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Ausgabe:

1981

Spalte:

898-899

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Bainton, Roland Herbert

Titel/Untertitel:

Martin Luther 1981

Rezensent:

Bräuer, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 12

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nahmen dort, wo ständische Obrigkeiten die neue Lehre stützten. Reformatorische
Ansätze waren bis 1525 erkennbar im Klerus, bei den
humanistischen bischöflichen Räten und im städtischen Bürgertum.
Sozialrevolutionäre Züge sowie deutlichere reformatorische Bestrebungen
wurden erst im Bauernkrieg erkennbar und gaben dem Fürstbischof
Ansatzpunkte für energischere gegenreformatorische Maßnahmen
. Dennoch konnten sich protestantische Bürger relativ lange
- wegen ihrer fachlichen Qualitäten sogar im Rat - halten. Erst unter
dem eigentlichen Gegenreformator Fürstbischof Julius Echter von
Mespelbrunn (1573ff) wurde das Verhältnis von Stadt und Protestantismus
grundlegend anders. Dem administrativen Druck hatten die
weithin defensiven Protestanten aus der wirtschaftlichen und politischen
Elite nichts entgegenzusetzen.

Auch in Bamberg (Teil II) knüpfte die frühreformatorische Bewegung
an die allerdings geringen Autonomiebestrebungen an und weist
dieselben Grundzüge wie in Würzburg auf. Im Bauernkrieg wurden
die rechtlichen und sozialen Forderungen nicht religiös legitimiert.
Zeitlich verzögert und weniger scharf ging auch der Bamberger
Bischof nach 1525 gegen reformatorische Gesinnung vor. Der Bamberger
Protestantismus, der in der zweiten Hälfte des 16. Jh. tief in die
städtische Führungsschicht eingedrungen war, wurde im Zuge der
Gegenreformation nach dem Muster des Würzburger Verfahrens bekämpft
.

Der reformatorischen Bewegung in sechs bischöflichen Residenzstädten
Süd- und Westdeutschlands wendet sich R. im Teil III zu.
Während die Reformation in den zwanziger Jahren für Trier wirkungslos
blieb, kam es 1559 durch die Predigt Casper Olevians zeitweilig
zu einer starken Verbindung zwischen Autonomiebestrebungen
und Protestantismus. In Mainz scheiterte die frühreformatorische
Bewegung nach dem Bauernkrieg ebenso wie in anderen Bischofsstädten
, obgleich sie nicht politisiert war. Der in der zweiten Hälfte
des Jahrhunderts nachweisbare Protestantismus fiel der Gegenreformation
schnell und ohne Vertreibungsmaßnahmen zum Opfer, weil
er keinen Rückhalt an städtischen Selbstverwaltungsrechten besaß.
Die Salzburger frühreformatorische Bewegung, die eng mit den Autonomiebestrebungen
verbunden war, scheiterte an den gegenreforma-
torischen Maßnahmen und durch das Fehlen einer Predigerpersönlichkeit
. Der Protestantismus in der zweiten Jahrhunderthälfte stützte
sich vor allem auf die Oberschicht. In Passau dagegen hatte die protestantische
Bewegung in der zweiten Hälfte des 16. Jh. in allen Schichten
Anhänger. In Freising sind nur Ansätze einer frühreformatori-
schen, aber keine protestantische Bewegung nachweisbar. Eichstätt
scheint vor allem durch die volle bischöfliche Kontrolle der städtischen
Verwaltung nahezu immun gegen Lehrabweichungen gewesen
zu sein.

R. [aßt seine Ergebnisse schließlich noch einmal zusammen. Mit
einer Ausnahme existierten in allen acht fürstbischöflichen Residenzstädten
Süd- und Westdeutschlands reformatorische und seit der
Jahrhundertmitte auch protestantische Bewegungen. Sie konnten sich
aber ohne obrigkeitliche Unterstützung nicht durchsetzen. Andererseits
waren sie auch nur durch obrigkeitliche Zwangsmaßnahmen zu
beseitigen. Frühreformatorische und protestantische Bewegungen
unterschieden sich in Verlauf und Eigenart deutlich. Erstere entstanden
durch Druckschriften und persönliche Kontakte, wurden popularisiert
durch Prädikanten und blieben weitgehend bis zur Autoritätskrise
des Bauernkriegs latent. Danach wurden sie von den Fürstbischöfen
unterdrückt. Ohne nachweisbare personale Kontinuität
bildete sich seit der Jahrhundertmitte eine meist lutherisch geprägte
protestantische Bewegung, die sich meist aus den Handwerkerschichten
(mit starker Beteiligung ökonomischer und politischer Führungsgruppen
) rekrutierte und nicht mehr völlig in die Parochialorganisa-
tion integrieren ließ. Gegen kirchliche Sanktionen war sie resistent.
Sie verstand sich aber nicht als politische Opposition und konnte sich
auch nur auf eine geringfügige politische Basis stützen. So hatte sie
auch keine Möglichkeit, den landesherrlichen Zwangsmaßnahmen
(Reversion oder Exulierung) zu entgehen. In den vier Bischofsstädten,

in denen spätmittelalterliche Autonomiebestrebungen scheiterten,
faßten sowohl frühreformatorische Bestrebungen als auch der
Bauernkrieg Fuß, ohne daß sich eine „direkte motivationale Verbindung
" zwischen beiden nachweisen läßt (126).

In Teil IV, der die Hälfte seiner Arbeit ausmacht, fügt R. sechs Exkurse
hinzu, die „im Gefälle des Fo^schungsprozesses entstanden"
(2): 1. Würzburger Armenordnungen in der frühen Neuzeit. 2. Zur
Struktur der Armut in der Stadt Würzburg am Ende des 18. Jh. 3. Die
Bibliothek des Würzburger Kartäuserpriors Georg Koberer. 4. Zur
Prosopographie der Würzburger Protestanten. 5. Die (exklusiv konfessionell
-lutherisch ausgerichtete) Bibliothek des Georg Reumann.
6. Zur Entwicklung des Klerus in Würzburg, Eichstätt und Bamberg
in der 1. Hälfte des 16. Jh. 7. Materialien zum Bamberger Protestantismus
am Ende des 16. Jh. Ein ausführliches Literaturverzeichnis sowie
Personen- und Ortsregister folgen.

R. betont eingangs, daß er keine narrative Darstellung bieten, sondern
sich auf die Untersuchung des Problems konzentrieren will,
„welche der bei den erfolgreichen Städtereformationen auftretenden
Voraussetzungen, Bedingungen und unterstützenden Begleitumstände
in den Städten, in denen die Reformation sich nicht durchsetzte
, fehlten" (41). Er sieht seine Arbeit nicht als abschließende Antwort
, sondern als einen ersten Anlauf an. Schon jetzt hat er dem Problemkreis
„Stadt und Reformation", der in jüngster Zeit zunehmend
das internationale Forschungsinteresse auf sich gezogen hat, wichtige
Impulse vermittelt. Von Gewicht ist besonders sein Nachweis, daß
die zweite Hälfte des 16. Jh. einbezogen werden muß, um die Begegnung
von Bürgertum und Reformation zureichend in den Blick zu bekommen
. Bedeutend sind auch die Hinweise auf die Rolle des Landesfürstentums
und einer politischen Basis für das Überleben einer
reformatorischen Bewegung. Die eindeutig nachgewiesene Zäsur des
Bauernkriegs für den Verlauf der frühreformatorischen Bewegung ist
gleichfalls von Belang. R. legt jedoch immer wieder die Komplexität
der Vorgänge bloß, die eine kurzschlüssige Interpretation des Zusammenhangs
von Bauernkrieg und Reformation verwehren. Schwierig
ist auch eine allgemeine Aussage über das Verhältnis von sozialen
Strukturen und Reformation. Weitere Untersuchungen über andere
Gruppen von landsässigen Städten (z. B. Ackerstädte, Städte in landesherrschaftlichen
Enklaven oder Exklaven) müssen abgewartet
werden, bis die Rolle der „nichttheologiscTien Faktoren" beim Sieg
oder bei der Niederlage der Reformation in den Städten genauer bestimmt
werden kann. Die Arbeit von R. ist ein wichtiger Beitrag zu
diesem Problemkreis, zumal sich R. immer wieder um begriffliche
Klarheit und differenzierte Formulierungen bemüht (die Rede vom
„Stadium eines unklaren Wildwuchses" ist eine Ausnahme, 111).
Ungenügend sind die biographischen und bibliographischen Angaben
im Anhang zur Reumannbibliothek, die von Erwin Freund erarbeitet
worden sind. Die Viten sind recht willkürlich gearbeitet. Durch
intensivere Benutzung von ADB oder Jöcher hätten manche Lücken
geschlossen werden können (z. B. bei Beuther, Bischoff, Braunschweig
, Ewich). Zu A. Hondorff existiert eine Spezialarbeit (H.
Schade: Das Promptuarium des A. H., Phil. Diss. Frankfurt a. M.
1966).

Berlin Siegfried Bräuer

Bainton, Roland H.: Martin Luther, hrsg. v. B. Lohse. 7., Überarb.
Aufl. d. dt. Ausgabe. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 1980.
397 S. m. 86 Abb. gr.8° = Lese-Zeichen.

Die Übersetzung der Lutherbiographie R. Baintons durch H. Dör-
ries vor fast 30 Jahren (1952) war ein Glücksfall für die Lutherforschung
und für einen weiteren Interessentenkreis. Als Amerikaner
und als Glied einer Freikirche war Bainton weder politisch noch konfessionell
von der Tradition der Lutherinterpretation belastet. Außerdem
vermochte er die Sachkenntnis des Reformationshistorikers mit
der seltenen Gabe gut lesbarer und oft nahezu spannender literari-