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Ausgabe:

1981

Spalte:

907-908

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Titel/Untertitel:

Philosophie und Theologie in realer Dialektik 1981

Rezensent:

Gerber, Uwe

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Seite 1

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907

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 12

908

Christen mit, daß alle diejenigen Theologen des Sekretariats, die von
der Notwendigkeit eines neuen Ansatzes der katholischen Theologie
überzeugt waren, auch eine persönliche Beziehung zur Lehre New-
mans hatten.

Ch. St. Dessain hat seine Ausfuhrungen detailliert belegt. Zur englischen
Quelle ist der Fundort in der entsprechenden deutschsprachigen
Ausgabe beigefügt. Zusätzliche Anmerkungen des Übersetzers H.
J. Meyer fordern das Verständnis. Dessain hat ein kleines Verzeichnis
der Werke Newmans aufgestellt, das durch Becker wesentlich erweitert
und für den deutschen Leser verbessert worden ist, ergänzt
durch eine Liste von Büchern und Aufsätzen über Newman. Die Ausgabe
des Herder-Verlages läßt diese wichtigen Zugaben vermissen.

Man darf dem St. Benno-Verlag danken, daß er anläßlich des 50.
Jahrestages der Gründung des Leipziger Oratoriums dieses Buch veröffentlicht
hat (5). Die ökumenische Spiritualität dieses Hauses ist bekannt
. Als Veröffentlichung letzter Hand von Vf. und Herausgeber
gewinnt dieses Buch einen besonders dringlichen Wert. Vom Herausgeber
heißt es, er habe als letzten Text ein Wort von Newman diktiert
, „von dem er offenbar besonders angerührt war" (aus der Ansprache
von Dr. W. Trilling zum Totengottesdienst für Werner Bek-
keram 9. Juni 1981 in der Liebfrauenkirche Leipzig-Lindenau). Der
Text lautet: „Gott hat mich dazu erschaffen, daß ich ihm auf eine besondere
Weise diene. Ein bestimmtes Werk hat er gerade mir übertragen
und keinem anderen. Ich habe eine Sendung, und wenn ich sie
auch in •diesem Leben nie erfahre, wird sie mir doch im künftigen
kund. Irgendwie bin ich zur Ausführung seiner Pläne nötig ... An
meinem Platz bin ich so notwendig wie ein Erzengel an dem seinen.
Ein Glied an einer Kette bin ich, ein Band zwischen Personen. Gott
hat mich nicht umsonst erschaffen. ... So übergebe ich mich Dir
gänzlich ... Wirke in mir und durch mich. Laß mich Dein blindes
Werkzeug sein!".

Die ökumenische Leserschaft nimmt dieses sein Vermächtnis
dankbar auf.

Pönitz Christoph Michael Haufe

Grisebach, Eberhard: Konfliktpädagogik als Friedensforschung

(Texte aus dem Nachlaß). Hrsg. v. M. Freyer. Rheinstetten: Schin-
dele-Verlag 1978.205 S. 8*.

[Grisebach, E.:] Philosophie und Theologie in realer Dialektik. Briefwechsel
E. Grisebach - Fr. Gogarten, 1921/22, hrsg. v. M. Freyer.
Rheinstetten: Schindele-Verlag 1979.. 155 S. 8

Grisebach (1880-1945) soll hier in theologiegeschichtlicher Orientierung
gewürdigt werden. Er gehörte zu denjenigen Denkern, die
nach dem 1. Weltkrieg den Personalismus, das dialogische Denken,
die Ich-Du-Beziehung eines jeden Menschen herausstellten. Bubers
„Ich und Du" von 1923, „Der Stern der Erlösung" 1921 von Rosenzweig
, Ebners „Das Wort und die geistigen Realitäten" (1921), Sche-
lers anthropologische Forschungen, die existenzphilosophische Variante
von Jaspers u. a. - sie haben einen dialogischen, am Du orientierten
Personalismus intendiert, der theologischerseits etwa von E.
Brunner, F. Gogarten, Th. Steinbüchel, R. Guardini aufgenommen
wurde. Der Briefwechsel zwischen Grisebach und Gogarten 1921/22
über die „Gebrochenheit der menschlichen Existenz" ist Ausdruck
für die damalige Entwicklung Grisebachs, daß Philosophie und
Theologie nach dem Scheitern der erkenntnistheoretischen Frage (die
bis 1921/22 im Vordergrund stand) sich an der sozialen Dimension
und an der Anthropologie ausweisen müssen (seit 1922/23).

Grisebachs grundsätzliche Kritik am neuzeitlichen Subjektivismus
und am romantischen Dogmatismus schließt zunächst das Festhalten
an einer Metaphysik als erfahrener Begrenzung des Denkens ein.
Aber mit fortschreitendem Briefwechsel und deutlich in den späteren
Schriften - bes. in der antikulturpädagogischen „kritischen" Pädagogik
- expliziert Grisebach die daraus gezogene Konsequenz des „realen
Aufeinanderangewiesenseins" der Menschen untereinander. Bei

Gogarten hingegen vermutete er einerseits ein theologisches
„System" der „gebrochenen menschlichen Existenz", andererseits
den Rückzug auf ein Offenbarungsgeschehen; damit werde aber
Theologie wieder zu einer „theoretischen" Wissenschaft und der
Glaube heteronom. Sah Grisebach Theologie und Philosophie 1921
noch unterschieden als zwei „Wertungen" der einen Wirklichkeit, so
kommt er 1923 zur Konsequenz, daß Theologie und „gottlose" Philosophie
in Sachen Erkenntnis nicht kooperieren können (X. und XI.
Brief). Gogarten spreche von Offenbarung Gottes im Menschen und
verlasse die „reale Dialektik" der menschlichen Existenz zugunsten
einer „Systematik"; demgegenüber will Grisebach beim Nacherzählen
des Leidens Jesu als Einsicht in die Isolation der einzelnen Menschen
und als Anlaß der gemeinsamen Bitte um Vergebung stehenbleiben
. Gogarten zitiert Grisebach letztmals 1926 „Ich glaube an
den Dreieinigen Gott"; Grisebach hatte dort Gogarten nochmals vorgehalten
, in seiner kritischen Theologie widersprechen sich das Anheimgeben
aller Entscheidung an Gott und das Postulat der wissenschaftlich
-allgemeingültigen Bestimmung der Ethik. 1928 hält er
dann Gogarten vor, das Wort Gottes humanistisch mit der Welt zu
vermitteln und so das Anliegen kritisch-dialektischer Theologie verraten
zu haben.

Im konsequenten Aufgeben jeglichen System- und Wahrheitsanspruches
und der radikalen Kritik des herrschenden „christlichen
Humanismus" liegen für Theologie und Kirche die Konsequenz,
Theologie als klassische System-Wissenschaft aufzugeben und Pfarrer
/Lehrer in außerakademischen Institutionen für den praktischen
Dienst in der Kirche auszubilden. Kritische Philosophie und Theologie
werden das eigentliche Christentum wieder rekonstruieren, das
die theoretische Philosophie seit der Antike onto-theologisch entstellt
und das die traditionelle Offenbarungstheologie mit ihren Heterono-
mie-Strukturen und Jenseits-Postulaten (statt: diesseitige Gemeinschaft
) zerstört hat. Im Spätwerk befaßte sich Grisebach dann mit der
Ausgrenzung von Sachräumen der Wirklichkeit als Bereichen der
SpezialWissenschaften mit ihren spezifischen „Sprachspielen" (Der
Zauber der Sprache, 1934) und mit der Anregung einer interdisziplinären
Friedensforschung im Sinne einer „kritischen Konfliktpädagogik
", wie sie der Herausgeber M. Freyer im Nachwort des Nachlasses
„Konfliktpädagogik als Friedensforschung" nachgezeichnet hat.

Faszinierend an Grisebachs Ausführungen ist die Konsequenz der
„kritischen" Philosophie als Gegen-Denken zur herrschenden Wissenschaftsgläubigkeit
, zum Systematisierungszwang und zum christlichen
Humanismus als eines ethischen Systems. Hier liegen Anregungen
, wie sie etwa auch in Adornos antitheoretisch-kritischer
„Theorie" stecken. Achtung verlangen die praktischen Konsequenzen
: Herausnahme der Lehrer- und Theologenausbildung aus dem
Universitätsbetrieb. Kopfschütteln wird es dann geben über diesen
Rigorismus in „Theorie" und Praxis. Kritisch zu fragen ist schließlich
, ob man mit einem solch konsequent immanent-transzendieren-
den dialogischen Du-Ich-Personalismus berechtigte Anliegen der sog.
Metaphysik und Theologie (religiösen Erfahrung) aufnehmen und in
heutigem Lebenshorizont explizieren kann - oder fällt der Vorhang
des „dialogischen Aktualismus" nicht doch zu früh?

Stadt Rehburg Uwe Gerber

Kirchen- und Konfessionskunde

Fahlbusch, Erwin: Kirchenkunde der Gegenwart. Stuttgart-Berlin-
Köln-Mainz: Kohlhammer 1979. 288 S. gr. 8' = Theologische
Wissenschaft, Bd. 9. Kart. DM 28,-.

Das als Ergebnis langjähriger Arbeit im Konfessionskundlichen Institut
Bensheim (Bergstraße) entstandene Werk versteht sich als ein
weiterführender Beitrag zur in der gleichen Reihe erschienenen dreibändigen
„Geschichte des Christentums". Wie es schon der Buchtitel