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Ausgabe:

1981

Spalte:

899-900

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Larentzakis, Gregor

Titel/Untertitel:

Einheit der Menschheit, Einheit der Kirche bei Athanasius 1981

Rezensent:

Kannengiesser, Charles

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899

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 12

900

scher Gestaltung zu verbinden. Da er bei Luthers religiöser Erfahrung
ansetzt, aber zugleich die Entwicklung von Luthers Theologie
nachzeichnet und auch die politischen Konstellationen im Blick behält
, konnte er eine prosopographische Enge vermeiden. Diese Vorzüge
hat keine der nachfolgenden Lutherbiographien aufzuweisen, so
daß eine neue Auflage sehr zu begrüßen ist. B. Lohse, der frühere
Assistent von Dörries, hat die Neuauflage vorsichtig überarbeitet
(geringfügige Korrekturen im Text und in den Anmerkungen, Ergänzung
des Literaturverzeichnisses). In seinem Nachwort skizziert er
den Gang der Forschung der letzten Jahrzehnte zur Frage der psychoanalytischen
Deutung Luthers, des reformatorischen Durchbruchs
bei Luther, der Historizität des Thesenanschlags, des Zeitpunkts
des Bruches zwischen Luther und Rom und der Sozialgeschichte
der Reformation. Bei den zu erwartenden weiteren Auflagen
sollte geprüft werden, ob im Nachwort nicht auch die neueren
Forschungen über Luthers Freunde und Gegner umrissen werden
könnten. Baintons Äußerungen über Melanchthon (z. B. 106, 347),
Müntzer, Zwingli und die Täufer (die z. T. immer noch als Wiedertäufer
bezeichnet werden) sind zumindest ergänzungsbedürftig. Vielleicht
ist es auch möglich, kleine Korrekturen vorzunehmen (z. B.
234. 246.). Gleichfalls korrekturbedürftig sind einige Bildnachweise.

Berlin Siegfried Bräuer

Dogmen- und Theologiegeschichte

Larentzakis, Gregor: Einheit der Menschheit - Einheit der Kirche bei
Athanasius. Vor- und nachchristliche Soteriologie und Ekklesiolo-
gie bei Athanasius v. Alexandrien. Graz: Institut für Ökumenische
Theologie und Patrologie der Univ. Graz 1978. XII, 314 S. 8*
= Grazer Theologische Studien, 1. Kart. ÖS 180,-.

Diese Dissertation des Instituts für Ökumenische Theologie und
Patrologie an der Universität Graz benutzt Athanasius als Exponenten
für eine Ausschreibung der griechisch-orthodoxen Dogmatik, wie
sie in den heutigen Lehrbüchern festliegt. Schon Titel und Untertitel
melden die Breite des Themas an. Ein I. Teil, den „Grundvoraussetzungen
der theologischen Reflexion des hl. Athanasius" gewidmet,
gipfelt in der seit Gregor von Nazianz allerorts wiederholten Bemerkung
, „daß Athanasius in erster Linie nicht Dogmatiker ist, sondern
Seelsorger" (34). Es fällt auf, wie ernst und sorgfältig der Autor völlig
kritiklos an die Schriften des Alexandriners geht, um dessen Persönlichkeit
zu skizzieren. Der II. Teil ergründet die „universale Dimension
der Kirche als Heilskoinonia" (35-290). Es werden verschiedene
Aspekte berührt, wie die „Heilsgemeinschaft vor Christus", „der
göttliche Ursprung der Kirche bei Athanasius", die „erste Gott-Menschen
-Gemeinschaft auf Erden", usf., um abzuschließen mit den
„Grundprinzipien der Einheit der Kirche". Da der Verfasser allen
Anschein nach keinen Gebrauch von der historisch-philologischen
Methode machen will, kann er sich ganz unbefangen im Raum der
dem Athanasius traditionell zugeschriebenen Schriften bewegen,
ohne dabei zu bemerken, daß er immer wieder eines der am schlechtesten
bezeugten Traktate, die sog. Expositio in Psalmos, bevorzugt.
In seinem längsten Kapitel, wo er dem Athanasius zugeschriebene
„Symbole der Kirche" aufzählt, will er die „Biene" mitgerechnet wissen
, „trotz der Feststellung Siebens ... daß dieser Kommentar nicht
echt athanasianisch sei" (55). Aber was da von einer isolierten Stelle
der Expositio behauptet wird, soll nach der kommenden Pariser Dissertation
von G. Dorival vom ganzen Florileg gesagt werden. Es handelt
sich wohl um ein alexandrinisch-monastisches Produkt aus der 2.
Hälfte des 5. Jh.

Die gesamte Thematik beruht hier auf einer Transposition der
athanasianischen Heilslehre auf das Gebiet der in den Hochtönen
eines Bulgakoff gefeierten Ekklesiologie. Aber eine solche theoso-

phische Lehre über die Kirche, wohl mit Recht auf Athanasius gestützt
, kann doch nicht aus seinen dogmatischen Schriften herausgelesen
werden. Es kommt soweit, daß man sich unbemerkt den ariani-
schen Thesen, also der von Athanasius mit aller Strenge bekämpften
Position annähert, wenn man ihm den Gedanken zuschiebt, daß die
erste Schöpfung eine Art vorzeitlicher Sohnschaft der zukünftigen
Kirchenglieder einschloß, wobei der in contra Arianos grundsätzliche
Unterschied zwischen natürlicher und übernatürlicher, bzw. göttlicher
Sohnschaft gefährlich in die Schwebe gelangt. Wohl wird man
anerkennen: „Athanasius befindet sich also auf der Linie der Vätertheologie
bzw. der orthodoxen Auffassung" (141). Damit wird die
Vertiefung und Erneuerung der Vätertheologie in der kontinuierlichen
Tradition der orthodoxen Ideologien in Kauf genommen, die
Kritik westlicher Forschung an dieser Tradition, auch eine Form der
Treue zu ihr, aber völlig vermißt.

Paris Charles Kannengiesser

Hahn, Philipp Matthäus: Die Kornwestheimer Tagebücher
1772-1777, hrsg. v. M. Brecht u. R. F. Paulus. Berlin - New York:
de Gruyter 1979. 520 S. gr.8' = Texte zur Geschichte des Pietismus,
hrsg. im Auftrag der Historischen Kommission zur Erforschung
des Pietismus. Abt. VIII: Einzelgestalten und Sondergruppen, 1.
Lw. DM 175,-.

Die Hauptaufgabe der 1964 gegründeten Kommission war und ist
die textkritische Edition der Werke des klassischen Pietismus. Während
die Werke der bekanntesten Pietisten Spener, Francke, Zinzen-
dorf immer noch auf sich warten lassen, liegen aus dem Bereich des
Württembergischen Pietismus inzwischen mehrere Editionen vor -
vor allem Oetinger. Aus diesem Raum stammt nun auch der Band 1
der Abteilung VIII: Einzelgestalten und Sondergruppen. Die historische
Forschung darf sich nicht auf die „Großen im Reiche Gottes"
beschränken. Vielleicht spricht der Pietismus in den weniger bekannten
Gestalten wie Philipp Matthäus Hahn sehr viel direkter zu uns.

Wer meint, er wisse, was ein Pietist sei, der soll diese Tagebücher
zur heilsamen Korrektur seiner selbst lesen. Ein „stark ichbezogener"
Mensch (14), ein „Freund von Essen und Trinken und attraktiven
Frauen" (13), ein Vater, der mit seinen Kindern spielt, ein Pietist,
der an Voltaires Roman Candide Gefallen findet, einer, der seinen
Kaffee und seine Pfeife schätzt - wer erwartet solche Aussagen? Aber
dann ist er auch der richtige klassische Pietist, der gegen das Tanzen
schimpft, seine erbaulichen Schriften auf eigene Kosten drucken läßt,
Stunden abhält, pietistische Pfarrkonferenzen einrichtet, die eigentlich
nicht genehmigt waren. Nimmt man nun noch dazu, daß Hahn
sehr stark an naturwissenschaftlichen, technischen Fragen interessiert
war -Uhren, astronomische Maschinen (nach Bengels Zeitrechnung
konstruiert!), hydrostatische Waagen und Rechenmaschinen machten
ihn damals recht bekannt - so entsteht ein sehr vielseitiges, buntes
und auch widersprüchliches Bild seines Lebens. M. Brecht und R. F.
Paulus (ein Nachfahre Hahns) haben die verschiedenen Seiten in diesem
Leben in der Einleitung (40 Seiten) anschaulich dargestellt.

Tagebücher haben natürlich ihren eigenen Reiz. Vielleicht bedürfte
es für diese Gattung einer gesonderten Untersuchung im Bereich
des Pietismus. Für Hahn (1739-1790) ist zu beachten, daß er
neben dem täglich benutzten Tagebuch noch ein „Notizen- und Exzerptenbuch
" und ein „Werkstattbüchlein" geführt hat - beide sind
in der Landesbibliothek Stuttgart erhalten geblieben. Hier hätte der
Leser gern etwas mehr gewußt, wie sich diese Aufzeichnungen ergänzen
oder überschneiden. Wozu diente Hahn das Tagebuch? Brecht
vermutet, daß bei den pietistischen Pfarrkonferenzen in Besigheim
daraus vorgelesen wurde (35). Sie dienten dann also der brüderlichen
Ermahnung und Beratung. Darauf deuten auch Bemerkungen im
Tagebuch selbst: Hahn gibt es andern zu lesen (134). Als er nach dem
Tod seiner ersten Frau im Juli 1775 in der Weihnachtszeit an eine