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Ausgabe:

1981

Spalte:

894-895

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Leuschner, Joachim

Titel/Untertitel:

Deutschland im späten Mittelalter 1981

Rezensent:

Junghans, Helmar

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 12

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päische Verhältnisse in seiner Kombination ungewöhnliche Lehrauftrag
erklärt sich aus der Landesgeschichte. Dies Buch wurde in einem
Lande geschrieben, das seit den Kolonialzeiten Spannungsfeld zweier
Sprachkulturen gewesen ist, und wo noch heute der europäische Antagonismus
zwischen Englisch und Französisch fortbesteht. Die Vereinigung
von Anglistik und Theologie in einem Lehrstuhl hat dies
sichtlich zum Hintergrund wie auch zum Motiv, Sprachbarrieren zu
überwinden. Das kann im deutschen Sprachraum Interesse wecken.
Leider vollzieht sich die Ausbildung an unserer theologischen Fakultät
hinter den „babylonischen Mauern" der Sprachgefangenschaft der
Studierenden. Anderssprachige Forschungsliteratur spielt für die
Ausbildung eine geringe Rolle. Im Zeitalter der ökumenischen Bewegung
hier von einem Defizit zu sprechen, ist schon berechtigt. Das gilt
vor allem im Hinblick auf den hohen Leistungsstand der englischsprachigen
Forschung zum Neuen Testament. Am idealsten wäre
schon ökumenischer Studentenaustausch, speziell beim engl.-amerikanischen
College-System. Das ist aber Utopie, und so löst schon der
Lehrauftrag des Vf. dieser Studie den Wunschtraum ähnlicher Lehrstühle
an unseren theologischen Fakultäten aus.

Liest man nun unter dieser Perspektive einmal die anzuzeigende
fremdsprachige Monographie, dann fühlt man sich bereits durch die
Frage verunsichert, ob man nach unseren Kategorien als „Neutesta-
mentliche Theologie" sie zu klassifizieren hat oder nur schlicht als
„Einführung in das Neue Testament". Ist sie gar eine „Einführung in
die Theologien des Neuen Testamentes" oder wird man ihr schon dadurch
gerecht, daß man sie schlicht eine „neutestamentliche Bibelkunde
" bezeichnet? Dagegen spricht z. B. die chronologische Abfolge
der Quellendarstellung: 1) Paulus, 2) die Synoptiker, 3) die Apostelgeschichte
, 4) das Johannesevangelium, 5) die Paulusschule (Eph;
Kol; Past), 6) „Johanneische Schule" (1-3 Joh), die 7) unter der Sammelgruppe
"Other New Testament Evidences" mit Hebr, Jak, IPetr,
Jud, 2Petr und Apk abgeschlossen wird. Auch die abschließende Zusammenfassung
spricht dagegen. Sie gibt den Inhalt des Neuen Testamentes
als Entfaltung christlicher Heilsgeschichte wieder, wofür der
Vf. sich des, hierzulande unbekannten, Begriffes einer "Kairology"
bedient. An deren Anfang steht der Heilswille Gottes „ap arches"
(1 Joh 1,1), der sich dann in den Heilstaten Jesu Christi „unter uns erfüllte
" (Lk 1,1). Da der „Anfang" auch ein „Ende" im Sinne des
heilsgeschichtlichen „Eschaton" setzt, vermag diese "Kairology" von
einem heilsgeschichtlichen Fortschritt unter Leitung des Hl. Geistes
zu sprechen, der in alle Wahrheit führt.

Liest man außerdem gleichzeitig die Anmerkungen, mit denen dieser
elegant geschriebene, weil vom theologischen Engagement des
Autors getriebene, Entwurf versehen ist, dann steigert sich die Unsicherheit
des Lesers zum Empfinden zwiespältiger Eindrücke. Er
kann nicht übersehen, daß die Anmerkungen ausgezeichnete Kenntnisse
der deutschsprachigen Forschungsliteratur durch den Vf. bezeugen
, angefangen mit Günther Bornkamm und Rudolf Bultmann bis
hin zu Alfred Wickenhauser und dem allbekannten Kommentarwerk
von Strack-Billerbeck. Der Autor kennt die deutsche Forschungsdebatte
bis ins letzte Detail und seine letzte Anmerkung schließt mit
dem Hinweis, daß Rudolf Bultmann in seinem Göttinger Kommentar
zu den „Drei Johannisbriefen" S.95ff Ernst Käsemanns Vorschlag
, der Verfasser des 3 Joh sei ein von Diotrephes exkommunizierter
Presbyter der Johannesgemeinde gewesen („Ketzer und
Zeuge", in der Göttinger Antrittsvorlesung von Käsemann 1951 gemacht
), als „phantastisch" bezeichnet habe. Bis auf den Ort der Veröffentlichung
(Meagher gibt „Zeitschrift für katholische Theologie"
S. 225 an und verrät darin seine eigene Konfession; die Göttinger Antrittsvorlesung
erschien: ZThK 48, 1951,292-311 und wurde in der
Aufsatzsammlung „Exegetische Versuche und Besinnungen" I, Göttingen
(1960) 61970 wiederabgedruckt) stimmt diese Detailangabe;
ich habe sie an einem, mir von Bultmann dedizierten Exemplar seines
Kommentars zu den Johannesbriefen überprüft. Ebenso sicher
bin ich mir aber auch, daß mein früherer Marburger Kollege in gleicher
Weise zu diesem amerikanischen Entwurf neutestamentlicher

Theologie gesagt hätte: „phantastisch". Eben dieser Hiatus zwischen
Anmerkungsteil und Darstellungstext läßt von den zwiespältigen
Empfindungen des Rez. bei der Lektüre sprechen. Er wird daher besser
die sachgerechte Beurteilung einem englischen Rezensenten überlassen
müssen. Ihn selber hat die Vorstellung, daß eine deutsche
Übersetzung bzw. Rückübersetzung nur den "American Way to
Write" entblößen könnte, von allen Wunschträumen befreit.

Göttingen Carl Andresen

Kirchengeschichte: Mittelalter

Leuschner, Joachim: Deutschland im späten Mittelalter. Göttingen:
Vandenhoeck & Ruprecht 1975. 248 S. 8° = Deutsche Geschichte,
3. Kleine Vandenhoeck-Reihe, 1410. Kart. DM 14,80.

Dem Vf. ist es gelungen, auf engem Raum informationsdicht über
300 Jahre deutscher Geschichte in ihrer europäischen Verflechtung
zu unterrichten. Er bemüht sich, möglichst viele Aspekte zu erfassen
und Zusammenhänge sowie Entwicklungen aufzuzeigen. Sparsam
eingestreute Aussprüche von Zeitgenossen lassen ein plastisches Bild
erstehen.

Wie bei jeder Periodisierung gibt es auch für die Abgrenzung des
späten Mittelalters mehrere Möglichkeiten. Der Vf. beginnt mit „um
1200", weil sich von da Entwicklungen anbahnen, die mit und nach
dem Ende des staufischen Kaisertums 1250 zur Entfaltung kommen.
Als Ende wird das Jahr 1492/93 gesetzt, von dem an der Schauplatz
der Geschichte sich infolge der Entdeckung Amerikas wandelt.
Außerdem kann er noch weitere einschneidende Veränderungen in
europäischen Staaten anführen, die in diese Zeit fallen. Die Abgrenzung
ist daher durchaus sinnvoll, wenn auch nicht die einzig mög
liehe.

Eine andere Frage ist aber, ob sich dieser Zeitraum auch spezifisch
charakterisieren läßt, so daß eine entsprechende Beschreibung zur
Verständnishilfe für die Vorgänge dieses Abschnittes der deutschen
Geschichte wird. Der Vf. nennt das späte Mittelalter eine Krisenzeit
(27), nachdem er zunächst das 13. Jh. damit beschrieben hat (20).
Aber was bedeutet das, eine Zeitspanne von 300 Jahren als Krisenzeit
zu markieren? Der Vf. will damit gewiß nicht sagen, daß 1493 die
Krisensituation zu Ende ging. Führt ein so weit gefaßter Krisenbegriff
nicht dazu, wie Arnold Rüge (1802-1880) die Krise als Normalfall
der Geschichte anzusehen? Zur Charakterisierung eines Zeitabschnittes
eignet sich solch ein Krisenbegriff allerdings nicht mehr.

Gewiß gerät während dieser Zeit manches in die Krise, so das
Papsttum, das im 14. Jh. in Avignon unter französischer Bevormundung
lebte und sich durch das Schisma von 1378 bis 1415 selbst zerfleischte
. Aber im 13. Jh. stellte es eine bedeutende Macht in der
europäischen Geschichte dar, worauf der Vf. selbst hinweist (52 f).
Und in der zweiten Hälfte des 15. Jh. erstarkte es aufs neue. Der Vf.
gewährt auch einen kurzen Einblick in die Scholastik (94-97), die bekanntlich
im 13. Jh. ihre Blüte erreichte. Was ist damit gewonnen,
wenn sie unter dem Zeichen der Krise betrachtet wird? Es ist wohl
notwendig, genauer zu umschreiben, was wann in eine Krise geriet.
Dadurch wird es auch leichter, die Kräfte zu benennen, die sie überwinden
und aus ihr Möglichkeiten für sich gewinnen, wie im späten
Mittelalterz. B. die Renaissance.

Eine solche Zusammenfassung, wie sie der Vf. vorlegt, muß sich
beschränken. Darum geht der Vf. in bezug auf die theoretischen
Grundlagen der Auseinandersetzung zwischen Papsttum und deutschen
Königen im 14. Jh. nur auf Dante Alighieri und Marsilius von
Padua ein (142). Er hat sich dadurch allerdings der Möglichkeit beraubt
, die Entstehung und Entfaltung der Zweiregimentenlehre -darzustellen
, die von den französischen Juristen entwickelt, von Johannes
Quidort entfaltet sowie von Wilhelm Ockham durchgebildet und
vielseitig erörtert im späten Mittelalter und in der Reformationszeit
geschichtswirksamer geworden ist als Dantes Wunsch nach einer