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Ausgabe:

1981

Spalte:

905-907

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Dessain, Charles Stephen

Titel/Untertitel:

John Henry Newman 1981

Rezensent:

Haufe, Christoph Michael

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 12

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gigkeitsgefühl sind in ihrer Wechselwirkung die beiden Brennpunkte
der S.schen Ellipse, die sich in den Kreis der Hegeischen Unendlichkeit
des Ichs nicht fügt.

Dieser wichtige Beitrag enthält außerdem eine wertvolle Bibliographie
(S. 553-562), welche die von Tice bis 1977 vervollständigt.

Triest Bruno Bianco

Dessain, Charles Stephen: John Henry Newman. Wegbereiter der Erneuerung
der Kirche. Hrsg. und mit einem Vorwort versehen v.
Werner Becker, aus dem Engl, übers, v. H. J. Meyer. Leipzig: St.
Benno-Verlag (Lizenzausgabe des Verlages Adam and Charles
Black, London) 1980. 334 S. 8" Lw. M 18,40.-[Eine Lizenzausgabe
der dt. Übers, erschien 1981 u. d. T. „John Henry Newman, Anwalt
redlichen Glaubens" im Herder-Verlag, Freiburg-Basel-
Wien.]

Das Buch ist ein zweifaches Vermächtnis. Der Verfasser (gest.
1976), Oratorianer in Newmans Birminghamer Oratorium, seit 1955
Leiter des dortigen Newman-Archivs und Herausgeber der 33bändi-
gen Edition von Newmans über 20 000 erhaltenen Briefen, sollte mit
dieser Biographie seine Arbeit letzter Hand vorlegen - als den „Abschluß
einer Lebensarbeit, die ganz im Dienst des großen Kardinals
gestanden hat", wie der Herausgeber der deutschsprachigen Ausgaben
im St. Benno-Verlag Leipzig 1980 und Herder-Verlag Freiburg
1981, Werner Becker vom Leipziger Oratorium, mitteilt (8). Die
deutschsprachige Herausgabe und die Beifügung eines umfänglichen
Vorwortes sollten auch Beckers letzte Veröffentlichung werden.'Der
Mitherausgeber der „Ausgewählten Werke Newmans" (Bd 1 21952 -
Bd IX 1975) und unermüdliche Interpret des Kardinals starb am l.
Juni 1981 in Leipzig kurz nach Vollendung seines 77. Lebensjahres.

Als Charles Stephan Dessain (geb. 1907) im Jahre 1929 in das
Birminghamer Oratorium eintrat, lebten damals noch acht Mitglieder
, die den Gründer dieses Oratoriums, Newman, persönlich gekannt
hatten. Der Umgang mit diesen Augenzeugen wurde der Anfang
der lebenslangen Beschäftigung Dessains mit Newman, als deren
reife Frucht die vorliegende Biographie gelten kann. Vf. versteht es,
den Leser in die komplizierten Bezüge der Umwelt Newmans im vik-
torianischen Zeitalter, in die Verhältnisse der Kirche von England,
die Oxfordbewegung, die offenbarungsentfremdete liberale Theologie
dieser Zeit, aber auch in das innere spannungsvolle Leben der
römisch-katholischen Kirche zwischen Ultramontanismus und katholischer
Weite einzuführen, ohne ihn zu ermüden. Mit geglücktem
Griff läßt er außerdem Newman selbst durch eine Reihe Texte von
klassischem Rang sprechen, den Gegenstand des Buches so auf
direkte Weise mit dem Leser verbindend. Seiner eigenen Meinung
nach sucht Vf. mit seinem Buch „den Künder vergessener Wahrheiten
", den „die katholische Reformbewegung ... als ihren Propheten
auf ihren Schild gehoben hat" (51), in das Gedächtnis zu rufen, insbesondere
als den Wiederentdecker der christlichen Offenbarungs-
religion, der sie zu ihrer Fülle entfaltete.

Aus der Menge des Mitgeteilten und Gesichteten mögen den heutigen
Betrachter von Newmans Lebenswerk durch Dessains Buch vier
Impulse besonders stark berühren:

l, Newman hat inmitten einer Umwelt, der die Dimension einer
Offenbarungsreligion zu entschwinden drohte, seit seiner Bekehrung
- von der er sagt, daß sie sowohl einen deutlichen Anfang genommen
habe als auch einem fortschreitenden Denkwandel gleichkäme (57;
126) -, den „Angriff auf die antichristliche Grundeinstellung der Gesellschaft
" geführt (95). Er führte ihn als Anglikaner so gut wie als
Katholik unter der unermüdlichen Predigt der christlichen Grundwahrheiten
: des offenbarten dreifaltigen Gottes, der Erlösung, der
Hingabe und der Heiligung. „Das war der Wendepunkt, der seinem
Leben das einheitliche Gepräge geben sollte. Sein sich entfaltender
Geist wurde von der christlichen Offenbarung ergriffen und sein Herz
vom Ideal der christlichen Heiligkeit" (59).

2. Mit einem sicheren Gespür für die Pluralität der Gesellschaft im
industriellen Zeitalter, das Newman als einer der ersten Christen kritisch
und prophetisch durchschaute, verwandte sich Newman für
eine Hochschätzung der Laien in der Kirche. Er empfand die ultramontane
Sicht der Kirche als einer juristischen Größe, die von Beamten
geleitet wird, als eine Vereinseitigung. Die Kirche war ihm eine
Gemeinschaft mit einem gemeinsamen Bewußtsein, das alle ihre
Glieder teilten; die Laien waren ein wesentlicher Bestandteil der
Kirche (216). Einem Fragesteller antwortete Newman, daß die
Kirche ohne Laien „ein lächerliches Bild bieten würde" (212). So war
er auch um eine wahre Weltlichkeit besorgt. Die Bemühungen um die
Gründung einer katholischen irischen Universität scheiterten freilich
am Unverstand der Hierarchie, die sich ein solches Institut ohne
direkte hierarchische Leitung auf allen Ebenen nicht denken mochte
(190, bes. der auf S. 199 mitgeteilte Text).

3. Das Studium der Kirchenväter machte Newman hellsichtig für
die Dogmenhermeneutik. Er empfand eines der großen Probleme der
Offenbarung, nämlich die sich im Laufe der Zeit immer wieder ergebende
Notwendigkeit, die in der Heiligen Schrift enthaltenen Wahrheiten
zu definieren und zu durchdenken (69). In seinem Buch "The
Development of Doctrine" zeigt Newman Sinn für Geschichte. Das
Christentum muß in seinen Beziehungen und seinem Verhalten zur
Umwelt variieren, es muß sich entwickeln (166). Gegen ein Sichverlieren
in die Geschichte hinein erweist sich Newman aber gleichfalls
als gesichert: keine Lehre der Kirche könne im strengen Sinne historisch
bewiesen werden, immer bleibe ein Entscheidungsraum für den
Glauben an das Wort der Kirche. Wer die Dogmen der Kirche nur
glaube, weil er sie aus der Geschichte heraus begründet habe, sei
schwerlich ein Katholik (253).

4. Als ein weiteres Newmans ganzes Leben durchziehendes Motiv
erweist sich sein Sinn für ökumenische Verantwortung. Auf dem Gebiet
der Theologie suchte er in seinen Lectures of Justification, die er
noch als Anglikaner hielt, nachzuweisen, daß die Lehre der römischkatholischen
Theologie vom Gnadengeschenk Gottes für die Menschen
mit der Auffassung aller Protestanten vereinbart werden könne.
Newman gab diese Lectures 1874 als Katholik unverändert neu heraus
(1150- Auch die 39 Artikel der Kirche von England suchte er als
Katholik ökumenisch zu interpretieren (154) in seinem berühmten
"Tract 90", wobei er die bittere Erfahrung des Unverständnisses von
allen Seiten machen mußte.

Erwähnenswert wären u. a. noch die Mühen, die Newman mit der
römischen Kurie hatte, seine exemplarische Disziplin, in der er mit
sich umgehen ließ, sein Vertrauen darauf, daß die Kirche nur zeitweilig
zu ihrem Schaden Wahrheiten verdunkeln könne. Bereits die
unter 1) bis 4) genannten von Dessain herausgestellten Dinge lassen
erkennen, warum Newman im Lichte des II. Vatikanischen Konzils
ein Kirchenlehrer der Neuzeit genannt worden ist.

Hierauf zielt Werner Becker in seinem umfänglichen Vorwort.
Nach einem Abriß der Wirkungsgeschichte Newmans führt er in die
Bedeutung Newmans für die moderne Theologie ein. Becker zeigt,
wie der Hintergrund der theologischen Fortschritte auf dem II. Vatikanischen
Konzil ohne Newman nicht gedacht werden kann. Vieles
war „in der Fragestellung und der Lösung von Newman schon vorweggenommen
" (25). Als mitbeteiligter Sachkenner vermag Becker
auch die Stationen der zweifachen Newman-Renaissance in den
zwanziger Jahren und seit 1945 zu zeichnen, endlich auch Newman
als einen Vater des II. Vatikanischen Konzils sichtbar zu machen
(30-34). Die nachkonziliare katholische Theologie läßt sich nach B.
besonders von Newmans dogmenhermeneutischem Ansatz befruchten
(350, und die katholische Kirche von seinem Ökumenismus. Er
wurde „zum Wegbereiter der Ökumenischen Bewegung", „ein Konvertit
neuen Typus", der „die Kirche durch Selbstkritik und Reformen
für die Konvertiten vorbereiten" wollte. Becker erkennt hier
beide Konzilspäpste Johannes XXIII. und Paul VI. als von Newmans
Spiritualität ergriffen und teilt aus seiner vieljährigen Erfahrung als
Konsultor im römischen Sekretariat zur Förderung der Einheit der