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Ausgabe:

1981

Spalte:

821-823

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

The sentences of Pseudo-Phocylides 1981

Rezensent:

Walter, Nikolaus

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821

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 11

822

z. B. Kroll für Holl (S. 84'. 862'. 112176); H. Ibscher als Herausgeber
der Kephaleia (S. 95™. 109'"); Genogessos für Gongessos (S. 100
Z.21); auch Schreib- bzw. Druckfehler im griechischen Text, die sogar
zu falschen grammatischen Formen geführt haben.

Der bereits erwähnte Verzicht auf eine gezielte Befragung des Materials
, auf den hier noch einmal zurückzukommen ist, dürfte es wohl
sein, der mindestens mitverantwortlich ist für plötzliche Blockaden in
der Perspektive ("This shows how complicated a phenomenon the
introduction of Sethian ideas into gnosticism was" [S. 106; die Möglichkeit
der Beziehung von Sethianischem und Gnostischem ist hiera
priori einseitig festgelegt; es könnten ja z. B. umgekehrt auch gno-
stische Ideen in den Sethianismus eingedrungen sein]) oder für Unscharfe
in der Formulierung von Urteilen ("Seth is a saviour who will
appear at the end of time and is identified with Jesus. We cannot ex-
clude the possibility that this conviction was influenced by Christian
ideas" [S. 107]).

Schließlich soll hier nicht ungesagt bleiben, daß K. mit seinem
Buch einer sehr aktuellen Fragestellung der modernen Gnosis- und
Nag-Hammadi-Forschung begegnet. Das Phänomen oder auch Problem
des gnostischen Sethianismus erscheint im Augenblick als so gewichtig
, daß z. B. auf der International Conference on Gnosticism at
Yale (28.-31.3.1978) eines der beiden zentralen Seminare diesem
Thema gewidmet war (vgl. z. B. den schon Ende April desselben
Jahres erschienenen Bericht von M. Tardieu in Revue des Etudes
Augustiniennes 24,1978, 188-209). Und von den Proceedings dieses
Seminars, die von B. Layton als dem Organisator der Conference herausgegeben
wurden und bei Brill in Leiden (in den Nag Hammadi
Studies) erschienen sind, darf man sich sowohl eine Ergänzung des
Materials als auch eine Profilierung der Fragestellung versprechen. Es
geht ja weithin um dieselben Stoffe, aber die Blickrichtung ist so gut
wie entgegengesetzt. Von einer großen Gruppe miteinander verwandter
Nag-Hammadi-Texte, in denen dem Seth und seinem Geschlecht
eine Schlüsselfunktion zukommt, wird zurückgefragt nach einer möglichen
Verwurzelung wesentlicher sethianischer Vorstellungskomplexe
im Judentum (und/oder Samaritanertum), sei es, daß diese
Komplexe uns direkt aus jüdischen Quellen, sei es, daß sie uns nur
durch die Vermittlung des Christentums entgegentreten. Und wenn
nun schon in dem doch ganz anders ansetzenden Buch von K. ziemlich
deutlich herauskommt, daß weder die Juden noch die Christen,
wohl aber die Gnostiker sich besonders für die Gestalt des Seth interessiert
haben (vgl. z. B. S. 28. 78. 119), dann dürfte eben diese Perspektive
die eigentlich fruchtbare sein.

Berlin Hans-Martin Schenke

Horst, P. W. van der: The Sentences of Pseudo-Phocylides. With Introduction
and Commentary. Leiden: Brill 1978. XII, 295 S. gr. 8'
= Studia in Veteris Testamenti Pseudepigrapha, IV. Lw. hfl 76.-.

Die anzuzeigende Arbeit - eine noch von dem verstorbenen
Utrechter Neutestamentier W. C. van Unnik betreute Dissertation -
bietet im Hauptteil (S. 105-262) einen ausführlichen Kommentar zu
den 230 Hexametern jenes Lehrgedichts, das zwar unter dem Namen
des altgriechischen Gnomendichters Phokylides geht, aber doch wohl
einen hellenistischen Juden etwa der Zeitenwende zum Autor hat.

Der erste, einleitende Teil bietet zunächst (S. 3-54) eine sehr übersichtliche
Darstellung der Forschungsgeschichte, die nach kurzer
Einleitung mit J. Bernay's grundlegender Arbeit von 1856 beginnt
und dann wohl jeden einigermaßen beachtenswerten Forschungsbeitrag
vorführt, wobei zugleich die gesamte Palette der Beurteilung des
Gedichts (ist es christlicher, jüdischer oder heidnischer Herkunft?
stammt es von einem Proselyten, einem „Sympathisanten"? usw.)
deutlich wird. Sechs kürzere Kapitel (S. 55-83) befassen sich mit der
Authentizität des Gedichts, mit der Frage nach dem Grund für die
Wahl des Pseudonyms, mit der Lehre des Pseudo-Phokylides und der
Absicht, die der Autor mit seinem Gedicht verfolgte, mit dem Genus

(Form) des LehrgedicMs und schließlich mit Zeit und Ort der Abfassung
.

AufS. 77-103 wird der griechische Text mit einer eigenen (englischen
) Übersetzung abgedruckt. Beides wird später zeilenweise auch
der Kommentierung vorangestellt; doch ist natürlich durch den zusammenhängenden
Abdruck eine bessere Übersicht (mit der Möglichkeit
zur Bildung von Abschnitten durch Zwischenüberschriften)
und überhaupt eine zusammenhängende Lektüre des Gedichts ermöglicht
. Was den griechischen Text angeht, so setzt van der Horst
die Ausgabe von D. Young (Theognis, Leipzig 1961) voraus und geht
nur selten auf textkritische Probleme ein. - Am Ende des Bandes finden
sich eine erschöpfende Bibliographie bis 1976 (S. 263-280)', ferner
als wichtiges, wohl erstmals gedruckt vorliegendes Hilfsmittel
eine vollständige Wortkonkordanz (S. 281-288) sowie ein Index der
im Kommentar behandelten Gegenstände und ein Verzeichnis der
Bibelstellen (S. 289-295).

Aus der begleitenden Kommentierung der Forschungsgeschichte
und aus den erwähnten kürzeren Kapiteln wird die Gesamtsicht van
der Horsts deutlich. Er strebt keine spektakuläre „neue" Lösung an.
sondern hält sich im Rahmen des durch die Diskussion vorgegebenen
Spektrums auf einer sozusagen mittleren Linie, die auch der Rezensent
im wesentlichen nur bejahen kann: es handelt sich um die Arbeit
eines Autors der hellenistisch-jüdischen Diaspora, der sich hinter der
Maske des griechischen Gnomendichters verbirgt, wobei er alle spezifischen
Judaica wegläßt (also auch keine missionarische Tendenz verfolgt
). Das Gedicht steht in der Tradition jüdischer Weisheitsdichtung
(vgl. M. Küchler), bedient sich jedoch ganz griechischer Form
(Hexameter!) und paßt sich weitgehend hellenistischer Lebenssicht
an. Der Gebrauch einiger Vokabeln und andere Anzeichen schließen
ein Entstehen vor etwa 100 v. Chr. aus; die Nähe zu Stoikern des 1.
Jh. n. Chr. wie zu Philon empfiehlt die Zeit zwischen 50 v. Chr. und
100 n. Chr.; als Ort der Entstehung legt sich am ehesten Alexandrien
nahe, wenn sich auch wenig direkt dafür geltend machen läßt (etwa
die Warnung vor Leichensektion in V. 102? S. 183 unten). - Der
eigentliche Zweck des Lehrgedichts bleibt nach van der Horst „einigermaßen
rätselhaft" (S. 76): Missionarische Absicht läßt sich ausschließen
; offenbleiben muß, ob der Autor mehr an Juden oder an
Heiden als Leser denkt, etwa mit der Absicht, allgemeine humanitäre
Ideale und Verhaltensmaximen zu verbreiten. Immerhin erscheint
auch für van der Horst die etwa von G. Alon vertretene Sicht „attraktiv
" (S. 71), wonach der Autor seinen Glaubensgenossen die wesentliche
Übereinstimmung der auf der Thora basierenden Moral mit guter
griechischer Lebensweisheit aufweisen wollte, um einem Abschwenken
vom jüdischen way of life zu reinem Heidentum möglichst
entgegenzuwirken.

Wie gesagt: van der Horst will mit seinem Buch keine „steile
These" zu Pseudo-Phokylides beweisen. Das ist wohltuend. Denn es
entbindet den Benutz'er davon, stets auf der Hut zu sein, es könnte
eine Einzelerörterung im Dienste einer solchen These stehen. So
kann die Diskussion der exegetischen Einzelfragen in Ruhe erfolgen
und ohne Schaden gelegentlich auch offen ausgehen. Ein erster Benutzer
, Max Küchler, spricht von „230 Materialschlachten, aus
denen manchmal kein Sieger hervorgeht" (a. a. O. S. 279). Das ist
ganz treffend, sofern es nicht als Vorwurf verstanden wird (auch die
„Materialschlacht", die Küchler selbst auf S. 292-298 an Hand von
V. 153-174 zum Thema „griechisches oder nichtgriechisches Arbeitsethos
?" vorführt, geht nicht „besser" aus!). Übrigens schließt das
nicht aus, daß van der Horst gegebenenfalls Materialien, die speziell
auf alexandrinische Verhältnisse hinweisen, besonders beachtet, und
daß die Kommentierung überhaupt voraussetzt, daß wir einen mit jüdischen
Intentionen schreibenden Autor vor uns haben. Aber im
Ganzen macht gerade die Offenheit des Argumentierens einen Vorzug
des Kommentars aus und sichert die Benutzbarkeit auch für den.
der etwa einer anderen Sicht folgen möchte. Man kann sicher sein,
alle wichtigen Vergleichstexte (auf die etwa der Apparat bei Young
bzw. schon bei Diehl nur in lapidarer Kürze hinweist) vorgeführt und