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Ausgabe:

1981

Spalte:

848-850

Kategorie:

Systematische Theologie: Allgemeines

Autor/Hrsg.:

Casalis, Georges

Titel/Untertitel:

Die richtigen Ideen fallen nicht vom Himmel 1981

Rezensent:

Langer, Jens

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 11

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per weder ein Märtyrer dämonischer Gewalt noch ,.ein deutsches
Schaf (R. J. Humm, s. S. 8). Am Bild eines zwiespältigen und tief bewegenden
Einzellebens will sie das Bild seiner Zeit deutlich werden
lassen - „schrittweise", damit insbesondere die jüngeren Leser zu
einem begründeten eigenen Urteil darüber kommen können, wie es
und warum es so gewesen ist, als in Deutschland Hitler herrschte.
R. Thalmann braucht Kleppers Lebensweg nur sparsam zu kommentieren
. Denn erzählend bringt sie seine Selbstzeugnisse so ins Spiel,
daß schon daraus die Aporien erhellen, in die der tief verinnerlichte
deutsche Konservativismus diesen in seiner Jugend exzentrischen, in
seinen Mannesjahren um ein konzentrisches Werk ringenden Dichter
geführt hat.

Sympathisch ist der Respekt, mit dem die Biographin sich um
dieses nahe und fremde Leben bemüht. Sympathisch ist der Verzicht
auf politisch-moralische Direktbelehrung des Lesers. Umso schneidender
wirkt die Kritik an Klepper, wenn sie sich, selten genug, von
der Erzählung abhebt. „Kämpfen" ist das letzte Wort des Buches,
und der Generalvorwurf an Klepper lautet eben, daß er nicht gekämpft
, d. h. seiner im persönlichen und künstlerischen Bereich
wahrgenommenen Verantwortung nicht auch politisch Ausdruck gegeben
habe. Die Isolierung, die ihm wegen seiner Ehe mit der Jüdin
Hanni Stein aufgezwungen war, habe er weder durch Auswanderung
noch durch illegale Gegenaktivität durchbrechen wollen. Er wollte es
nicht, weil er es nicht wollen konnte, und er konnte es nicht, weil er
wie zahllose andere unter dem Zwang einer Erziehung stand, die statt
Auflehnung Verinncrlichung forderte. Nicht etwa Kleppers Selbstmord
, „die verzweifelte Kapitulation von drei wehrlosen Menschen",
dürfe Sünde genannt werden, sondern: „Sünde war und ist das Eintrichtern
- von Jugend auf - einer Ideologie der .gottgewollten Bindungen
', die den Geist der Urteilskraft beraubt. Sünde war und ist
eine Lehre, die durch blindes Vertrauen auf Gottes Führung den
Menschen in resignierte Duldsamkeit drängt, ihm den Weg zur verantwortungsvollen
Tat versperrt" (381).

R. Thalmann hat 1976 eine französische Habilitationsschrift über
„Protestantisme et nationalisme en Allemagne (de 1900 ä 1945)" veröffentlicht
, der Leben und Wirken von Gustav Frenssen, Walter Flex,
Jochen Klepper und Dietrich Bonhoeffer zugrundeliegen. Im vorliegenden
Buch greift die Vfn. offenbar auf eine dort erarbeitete Konstellation
zurück. Gleich anfangs weist sie auf eine Analogie im Herkommen
und Milieu von Flex und Klepper hin (11 IT). Später, bei der Besprechung
von Kleppers Feldzug-Skizzen, mit denen er sich „literarisch
unter seinem Niveau" zeigt (309), heißt es, er sei zum „Walter
Flex redivivus 1941" geworden (308). Mit Bonhoeffer dagegen wird
ihm noch auf der letzten Seite der Mann gegenübergestellt, der
schließlich der „mündigen Welt" ansichtig geworden sei, der Welt
nämlich, in der man sich nicht in sein Verhängnis schickt, sondern
um menschenwürdige Verhältnisse kämpft (381). Über Vorzug und
Schwäche eines solchen Rahmens läßt sich ohne Kenntnis der erwähnten
Habilitationsschrift wenig sagen. Es genügt die Feststellung,
daß er dem Leser nicht als Interpretationsmaßstab aufgedrängt wird.
Immerhin, es steckt eine theologische Herausforderung ersten Ranges
darin. Das Gespräch über Klepper läßt sich nicht mehr (schon längst
nicht mehr!) nur im schützenden Gemeinderaum fuhren.

Der wissenschaftliche Apparat dieser Biographie ist recht knapp
gehalten, und die Autorin hatte gewiß ihre Gründe dafür. Dennoch:
Wäre dies nicht die Gelegenheit gewesen, eine einigermaßen vollständige
Bibliographie der Veröffentlichungen Kleppers wenigstens aus
dem letzten Lebensjahrzehnt abzudrucken? Die Liste in der Stuttgarter
Tagebuchausgabe ist für die wissenschaftliche Arbeit völlig unzureichend
- wie gerade aus der vorliegenden Biographie deutlich wird.
Ich vermisse auch einen Hinweis auf Rudolf Hermanns „Gesammelte
und nachgelassene Werke" (1967 ff). Die dort veröffentlichten Vorlesungsmanuskripte
reichen ja bis in die Zeit der Breslauer
Schülerschaft Kleppers bei Hermann zurück. Womöglich läßt sich
Hermanns Lehre von der zeitlichen Struktur des Ich im Zeitmotiv der
Klepperschen Lieder wiedererkennen. Es ist jedenfalls grundsätzlich

damit zu rechnen, daß Hermanns theologische Bedeutung für Klepper
sich nicht in der Lutherinterpretation und der Reserve gegenüber
der Bekennenden Kirche erschöpft. Überhaupt beleuchtet R. Thalmanns
Biographie mehr die Beziehungen zwischen Person und
Epoche als die zwischen Person und Werk. Hier bleibt noch vieles zu
tun. Aber für alles, was in Sachen Klepper an weiteren Untersuchungen
ansteht, ist nunmehr ein weit verläßlicheres Fundament vorhanden
, als wir es bisher hatten.

Corrigenda: Auf S. 263 wäre bei einer Neuauflage die numerische Ordnung
der Anmerkungsziffern herzustellen. Jetzt steht 48 zwischen 46a und 47.
Auf S. 388 sind die Texte der Anmerkungen 43 und 44 miteinander auszutauschen
.

Petershagen b. Berlin Jürgen Henkys

Systematische Theologie: Aligemeines

Casalis, Georges: Die richtigen Ideen fallen nicht vom Himmel.

Grundlagen einer induktiven Theologie. Stuttgart-Berlin-Köln-
Mainz: Kohlhammer 1980. 220 S. 8° = Urban-Taschenbücher,
640:T-Reihe. Kart. DM 18,-.

Dieses Buch legt Zeugnis ab von einer Theologie in den Kämpfen
unserer Jahrzehnte. Der Vf. gibt Rechenschaft von seiner Arbeit, und
zwar ebenso leidenschaftlich wie theologisch seriös. Denn Theologie
„darf nicht zu einem Ort werden, wo fremde Rechnungen beglichen
werden, und sie sollte nicht als Alibi für andere Zusammenstöße dienen
" (23). So „webt" C. einerseits unbeirrt „das christliche Grundmuster
" weiter und behält andererseits ausdauernd „die Fäden der
Aktualität in der Hand" (ebd.) Mit seinem induktiven Vorgehen stellt
er sich in Gegensatz u. a. zu den Elitechristen, „welche zwar unbestreitbar
im Dienst der ganzen Kirche stehen, aber losgelöst von ihrer
Mehrheit nicht mit den Alltagschristen zu Tische sitzen müssen"
(28). Von dieser Haltung aus fragt er die ungenaue kirchliche Verwendung
des Begriffs „Volk Gottes" an (32-37). Eine Theologie, die
wirklich auf den laos bezogen wäre, müßte nach der Meinung von C.
inmitten des Volkes und seiner Befreiungskämpfe entstehen. Wo in
diesen Kämpfen der Glaube gereinigt und erneuert wird, beginnt sich
eine Theologie des Volkes herauszubilden, die einer künftigen Kirche
des Volkes dient. Als Hoffnungszeichen dafür nennt C. Reflexion und
Praxis von Christen in Lateinamerika und Vietnam, er gibt aber auch
Algerien an, „wo sich eine sehr interessante sozialistische Hermeneutik
des Islam abzeichnet" (37).

Mit diesen Aussagen gibt C. seinen Standort und die Richtung seines
Theologisierens zu erkennen. Ihm fällt es auf der Gegenseite nicht
schwer, die induktive Arbeitsweise der scheinbar deduktiv vorgehenden
theologischen Richtung aufzuhellen: „Auch die herrschende
Theologie, mit all ihren Ansprüchen auf Universalität und Endgültigkeit
, ist verwurzelt in sozialen und geschichtlichen Strukturen und
Praktiken: und zwar jenen, die in Gestalt der Herrschaft der politi-
schen-religiösen Kasten und der Klassenherrschaft über die europäischen
Bevölkerungen und in Verlängerung dazu über die Bevölkerungen
der kolonisierten und missionierten Völker gegeben sind."
(41) Hierzu kommen die unbequemen Stimmen aus der Dritten Welt
als „brüderliche Störung" (Käsemann) zu Gehör (z. B. 30. 44-48).
Bei alledem will C. der Bibel als der entscheidenden Basis seiner
Überlegungen nicht ein beliebiges ideologisches Raster unterschieben
, sondern „ihren roten Faden" (65) wiederauffinden, d. h. es geht
ihm bei klarer Positionsangabe „um Erfindungsreichtum bei gleichzeitiger
Verwurzelung in den Ursprüngen, um schöpferisches und
phantasievolles Neugestalten bei gleichzeitigem Festhalten an der
Überlieferung" (59, vgl. 77). Kurz gesagt: C. liest die Bibel auf politische
Weise - d. h. als Mensch, der allseits zugestandenermaßen ein
politisches Lebewesen darstellt -, indem er die Widerspiegelung poli-