Exkurses zum Paragraphen Alt-Katholizismus
mit 1 '/j Seiten nur ebenso viel Platz eingeräumt wurde wie den ebenfalls
dort behandelten unabhängigen altkatholischen Kirchen in den
verschiedenen Erdteilen.

Der III. Hauptteil „Ökumenischer Kontext - Ökumenische Kommunikation
" befaßt sich mit der Entwicklung des ÖRK und dessen
Aktivitäten, den konfessionellen Weltbünden und ihren bilateralen
Dialogen, den Unionskirchen, der Ökumene vor Ort sowie Vorstellungen
und Modellen der Einheit der Kirche.

Die Arbeit zeichnet sich durch einen beachtlichen Informationswert
aus, zumal es Vf. gerade in seinen Exkursen gelingt, wesentliche
theologische Momente kurz aber treffend zu charakterisieren. Er verbindet
einige seiner Ausführungen mit kritischen Analysen. So im
Blick auf die Landeskirchen der EKiD, die sich „als gesellschaftliche
Großorganisation neben anderen etabliert haben" und die der volkskirchliche
Anspruch dazu nötigt, „sich auf dem gesellschaftlichen
Markt zu betätigen, seinen Gesetzen zu folgen und somit einer
Fremdnormierung sich zu unterstellen", um „in der Gesellschaft ankommen
'" zu können (S. 113).

In der Einführung sowie im Schlußkapitel „Grundfragen und
Typen christlicher Gemeinschaften" geht Vf. auf die heutige konfes-
sionskundliche Problematik ein. Es sei nur weniges angedeutet. Als

Ziel erscheint ihm eine „Phänomenologie christlicher Glaubensund
Handlungssysteme", die „mit Hilfe anthropologischer, soziologischer
und theologischer Kriterien darauf angelegt ist, diese Systeme
hinsichtlich ihrer Thematik, Funktion und Leistungsfähigkeit für die
Sinnorientierung menschlichen Lebens zu sichten und in pragmatischer
Absicht danach zu beurteilen, ob und wie weit sie die Heil versprechende
Existenz vor der Instanz Welt, der sie angehören, glaubwürdig
anbieten". Solange eine solche nicht vorliegt, muß eine
„schlichte ,Kirchenkunde' genügen", die der Praxis folgt, dabei aber
weniger die „Kirche" im Blick hat, als di) Menschen, die sich um
ihres Heils willen in den konkreten Kirchen zusammengefunden
haben (S. 16). Vf. sieht das konfessionelle Problem unter dem Gesichtspunkt
der situationsbedingten konfessorischen Verkündigung
und demzufolge nicht von einer vorgegebenen Einheit der Kirche her,
sondern einer Pluralität von Aussagen, die darin beruht, das „der
Offenbarungsträger und seine Botschaft (Evangelium) faktisch allein
in dem persönlichen und auslegenden Bekenntnis derer erfaßt wird,
die sich von dem Offenbarungsvorgang betroffen finden" (S. 15). Somit
stellt er die „immer wieder geltend gemachte Normativität des
Ursprungs" (S. 284) in Frage, führt die konfessionelle Vielfalt, trotz
erkennbarer theologischer und historischer Sachverhalte, in erster
Linie auf ein „anthropologisches Grunddatum" (S. 283) zurück. Dies
sowie die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen zur ökumenischen
Arbeit regen zur kritischen Auseinandersetzung an.

Berlin Hans-Dieter Döpmann

Tourn, Giorgio: Geschichte der Waldenser-Kirche. Die einzigartige
Geschichte einer Volkskirche von 1170 bis zur Gegenwart. Aus
dem Italienischen übers, v. R. Bundschuh. Torino: Claudiana;
Kassel: Verlag des Gustav-Adolf-Werkes; Erlangen: Verlag der
evang.-luth. Mission 1980. 287.S. m. 9 Ktn., 69 Abb. auf 20 Taf. 8"
= Erlanger Taschenbücher, 54. Kart. E?M 20,-.

Die Geschichte der Waldenserkirche seit ihren mittelalterlichen
Anfängen im 12. Jh. bis an die Schwelle der heutigen Tage wird hier
schwungvoll und anmutig skizziert. Der Vf. stellt konstant die Frage
nach der Treue des christlichen Zeugnisses innerhalb der jeweiligen
Zeitgestalt der Waldenserkirche, in steter Fühlungnahme mit der Problematik
, wie sie die neueste in Betracht kommende Geschichtsforschung
in Angriff genommen hat. Die zuverlässige und gute Übersetzung
macht den Leser mit den vier Zeitabschnitten der Waldenserbe-
wegung vertraut. Bis etwa 1530 stellt sich diese als eine heterodoxe
Diaspora innerhalb der westlichen Christenheit dar, seit 1530 als protestantischer
Vorposten im katholischen Süden Europas, in den Jahren
von 1700 bis 1848 ist sie ins Getto der Alpentäler zurückgedrängt
, seit der Errungenschaft der Freiheit im Revolutionsjahr 1848
bis zur Gegenwart bemüht sie sich vielseitig, ihre Isolierung zu überwinden
. Eine Auswahl von etwa 20 gut gewählter Quellenstücke, 9
Karten, 69 meist seltene Bilder von großer Aussagekraft, eine
brauchbare Auswahl-Bibliographie und eine Liste der wichtigsten
Daten machen aus dem Buch die bisher handlichste Ersteinführung
in die Waldenserproblematik.

Angesichts dieser hervorragenden Vorteile kann man nur auf geringe
Versehen aufmerksam machen, die in den weiteren Auflagen
des Werkes, die wohl vorauszusehen sind (eine zweite, leicht erweiterte
italienische Ausgabe erschien 1981 bei der Claudiana in Turin: /
Valdesi, la singolare vicenda di un popolo-chiesa, 283 S.), leicht berichtigt
werden können: der Tod des hussitischen Waldensers Stephan
von Basel erfolgte 1467, also nicht einige Monate nach 1458
(S. 74); 1538 schrieb Luther eine Vorrede zum Glaubensbekenntnis
der Böhmischen Brüder, nicht aber der Taboriten (S. 82); Flacius
Illyricus sollte nicht als „reformierter" Geschichtsschreiber (S. 132)
bezeichnet werden; die Italienreise des Lukas von Prag, an sich nicht
uninteressant (S. 76), wäre durch den gut bezeugten Einfluß seiner
Theologie auf das katechetische Schrifttum der italischen Waldenser