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Ausgabe:

1981

Spalte:

819-821

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Klijn, Albertus Frederik Johannes

Titel/Untertitel:

Seth in Jewish, christian and gnostic literature 1981

Rezensent:

Schenke, Hans-Martin

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 11

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„Heiligenbilder" können in bestimmten Zeiten eine kritische Funktion
haben, vorausgesetzt, man kreiert die richtigen „Heiligen"!

Eine weitere Schwierigkeit der Arbeit sei noch kurz angedeutet.
Die äußerst hypothetische chronologische und vor allem geographische
Einordnung vieler Schriften läßt kaum zu, eine „Geschichte der
Paulusrezeption" (396) zu schreiben. Der mittelbare und unmittelbare
Pauluseinfluß auf jene Epoche steht außer Frage. Doch sind Urteile
über bestimmte geographische Regionen der alten Kirche zu
sehr von Unsicherheiten belastet. Wir wissen einfach zu wenig über
die personalen und geistigen Verbindungen zwischen den Gemeinden
der frühen nachpl Zeit. Ob etwa Ignatius „Paulus" nach Syrien (zurückgebracht
hat (vgl. 221), ist in der Tat dann wirklich nur eine
Vermutung. Hier gilt das Wort Walter Bauers: „Ich kann mir unmöglich
ein Verfahren aneignen, das die paar mehr oder weniger sicheren
Punkte, die wir noch festzulegen vermögen, mit geraden Linien verbindet
und so zwischen ziemlich entfernten Größen zu Beziehungen
gelangt, deren Möglichkeit und Art ganz im Dunkel bleibt"3. Zudem
gilt, was L. auch sonst überzeugend gegen ein vorschnelles Auswerten
fehlender Paulusrezeption geltend macht: Wenn eine Schrift von
Paulus schweigt, kann sich das aus gattungsgeschichtlichen Gründen
hinreichend erklären und braucht nicht durch die hypothetische
Rekonstruktion streng getrennter Traditionsströme belasten Gründen
hinreichend erklären und braucht nicht durch die hypothetische
Rekonstruktion streng getrennter Traditionsströme belastet werden.

Auf die dezidiert antipl Auslegung von Jak 2,14-26 durch L. wurde schon
hingewiesen. Es bleibt freilich die Frage, ob und wie der Verfasser des Jak
- wenn er (wie L. annimmt, vgl. 250) Paulus wirklich verstanden hat - gemeint
haben könnte, mit seinem paränetischen Schreiben einen korrekt verstandenen
Paulus wirksam bekämpft zu haben. Sollte sich dann sein Antipaulinismus
nicht auch anderweitig bemerkbar machen? Oder genügte ihm die Polemik
gegen das (zugegebenermaßen karikierte) Zentrum pl Denkens, um den ganzen
Paulus zu treffen? Oder hat er Paulus doch nicht so ganz verstanden? Es ist
wirklich bedauerlich, daß wir über den geographischen und theologischen
„Ort" des Jak nichts Näheres ausmachen können. L. rechnet im übrigen mit
der Möglichkeit, den Jak noch im Rahmen eines „zwar nicht theoretisch, aber
faktisch gesetzlich verfaßten Christentums" (248) einzuordnen. - Bemerkenswert
ist die Beurteilung des 1 Petr als „Zeuge des Versuchs einer Selbstfindung
des nichtpaulinischen Christentums in Kleinasien", der zeigt, „in welchem
Ausmaß paulinisches Reden und paulinische Theologie auch diejenigen kirchlichen
Kreise beeinflußte, die sich keineswegs als bewußt in paulinischer Tradition
stehend empfanden" (259) - ein Urteil, dem auch N. Brox in seinem
Kommentar zu IPetr nahe steht.'1 - Wenig glücklich scheinen mir dagegen die
Paulus-Reminiszenzen der Apg mit der Intention des Lukas erklärt zu sein,
„die paulinischen Briefe zu illustrieren und zu ergänzen" (173); auch Lk
18,9-14 ist wohl schwerlich als „Illustration der paulinischen Theologie" (162)
zu verstehen.

Die Untersuchung von L. wird auf lange Zeit als Standardmonographie
auf dem Feld der Erforschung der frühen Paulus-Nachwirkung
gelten können. Die weitergehende Spezialdiskussion zu einzelnen
(besonders patristischen und gnostischen) Texten wird zeigen, ob
sich der Entwurf des Vf. gegen die überkommene Sicht durchsetzen
kann. L. hat in jedem Fall ein solides Fundament dafür gelegt.

Erfurt Joachim Wanke

' Vgl. W. Bauer, Rechtgläubigkeit und Ketzerei im ältesten Christentum
(BHTh 10) (1934), 2. Aufl. mit einem Nachtrag von G. Strecker, Tübingen
1964, 215-230, bes. 227f; H. v. Campenhausen, Die Entstehung der christlichen
Bibel (BHTh 39), Tübingen 1968, bes. 169 ff.

2 Der Sammlung der Paulusbriefe geht L. nur kurz nach (20-35).

' Rechtgläubigkeit 221.

4 Vgl. N. Brox, der erste Petrusbrief (EKK XXI), Zürich-Neukirchen 1979,
47-51.

Klijn, A. F. J.: Seth in Jewish, Christian and Gnostic Literature. Leiden
: Brill 1977. VIII, 145 S. gr. 8* = Supplements to Novum Testa-
mentum, XLVI. Lw. hfl 84,-.

Das vorliegende Buch bietet einen interessanten und instruktiven
Ein- oder Überblick hinsichtlich dessen, was in den einschlägigen,

den drei Bereichen, die der Titel nennt, zugehörigen Quellen an Auffassungen
und Vorstellungen über Seth, seine Herkunft, seinen
Wandel und sein Geschlecht, zu finden ist. Und jeder Forscher, der
gegenwärtig oder in Zukunft bei seiner Arbeit auf Probleme stößt, die
mit der Gestalt des Adamsohnes Seth verbunden sind, wird gern darauf
zurückgreifen und sich hier mit Informationen versorgen können.
Eine solche Hilfe kann dies Buch nicht zuletzt deswegen leisten, weil
in ihm auch entlegenes und spätes Material herangezogen worden ist,
und wegen seiner umfangreichen Anmerkungen und der Menge von
Verweisen.

Sein Inhalt entfaltet sich - nach einer Introduction (S. Vllf) - in
fünf, je nach Umfang in sich noch weiter gegliederten Kapiteln: I.
Seth in Jewish Literature (S. 1-28); II. Seth in Samaritan Literature
(S. 29-32); III. The Name of Seth and Facts from his Life in Jewish
and Christian Literature (S. 33-47); IV. Seth in Christian Literature
(S. 48-80); V. Seth in Gnostic Literature (S. 81-117). Die "Final
Conclusions" (S. 118-120) werden als VI. Kapitel gezählt. Es folgen
noch zwei Anhänge: Appendix I ist überschrieben "Water and Fire"
und behandelt im Sinne einer ausgedehnteren Anmerkung die Traditionen
vom (periodischen) Weltuntergang durch Wasser- und Feuerfluten
(S 121-124). Appendix II ist eine tabellarische Übersicht über
die Art und das Vorkommen sethianischer Topoi in den behandelten
gnostischen Texten (S. 125-127). Den Schluß bilden ein Literaturverzeichnis
(S. 128-131) und ein Stellenregister (S. 132-145).

Der größere Rahmen, in dem, wie die Einleitung ausführt, Idee und
Durchführung des Seth-Themas zu sehen sind, ist das Interesse an
dem Sachverhalt des jüdischen Erbes im Christentum bzw. an der
(positiven wie negativen) Rückbeziehung des Christentums auf das
Judentum. Schon nach dieser in der Einleitung eröffneten Perspektive
muß man dann das über die Gnosis zu Sagende eigentlich wie ein
Anhängsel erwarten. Und so erscheint es schließlich auch, nämlich in
Gestalt eines letzten Kapitels, und zwar nach dem Christentum. Daß
hier schon die Anordnung der Stoffkomplexe Probleme impliziert,
erfährt der Leser aus den Worten des Vf. allerdings nicht. Das hängt
sicher auch mit einem weiteren Phänomen des Buches und seines Autors
zusammen. Es sieht so aus, als gehöre K. zu jenem großen Kreis
von Gelehrten, die im Grunde an die Selbstmächtigkeit des Materials
glauben und entsprechend damit rechnen, daß die Stoffe und Texte
von selbst und ungefragt alles, was man wissen muß, verlautbaren.
Als ein Bekenntnis dieses Glaubens möchte ich schon die allerersten
Sätze des Buches werten: "The title of this work speaks for itself. In
this book the way in which Jews, Christians and Gnostics speak about
Seth, the son of Adam, is discussed" (S. VII). Natürlich beschränkt
sich das Buch dennoch nicht auf eine reine Darbietung des Materials.
Es kommen schon auch Probleme zur Sprache; aber es sind dies
solche, die sozusagen zufällig am Wege auftauchen. Die Frage nach
ihrer Relevanz und Wesentlichkeit wird m. E. nicht gestellt.

Nun ist ja aber die Darbietung von Material an sich noch keine unwichtige
und nicht einmal eine ganz einfache Sache. Bei der Wiedergabe
dessen, was in den Texten steht, die meistens nicht ohne eine
Zusammenfassung, eine Konzentrierung des dort Gesagten abgeht,
kommt es ganz entscheidend darauf an, daß durch die notwendige
Verkürzung nicht etwa eine perspektivische oder Schwerpunktverschiebung
eintritt. Daß diese Selbstverständlichkeit hier eigens erwähnt
wird, darf damit in Zusammenhang gesehen werden, daß mir
in dem der Gnosis gewidmeten Teil, mit dessen Material ich am vertrautesten
bin, ein paar Stellen aufgefallen sind, wo das einschlägige
Charisma den Vf. in einem solchen Maße im Stich läßt, daß seine
Wiedergabe den Inhalt der Texte geradezu ins Gegenteil verkehrt.
Vgl. z. B. S. 86 Anm. 21 Z. 9 und Z. 15: "Noah who wanted her to go
into the ark" und "she refused to go into the ark" (während beide
Texte sagen, daß Norea in die Arche wollte, aber Noah sie nicht ließ).
Auf S. 105 heißt es: "According to the work entitled the 'Three Steles
of Seth', Seth wrote down on three pillars or steles the things that he
was told by Dositheus". Unglücklicherweise findet sich auch im technischen
Bereich eine ziemlich große Anzahl hinderlicher Versehen,