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Ausgabe:

1981

Spalte:

815-817

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Richter, Georg

Titel/Untertitel:

Studien zum Johannesevangelium 1981

Rezensent:

Wilckens, Ulrich

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 11

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l'election ä ceux des enfants d'lsrael qui ont cru au Christ" (141).
Daraus folgert er: "II n'y a jamais eu pöur S. Paul de rejet d'lsrael, car
Israel (le peuple sociologique) n'a jamais ete elu" (144). Allerdings
kommt er nicht darum herum, im Blick auf die Verwendung von
proegno (11,2) sowie von agapetoi (11,28) eine "election au sens
large" Israel zuzugestehen, die er aber scharf von der ekloge als der
"election au salut" abheben will (144). Seine Behauptung: "La simi-
litude est donc frappante entre Qumran et Paul" (147) verwundert
deshalb nicht. Selbstverständlich provozierten diese Ausführungen
eine sehr lebhafte Diskussion (152-192), in deren Verlauf D. als Ziel
seiner von U. Wilckens als „marcionitisch" (160) abgestempelten
These angibt, er wolle die heute weitverbreitete Parallelisierung der
Erwählung Israels mit der Erwählung durch Christus aus den Angeln
heben. Aber erstens geht das nicht so einfach und zweitens sollte uns
die jüngste Geschichte doch wohl etwas zur Zurückhaltung gerade an
diesem Punkt mahnen. Mit U. Wilckens ist das heilsgeschichtliche
Prae Israels (vgl. Rom 1,16; 2,90 „in der Rolle, die ihm als dem
zuerst von Gottes Erwählung Betroffenen, als dem ... für die Heiden
zum Grund der Errettung Gewordenen und zuletzt als dem auch
noch aus der Verlorenheit ihrer Resistance Erretteten zukommt"
(182), zu sehen. Damit fällt aber auch auf das „soziologische Faktum
Israel" Licht!

„Einige vorwiegend sprachliche Beobachtungen zu Rom 11,25 bis
36" bringt J.Jeremias (193-205). In dem pleroma ton ethnon
erblickt J. „nicht die Utopie einer All-Bekehrung", „sondern es
ist... die semitische Vorstellung der Repräsentanz angewendet"
(197), die mit der Vorstellung von der eschatologischen Völkerwallfahrt
verbunden ist. Das umstrittene kai houtös versteht J. rückweisend
(„solcherart", 198), pas Israel als „nicht numerisch", inhaltlich
als „das Gottesvolk aus Juden und Heiden" (200). Auch diese Interpretationen
riefen, wie die Diskussion (205-216) erweist, scharfe Polemik
hervor; denn V. 26 (kathos) ist fest an V. 25 angebunden, so
daß mit W. G. Kümmel hier „das berühmte Achtergewicht" vorliegt:
„Und auf diese Weise wird Israel gerettet werden, wie geschrieben
steht..." (207). Daß pas Israel vom Kontext her niemals ekklesiolo-
gisch gemeint sein kann, wird von mehreren Diskussionsrednern
überzeugend gegen J. eingewendet (u. a. mit dem Hinweis auf die
Frage von 11,1, die jetzt ihre endgültige Beantwortung findet). P. Be-
noit schließt das exegetische Kolloquium mit einer "Conclusion par
mode de synthese" (217-236) ab, in der die wichtigsten Fragen und
Probleme der Exegese von Rom 9-11 samt den unterschiedlichen
Deutungen zusammengestellt sind. In Verbindung mit der anschließenden
Diskussion (236-243) wird noch einmal deutlich, wie wenig
Übereinstimmung in der Interpretation von Rom 9-11 heute besteht.

Anhangweise ist der bereits in EvTh 33,1973, 496-526 veröffentlichte
Aufsatz von M. Barth: „Die Stellung des Paulus zu Gesetz und
Ordnung" samt einer kurzen Diskussion darüber (288-293) abgedruckt
worden. Eine Bibliographie (285-287, leider recht unvollständig
) und verschiedene Indices (295-335) beschließen den Band, der
ein getreues Spiegelbild der Vielfalt der gegenwärtigen Bemühungen
um das Verständnis der schwierigen Kapitel 9-11 des Römerbriefes
bietet.

Berlin Günther Baumbach

Richter, Georg: Studien zum Johannesevangelium, hrsg. v. J. Hainz:
Regensburg: Pustet 1977. IX, 458 S., 1 Porträt gr. 8' = Biblische
Untersuchungen, hrsg. v. O. Kuss, 13. Kart. DM 74,-.

Die in diesem Band gesammelten Aufsätze sind Vorstudien zu
einem Kommentar über das Johannesevangelium, den der seit dem
Krieg vom Tod gezeichnete Verfasser nicht vollenden konnte. Im
Alter von 56 Jahren ist Georg Richter 1975 gestorben. Ihm zu Ehren
hat Josef Hainz im Namen des Collegium Biblicum in München
diesen stattlichen Band posthum herausgegeben. Richter hat mit seinen
Studien die Johannesforschung der Gegenwart maßgeblich mitbestimmt
. Es ist gut und sehr dankenswert, daß der konsequente Weg,
den Richter zur Bewältigung der so schwierigen literarischen und
theologischen Probleme des 4. Evangeliums eingeschlagen hat und
den er zielbewußt Schritt für Schritt gegangen ist, durch die gesammelte
Publikation der verstreut erschienenen Aufsätze sehr eindrücklich
nachvollziehbar geworden ist.

Richter knüpft wie viele neuere Johannes-Interpreten bei Wellhausens
Lösungsmodell an: Er unterscheidet zwischen einer „Grundschrift
", die nur von Jesu Taten und Geschick berichtet habe, und
deren sehr eigenwilliger Bearbeitung durch den Evangelisten, dem
vor allem viele der großen Redepartien zu verdanken seien. Doch er
differenziert dieses Modell dadurch, daß er einerseits mit einer mündlichen
Traditionsschicht vor der Entstehung der Grundschrift und
andererseits mit späteren redaktionellen Ergänzungen zum Werk des
Evangelisten rechnet. Mit dieser literarischen Analyse korrespondiert
ein sehr plastisch gezeichnetes Bild von der mutmaßlichen Geschichte
des johanneischen Christentums: Träger jener „vorgrund-
schriftlichen" Tradition sei eine rein judenchristliche Gruppe gewesen
. Der Verfasser der Grundschrift habe sein Buch vor allem zum
Zwecke dör Abgrenzung und Auseinandersetzung mit täuferischen
Gruppen verfaßt. Sein Ziel sei es herauszustellen, daß Jesus der Messias
ist, und zwar als der eschatologische Prophet; und daß die christliche
Taufe der der Johannesjünger überlegen ist, weil sie den Geist
und somit die „Anwartschaft auf die Teilhabe an der Gottesherrschaft
, am Heil" gibt (S. 391). Der Evangelist habe diese judenchristliche
Grundanschauung völlig verändert: Er sieht in Jesus den vom
Vater gesandten, präexistenten Gottessohn, der durch seinen irdischen
Tod in seinen himmlischen Ursprung wieder zurückgekehrt ist.
Entsprechend transzendent ist das Heil seiner Jünger gedacht, als
Neugeburt von oben aufgrund der Zugehörigkeit zu Jesus im Glauben
an ihn, die in ewiger göttlicher Prädestination begründet ist. Dem entspricht
schließlich auch ein ganz neues Verständnis der Eschatologie;
diese wird zur Gegenwart himmlisch-göttlicher Heilswirklichkeit in
Jesus, an der der an ihn Glaubende bereits jetzt vollauf teilhat. Diese
kühne Konzeption des Evangelisten sei in Übernahme mandäischer
Motive (zur Abwehr einer entsprechend gnostischen Christologie der
Täuferanhänger?) und in Auseinandersetzung mit den .primitiven'
Vorstellungen und Tendenzen des vorjohanneischen Christentums
entstanden. Richter sieht im Evangelisten den Repräsentanten einer
Gruppe, die sich von jener konservativen judenchristlichen Gruppe,
die der Verfasser der Grundschrift repräsentiert, abgespalten habe; im
Gegenüber Jesu und seiner Jünger zu „den Juden" spiegele sich die
Kontraposition zwischen diesen beiden Gruppen des johanneischen
Christentums.

Doch in der durch den Evangelisten repräsentierten Gruppe sei die
von ihm konzipierte Christologie alsbald doketisch verstanden und
vertreten worden. Dagegen habe es wiederum eine heftige Reaktion
gegeben, die sich literarisch in jenen redaktionellen Ergänzungen
zeige: Hier wird das Steuer herumgerissen; die Menschheit Jesu wird
herausgestellt, der Glaube an den inkarnierten Gottessohn wird zur
Scheidemünze zwischen Rechtgläubigkeit und Ketzerei, die futurische
Eschatologie aufs neue betont und im Parakleten eine feste
Lehrautorität geschaffen.

Diese faszinierende Konzeption einer höchst lebendig-widerspruchsvollen
Geschichte des johanneischen Christentums tritt am
deutlichsten in dem letzten, 1976 erschienenen Aufsatz hervor:
„Zum gemeindebildenden Element in den johanneischen Schriften"
(S. 383 ff). Im Durchgang durch die Reihe der voranstehenden früheren
Aufsätze lassen sich deutlich die Stadien auf dem Wege dorthin
erkennen: Die beiden Deutungen der Fußwaschung in 13,1-20
werden zwei verschiedenen Verfassern zugeschrieben (S. 42 ff), auf die
sich ebenso die beiden verschiedenen Abschiedsreden in Kap 14 und
15-17 zurückführen lassen, die ein sehr verschiedenes Verständnis
der Heilsbedeutung des Todes Jesu zeigen (S. 58ft).

Entsprechende literarische wie auch theologische Differenzen erkennt
Richter sodann vor allem in Joh 6 (S. 88ff.l99ff), im Prolog