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Ausgabe:

1981

Spalte:

62-63

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Thurian, Max

Titel/Untertitel:

Feuer für die Erde 1981

Rezensent:

Sonntag, Franz Peter

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 1

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buch" im Heft VIII von „Zwischen den Zeiten". 1924, ist der Ertrag
der Vorlesung eingegangen, teilweise kann die Rezension geradezu als
deren Summe gelesen werden.) Der genannten Zielsetzung entspricht
die Ausführung durchaus. Unter Aufbietung zahlloser, zum Teil langer
Zitate werden Schleiermachers Predigten und Schriften eingehend
vorgestellt, referiert, analysiert, erläutert. Auch die Literatur über ihn
wird an vielen Stellen erwähnt und besprochen. Die Bekundungen
des Respekts vor Schleiermachers Rang und Leistung sind zahlreich.
Die kritische Distanznahme wird anfangs fast behutsam vollzogen.
Sie erfolgt durch Pointierung bestimmter Begriffe und Aussagen, insbesondere
durch die Anmeldung von Fragen. Im Fortgang der Vorlesung
, zumal im 11. Kapitel, werden die Einreden häufiger und umfänglicher
, die Abweisungen kräftiger. Die abschließende Erörterung
der „Reden" ist völlig von Kritik und Polemik bestimmt.

Hervorzuheben ist die große Rolle, die Schleiermachers Predigten
in Barths Vorlesung spielen. Mit ihnen setzt er ein. nicht weniger als
die Hälfte der Vorlesung ist ihnen gewidmet. Anhand der Predigten
aus den Jahren 1831-1834 wird eine erste Skizze der Theologie
Schleiermachers entworfen, die dann nach der dogmatischen Seite
ausgeführt wird durch die Analyse der Weihnachts-, Karfreitags- und
Osterpredigten, nach der ethischen Seite durch die Erörterung der
Hausstandspredigten. Einer brieflichen Mitteilung ist zu entnehmen,
das ursprünglich noch ein vierter Paragraph über „Die Zeitpredigt"
geplant war (Barth-Thurneysen-Briefwechsel II, 198; vgl. Vorl., 198).
der aus zeitlichen Gründen entfallen ist. In dem Einsatz bei den Predigten
zeichnet sich die besondere Qualifizierung ab. welche die Predigt
erfährt. Zugleich wird damit ein Teil des Schleiermacherschen
Werkes zur Geltung gebracht, der von vielen Interpreten sträflich vernachlässigt
worden ist. Barth ist sich dieses Zugs seiner Vorlesung mit
Recht bewußt gewesen (vgl. 92); noch in seiner letzten Äußerung zu
Schleiermacher hat er ihn in betonter Weise erwähnt (Nachwort zur
„Schleiermacher-Auswahl". 1968. 297).

Zum charakteristischen Gepräge der Vorlesung gehört schließlich
der programmatische Verzicht auf theologiegeschichtliche und auf
genetische Fragestellungen. Schon die Gliederung, die mit den spätesten
Predigten einsetzt und mit den ..Reden" (in der Erstfassung von
1799) endet, spricht in dieser Hinsicht für sich selbst. Frühe und späte
Zeugnisse werden letztlich auf einer Linie gesehen. Schleiermacher
soll zu Wort kommen, so lautet eine bezeichnende Wendung, „in
dem was er schließlich unzweideutig war und wollte, nicht in der
Zweideutigkeit seines Werdens" (10). Faktisch wird er. worauf der
Hrsg. hinweist, „von seiner Einwirkung auf das 19. Jahrhundert her
interpretiert" (IX). Noch mehr ist es die Schleicrmacher-Rezeption in
den Anfängen des 20. Jh.. die Barths Perspektive bestimmt. „Wenn
wir Schleiermacher kennenlernen, so lernen wir uns selbst kennen,
die prinzipiellen Züge unserer heutigen theologischen Lage" heißt es
in der ersten Vorlesungsstunde (4). Wie diese Lage in ihrem Bezug zu
Schleiermacher einzuschätzen sei. das wird in der letzten Stunde auf
eine Formel gebracht, die Bewunderung und Abwehr zusammenfaßt:
„Der Protestantismus hat tatsächlich seit den Reformatoren keinen
größeren Theologen gehabt als diesen. Dieser aber hat uns. hat das
Ganze in diese Sackgasse geführt" (461).

Unter den Zeugnissen der Auseinandersetzung Barths mit Schleiermacher
ist diese Vorlesung dasjenige, das die zugleich intensivste und
extensivste Beschäftigung mit seinem Werk dokumentiert. Für alle
späteren Äußerungen zum Thema sind in ihr die Linien orgezeich-
net. Dietrich Ritsehl hat in seinem Vorwort den Bogen zu der letzten
Äußerung von 1968 geschlagen und auf die sich durchhaltenden Argumente
hingewiesen, zugleich die Auffassung abgewehrt, daß sich in
dem Nachwort von 1968 eine Wendung in der Stellung zu Schleieimacher
zeige. Von einer Wendung wird man in der Tat nicht sprechen
können, eine Differenz gleichwohl anmerken müssen. Die Darstellung
von 1923/24 wird begleitet durch zahlreiche Fragen an
Schleicrmacher, die sich gewissermaßen summieren und die am
Schluß jedenfalls eine eindeutige Antwort linden. Das Nachwort zur
„Schleiermacher-Auswahl" von 1968 mündet aus in fünf Alternativfragen
, wobei die Antwort ausdrücklich offen bleibt. Das letzte Fragenpaar
hat die vorhergegangenen vier Alternativen selber zum
Thema und läßt schließlich auch offen, ob diese Fragen überhaupt
„der Intention Schleiermachers entsprechend" gestellt sind.

Kiel Hans-Joachim Birkner

Thurian, Max: Feuer für die Erde. Vom Wirken des Geistes in der
Gemeinschaft der Christen. Aus dem Franz. v. H.-W. Eichelberger.
Freiburg-Basei-Wien: Herder 1979. 168 S. 8'. Kart. DM 19.80.

Das Leitthema dieses neuen Buches von Max Thurian. Bruder von
Taize, ist das Wirken des Geistes in der Gemeinschaft der Christen.
Mit dieser Arbeit wendet sich der „Theologe der Einheit" an alle
Christen, die bereit sind, über ihren Glauben nachzudenken und ihre
Verantwortung vor dem einen Geist in Wort und Tat zu bekennen.
Der Vf. legt keinen lückenlosen Traktat zur Ekklesiologie vor. sondern
Gedanken, die im Verlauf längerer Reflexion niedergeschrieben
und da und dort schon veröffentlicht wurden.

Es gibt ja keine wahre und wirksame Theologie ohne Grundlage im
Leben der Kirche, wie der Vf. der Apostelgeschichte es beschrieben
hat: „Sie verharrten in der Lehre der Apostel und in der brüderlichen
Gemeinschaft, im Brotbrechen und den Gebeten" (Apg 2.42). So
führt Thurian den Leser zu den Quellen, zu den Ursprüngen der Kirche
. „An den Quellen der Kirche können wir die Kraft zum Zeugnis
von der Hoffnung in uns finden und auch das Verständnis, um unseren
Glauben mitten unter den Menschen zu bekennen, in dem wir in
der Einheit der brüderlichen Liebe leben" (Vorwort).

Max Thurian ordnet seine Reflexionen und Meditationen über die
Kirche in vier Abschnitte:

1. Sichtbare und unsichtbare Kirche (9-56)

2. Bibel und Tradition (57-92)

3. Der priesterliche Dienst (93-118)

4. Das eucharistische Opfer (119-153).

Ein Brief an einen katholischen Theologen ist als Nachwort angetügt.

Die Kirche, der Leib Christi, ist eine sichtbare Gemeinschaft. Auch
außerhalb ihrer Grenzen finden sich Menschen, die eigentlich zu ihr
gehören müssen. Das Opfer Jesu Christi hat universale und kosmische
Auswirkungen gehabt. Durch Christus haben Schöpfung und
Menschheit zu ihrer inneren Dynamik zurückgefunden, die sie unter
dem Blick Gottes zur Einheit führt. „Jene Dynamik, die. ausgehend
vom Kreuz, die ganze Schöpfung und die ganze Menschheit zur Einheit
mit und in Gott hindrängt, läßt sich von unseren kleinkarierten
kirchlichen Streitigkeiten nicht vereiteln. Die kosmische Einheit in
Gott sprengt unseren kleinlichen Streit, sie geht einfach über ihn hinweg
und nötigt uns, die Spaltung unter den Christen ganz beträchtlich
zu relativieren" (9).

Für die Kirche als sichtbare Gemeinschaft sind das niedergeschriebene
Wort Gottes, die Taufe, die Eucharistie und das Amt konstitutiv
und zugleich Zeichen für die Sichtbarkeit der Kirche.

Die Bibel enthält die Niederschrift des Wortes Gottes, sie ist das
Gedächtnisbuch Tür die lebendige Gemeinschaft der Kirche. Nur
innerhalb dieser vom Geist geleiteten Gemeinschaft kann man sie
lesen und verstehen. Die Tradition ist die authentische Interpretation
des Wortes Gottes in der Kirche.

Die Menschen im Dienst der Kirche vergegenwärtigen den alleinigen
Hirten und Priester Christus. Sie sind Diener seines einzigartigen
Priestertums. Im Heiligen Geist ordiniert, stehen sie in der Kontinuität
der Kirche der Apostel.

Die Christen erkennen heute besser denn je, daß ihre Einheit in der
Kirche sich aus der Eucharistie nährt. Die wahrhaft katholische, das
heißt also auf die Wahrheit Christi begründete und für die Vielfalt des
Geistes offene Einheit wird im eucharistischen Opfer, dem Sakrament
der Realpräsenz des Herrn, gespeist. Das Volk Gottes sieht sich
bei der Feier wieder neu hineingestellt in den wesentlichen Glauben,
der in der Liturgie zum Ausdruck kommt: durch im Dienst Christi
und der Kirche ordinierte Ämter wird es aufgerichtet und erbaut: es
wird neu in einen Zusammenhalt der brüderlichen Liebe geführt, die
ihm über alle Konflikte hinweghilft. Wenn die Kirche Eucharistie
feiert, ist sie ganz sie selbst.

Durch ihre mütterliche Berufung sind Maria und Kirche eng verbunden
. Das Mysterium Mariens als Mutter des Herrn und Urbild
der Kirche weist auf das Mysterium der Kirche hin.

Der schmale Band wird sich nur dem erschließen, der seine Texte
meditiert. Hier spricht ein Theologe, der ein geistlicher Mensch ist
und der aus dem Geist der Schrift, der Väter und der Liturgie lebt,
denkt und schreibt. Manche Abschnitte (etwa „Der Dienst an der
Eucharistie", „Das Gebet des Priesters") bieten Stoff für Rüstzeiten
und Exerzitien. Thurian kennt sich in den Unterscheidungslehren
aus. er ist in seiner Darstellung genau. Unterschiede werden nicht