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Ausgabe:

1981

Spalte:

876-878

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Gese, Hartmut

Titel/Untertitel:

Zur biblischen Theologie 1981

Rezensent:

Wagner, Siegfried

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 12

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eben doch, daß hauptsächlich Syrien das Aufnahmeland für die
armenischen und syrisch-orthodoxen Flüchtlinge aus der Türkei
(nach 1922) und für assyrische Flüchtlinge aus dem Irak (nach 1933)
gewesen ist (87, 91, 93). Auch die betont arabische und von großsyrischen
Vorstellungen begleitete Position der griechisch-orthodoxen
Kirche im Libanon wird durchaus zutreffend geschildert (80ff).
Zu berücksichtigen gewesen wäre weiterhin, daß christliche Libanesen
im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg nicht nur „in Richtung
Westen oder in Richtung Ölstaaten" abgewandert sind (62), sondern
auch in Syrien und Jordanien Aufnahme gefunden haben. Entsprechendes
gilt von christlichen Flüchtlingen und Vertriebenen aus Palästina
. Es besteht also keine Veranlassung, auf Grund der Libanonkrise
der arabischen Christenheit den baldigen Tod vorauszusagen
und zu meinen: „Der Islam hätte dann seinen Siegeszug vollendet
" (63). Beseitigung christlicher Minderheiten ist jedenfalls nicht
das Ziel des Islam, wie der Leser auch zu seiner Beruhigung der zutreffenden
Darstellung des Verhältnisses zwischen beiden Religionen
im zweiten Teil des Handbuchs (104ff) entnehmen kann. Jedoch gehören
entsprechende Befürchtungen zu den Argumenten, mit denen
von maronitischer Seite eine nationalistische Politik gerechtfertigt
wird.

Wie tief solche Vorurteile sitzen und in welchem Maße sie von
Verzeichnungen längst vergangener Geschichte leben, zeigt der sonst
erfreulich nüchterne, auf Koexistenz und Kooperation zwischen
Christen und Muslimen bedachte Beitrag von B. Harb. Er schildert
das Vordringen des Islam nach Syrien und dem Libanon unter dem
Vorzeichen einer „arabischen Invasion", die angeblich auf hartnäk-
kige Gegenwehr stieß (25).' Weiterhin entspricht die von B. Harb in
wenigen Strichen angedeutete frühe Geschichte der Maroniten in
wichtigen Aussagen nicht den historischen Erkenntnissen.4 Das
merkt der Leser auch an der vorsichtigen Korrektur durch die spezielle
Darstellung der maronitischen Kirche (77ff).

Gewiß, auch in der zumindest sehr unterschiedlichen Interpretation
der älteren Geschichte spiegeln sich die Gegensätze eindrucksvoll
wider, die eine Lösung des derzeitigen Konflikts im Libanon so
kompliziert machen. Im Interesse des mit der Situation und mit den
Argumenten der verschiedenen Positionen weniger vertrauten Lesers
wäre vielleicht bei einer Neuauflage, die dem nützlichen kleinen
Handbuch nur zu wünschen ist, die Festlegung auf eine einheitliche
Darstellung zu begrüßen.5

Berlin Karl-Heinz Bernhardt

1 Dorothea und Hermann Vorländer sowie Paul LöfTler lehrten jeweils mehrere
Jahre an der Near East School of Theology in Beirut, deren Lehrkörper
von den Verfassern gegenwärtig Ulrich Schoen angehört. Nasr Dahdal ist der
gleichen Einrichtung als Absolvent verbunden. Boulos Harb ist Professor an
der maronitischen Universität in Kaslik bei Beirut.

! Bedauerlicherweise stützt sich die knappe Darstellung der alten Geschichte
und der ethnischen Zusammensetzung der Bevölkerung des Libanon (1811)
allein auf G. Herrn, Die Phöniker, Düsseldorf 1973, ohne dessen Hypothesen
der erforderlichen kritischen Sichtung zu unterziehen.

' Es stimmt nicht, daß der „Widerstand der einheimischen christlichen Bevölkerung
. . . groß" war, und daß sich die „christliche Bevölkerung der
Küstenstädte, die gegen die arabische Invasion gekämpft hatte", zur Fortsetzung
ihres Widerstandes „im Bergland" verschanzte. Die libanesischen Küstenstädte
sind 635/636 in rascher Folge gefallen. Selbst die byzantinischen
Garnisonen leisteten - abgesehen von Tripoli - keinen nennenswerten Widerstand
, wenn auch die byzantinische Flotte an einigen Stellen noch einmal vorübergehend
Landungstruppen absetzen konnte, und Tripoli zwischen 685 und
705 erneut unter byzantinische Kontrolle geriet. Es waren im übrigen die Bewohner
jener Küstenstädte, aus denen sich die Besatzungen der erstmals 649
gegen Cypern und Kreta erfolgreichen islamischen Flotte rekrutierten ...

4 Ähnlich verhält es sich mit der Darstellung der Kreuzfahrerzeit. Ein verwirrendes
Bild empfängt der Leser z. B. vom Wirken der „Akademie" in Tripoli
während des Regiments der Familie Ammar (seit 1069) und der Kreuzfahrerherrschaft
. H. bemerkt zur Situation nach der Eroberung durch die Europäer

schlicht: „Die Akademie von Tripoli verstärkte ihre Aktivitäten" (38). Davon
kann aber keine Rede sein. Die Familie Ammar und die Bürger von Tripoli leisteten
den Kreuzfahrern mehr als acht Jahre erbitterten Widerstand. Von der
angeblich 100 000 Bände umfassenden Bibliothek überstand nichts die Plünderung
und Zerstörung der Stadt durch die Kreuzfahrer und die mit ihnen verbündeten
,Bergchristen'. Dergleichen bleibt dem Leser verborgen. Dagegen erfährt
er von erfolgreicher Bewahrung der Unabhängigkeit gegenüber den Seld-
schuken, die „1095 (gemeint ist wohl 1075?) den Libanon überrollten" (37),
was nicht ganz den Tatsachen entspricht; denn die libanesische Küstenregion
verblieb in der Abhängigkeit von den ägyptischen Fatimiden. Bezeichnenderweise
reiste Fakhr el-Mulk Ibn-Ammar, der letzte Stadtherr von Tripoli aus
dem Hause Ammar, im Jahre 1108 zum Seldschukensultan nach Baghdad und
bat um Unterstützung gegen die Kreuzfahrer . .. Unklar bleibt, warum „die
Mameluken" ausgerechnet „um 1400 die Häfen des Libanon zerstört" haben
sollen (38). Das geschah vielmehr unmittelbar im Zusammenhang mit der Wiedereinnahme
, um die Franken an der Rückkehr zu hindern. Es stimmt auch
nicht, daß infolge dieser Maßnahme der Handel mit Europa „aufgehört" haben
soll. Im Gegenteil, das 1291 zurückeroberte Beirut und Tripoli (wiedergewonnen
1289, nicht 1298, S. 26) wurden bald - und nicht erst im 15. Jh. - dem lebhaften
Handelsverkehr mit den italienischen Seestädten und Cypern geöffnet,
der trotz der wiederholten Überfälle genuesischer .Piraten' und königlich-
cyprischer Flotteneinheiten auf die libanesische Küste und trotz des päpstlichen
Boykottaufrufs kontinuierlich zunahm. Tyrus dagegen konnte - entgegen
der Meinung des Verfassers - seine Funktion als Hafenstadt nicht wiedergewinnen
. - Übertrieben wird weiterhin die Bedeutung in Europa arbeitender maronitischer
Kleriker bei der Vermittlung von Werken orientalischer Literatur
nach Europa. Der „am Ende des 17. Jahrhunderts lebende Joseph Assemani"
wird sogar als „der Begründer der Orientalistik in Europa" (39) vorgestellt.
Ohne die Verdienste von Joseph Simon Assemani (1687-1768), der als Präfekt
der Vaticana den Katalog der orientalischen Bestände dieser Bibliothek unter
besonderer Berücksichtigung syrisch-maronitischer Handschriften verfaßte, zu
unterschätzen - die europäische Orientalistik hat er nicht begründet.

s Bei dieser Gelegenheit wären auch einige kleinere Versehen zu korrigieren:
S. 17: Der Hesbani-Fluß mündet nicht direkt in den See von Genezareth, sondern
gilt als einer der Quellflüsse des Jordan. - S. 17, Z. 4 v. u. I. „links". -
S. 21: Bei der Erwähnung der römischen Tempelruinen muß hinsichtlich der
kaum als „riesig" zu bezeichnenden „Anlage in Niha" ein Irrtum vorliegen.
„Mehrere imposante Freitreppen" wird man dort vergebens suchen, und ebensowenig
kann von einer „in den Berg hinein gearbeiteten Anlage" gesprochen
werden (Verwechslung mit Kal'at Fakra?). - S. 144 o. 1. „Brockelmann, Geschichte
der arabischen Völker".

Altes Testament

Gese, Hartmut: Zur biblischen Theologie. Alttestamentliche Vorträge
. München: Kaiser 1977. 239 S. 8' = Beiträge zur evangelischen
Theologie, 78. DM 32,50.

Nur wenige Jahre nach seinem ersten Aufsatzband (Vom Sinai zum
Zion, 1974) läßt der bekannte Tübinger Alttestamentier einen zweiten
folgen, dessen Einzelabhandlungen der gleichen übergreifenden
Thematik, nämlich der .biblischen Theologie', verpflichtet sind. Es
werden jetzt acht Vorträge zusammengestellt, die in der ersten Hälfte
der siebziger Jahre z. T. mehrmals gehalten, aber bisher noch nicht
publiziert worden sind. Dem Vf. geht es bei aller unterschiedlichen
Thematik, die jeder Vortrag eigens für sich verfolgt, letztlich um die
eine biblische Theologie, die immer, so möchte er mit seinem Convo-
lut verstanden werden, „als Ganzes ins Auge gefaßt" werden muß,
..auch wenn jeweils nur ein Aspekt besprochen werden kann. So unterstützt
nachträglich ein Vortrag den anderen, und was in dem einen
nur angedeutet werden konnte, findet sich im anderen breiter ausgeführt
" (Vorwort).

Überschaut man freilich die Serie der verhandelten Themen, ist
man daraufgespannt, ob sich in der Lektüre diese annoncierte Einheit
bzw. Ganzheit biblischer Theologie auch wirklich erschließen
wird. Da geht es zunächst um das .biblische Schriftverständnis'
(9-30), um den ,Tod im Alten Testament' (31-54), um ,das Gesetz'