Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1981

Spalte:

59-61

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Barth, Karl

Titel/Untertitel:

Die Theologie Schleiermachers 1981

Rezensent:

Birkner, Hans-Joachim

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

59 Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. ! 60

die letzten Gründe des Falleseinzusehen, aber eine logische Möglichkeit
der Sünde liege darin, daß Gott außer seinem Willen andere Willensrichtungen
dulde, durch welche die in der Welt sich ereignenden
Abweichungen von Gottes Gebot motiviert werden. Die Umsetzung
der bloßen Möglichkeit in die Faktizität liege außerhalb des Verste-
henshorizontes des in seiner Erkenntnis beschränkten sündigen Menschen
. Der Glaube gebiete uns jedoch, die innertheologischen Kategorien
Sünde - Erlösung in ihrem heilsnotwendigen Aufeinander-
bezogensein zu berücksichtigen.

In einem besonderen Kapitel wird das Leiden der außermenschlichen
Kreatur erörtert (Animal Pain. 67-83). Geach wendet sich
gegen das Anlegen falscher Kriterien, die etwa zu der überspitzten
Forderung des Vegetarismus führen. Eine Fülle weiterer Probleme
wird in diesem Zusammenhang angeschnitten, die teilweise die
theologische Fragestellung - wie zum Beispiel die Auseinandersetzung
mit dem Darwinismus (750- überschreitet.

Breiten Raum nehmen Ausführungen über die Erbsünde (Original
Sin. 84-101) und schließlich über die Hölle (Hell, 123-147) ein.
(feach betont hier im besonderen die persönliche Verantwortung des
Individuums und weist theologische Versuche, die von kollektiver
Verantwortung oder sogar kollektiver Erlösung sprechen, zurück. Im
Rückgriff auf ein Wort von Thackery (Gott als ..The Ordainer of the
Lottery", 102-122) werden letztlich das Gute und die Übel in der
Welt, als nach einem (relativen) Gerechtigkeitsprinzip verteilt, gedacht
, das in gewissem Sinne einer Lotterie ähnelt. („We cannot opt
out of the lottery nor alter its terms; and it is vain tho look here for
distributive or retributive justice; it is only that the Ordainer of the
lottery plays fair." - 120).

Ungleichheit gehöre wesentlich zum Menschsein („Christian tradi-
tion has never taught. that God gives all men an equal share", 121).
Demgegenüber sei von entscheidendem Gewicht, daß nach dem
christlichen Glauben alle Menschen ohne Ausnahme die Möglichkeit
erhalten [wie wird im gegebenen Fall das Endgericht offenbar werden
lassen), am göttlichen Leben zu partizieren. Das sei ihre Chance, die
lediglich durch schuldhaft verursachte Pervertierung des Willens zerstört
werden könne.

Potsdam-Babelsberg Ilse Bertinetti

Barth. Karl: Die Theologie Schleiermachers. Vorlesung Göttingen
Wintersemester 1923/24, hrsg. v. D. Ritschi. Zürich: Theologischer
Verlag 1978. XII, 480 S. 8" = Karl Barth Gesamtausgabe. II.
Akademische Werke 1923/24. Lw. sfr 54.-.

Karl Barth hat diese Vorlesung, die als elfter Band der Gesamtausgabe
aus dem Nachlaß erschienen ist. im fünften Semester seiner Göttinger
Lehrwirksamkeit als Honorarprofessor für reformierte Theologie
gehalten, nach seiner brieflichen Auskunft (zitiert S. VIII) vor
30-35 Hörern. Der Text ist von ihm wörtlich ausgearbeitet worden.
Der am Rande angegebenen Datierung der Stunden ist zu entnehmen
, daß die Vorlesung dreistündig gehalten worden ist.

Der Hrsg. hat in seinem knappen Vorwort einige (noch ergänzungs-
lähige) Hinweise zur Entstehung und zur Einordnung der Vorlesung
beigesteuert, ferner die bei der Edition befolgten Prinzipien der
Gesamtausgabe angegeben. Deren Gestaltung folgend, sind dem Band
Register der Bibelstellen, der Namen und der Begriffe beigefügt.
(Über den Nutzen eines Bibelstellenregisters, das die Texte der behandelten
Schleiermacher-Predigten mit den biblischen Zitaten und
Anspielungen Barths zusammenfaßt, kann man allerdings geteilter
Meinung sein.) Zu den Zitaten Barths und zu seinen Anspielungen
sind in Anmerkungen sorgfältige Nachweise gegeben, deren Ermittlung
zuweilen detektivische Leistungen erfordert haben dürfte. Ein
Abschnitt der Vorlesung ist übrigens seit langem bekannt. Der 1925
in „Zwischen den Zeiten" veröffentlichte Aufsatz ..Schleiermachers
.Weihnachtsfeier"" (abgedruckt in dem Sammelband „Das Wort Gottes
und die Kirche". 1928) stellt sich als eine nur leicht überarbeitete
Fassung der einschlägigen Passagen der Vorlesung dar (98-134). Dem
Hrsg. und seinen Mitarbeitern ist nachdrücklich zu danken, daß sie
nun den vollständigen Text der Vorlesung von 1923/24 zugänglich
gemacht haben.

Nach einer Vorrede, die das Programm entwickelt, gliedert die
Vorlesung sich in zwei große Kapitel: „Die Predigt" und „Die Wissenschaft
". Die drei Paragraphen des I. Kapitels behandeln zunächst
„Die Sonntagspredigt der letzten Jahre", sodann „Die christologischc
Festpredigt" (unter Einbeziehung der Schrift „Die Weihnachtsfeier"
von 1806), schließlich „Die Hausstandspredigten von 1818 (mit
einem Exkurs über die Lucinde-Briefe von 1800). Die vier Paragraphen
des nach der Weihnachtspause begonnenen II. Kapitels haben
als Themen: „Die Enzyklopädie", „Die Hermeneutik", „Der christliche
Glaube". „Die Reden über die Religion".

Einige Besonderheiten der Auswahl und der Anordnung erklären
sich daraus, daß die Planung im Laufe des Semesters eine Änderung
erlitten hat. Der in der ersten Semesterstunde mitgeteilte Aufriß sah
drei Kapitel vor. Nach der Behandlung der Predigten sollte sich das
zweite Kapitel den „theologischen Werken im engeren Sinn, der
.Kurzen Darstellung des theologischen Studiums' und den großen Arbeiten
.Der christliche Glaube' und .Die christliche Sitte' vor Allem,
zuwenden", während das dritte Kapitel gewidmet sein sollte „der
Schleiermacherschen Philosophie, soweit sie uns eben zum Verständnis
seiner Theologie angeht, d. h. den vorwiegend philosophischen
Teilen der theologischen Schriften (Einleitung zur Glaubenslehre!),
seiner Dialektik, philosophischen Ethik, Psychologie usf. .., aber
auch seinen Reden über die Religion, die ja nach Form und Inhalt
entschieden in diesen Zusammenhang gehören" (110- Bei der Zusammenfassung
der beiden geplanten Kapitel zu einem einzigen
(unter der Überschrift „Wissenschaft") sind die philosophischen Entwürfe
entfallen. Von der Glaubenslehre hat Barth nur die Einleitung
behandelt. Die „Reden", die - zusammen mit Teilen dieser Einleitung
-der Philosophie zugewiesen worden waren, sind zum Schlußthema
geworden.

Die Planung wie die Ausführung zeigen charakteristische, auffällige
, auch überraschende Züge. Überraschend wirkt schon dies, daß
zu den ersten Vorlesungen Barths ausgerechnet eine über Schleiermacher
gehört hat. Bereits am 27. November 1921, als er im ersten
Semester seiner Göttinger Lehrtätigkeit über den Heidelberger Katechismus
las (daneben über den Epheserbrief). hat er die Absicht mitgeteilt
, nach der für den Sommer angekündigten Calvin-Vorlesung im
folgenden Winter Schleiermacher zu behandeln (Barth-Thurneysen-
Briefwechsel II. 15). Die Vorlesung über „Die Theologie Calvins" hat
im Sommersemester 1922 stattgefunden. Die des Wintersemesters
1922/23 hat jedoch „Die Theologie Zwingiis" behandelt, die des
Sommersemesters 1923 „Die Theologie der reformierten Bekenntnisschriften
". In der Reihe der Themen zeichnet sich der Sachverhalt ab.
daß Barth durch seinen Lehrauftrag an die reformierte Theologie gewiesen
war. Fast legt sich der Gedanke nahe, daß bei der im fünften
Semester realisierten Vorlesung über „Die Theologie Schleicr-
machers" dessen reformierte Herkunft eine Rolle gespielt haben
könnte. Zu berücksichtigen ist auch Barths spätere Bekundung, er
habe die theologiegeschichtlichen Vorlesungen dieser Semester angekündigt
„wesentlich zu meiner eigenen L nterrichtung" (Nachwort zu
der von H. Bolli veranstalteten ..Schleiermacher-Auswahl". 1968,
296). Auffällig ist es, von welchen Äußerungen der Unlust und der
„Antipathie" die Anfänge der Vorlesung in den gleichzeitigen Briefen
begleitet werden. Neben den Stellen, die der Hrsg. im Vorwort erwähnt
(VHIf), ist vor allem der Brief an Bultmann vom 9. 10. 1923 zu
nennen, in dem es heißt: „Diesen Winter lese ich über Schleiermacher
. Der Teufel soll ihn holen, ich mag ihn wirklich nicht und
suche bis jetzt vergeblieh nach einem Modus, um mit der auf Universitäten
nun einmal erwünschten scheinheiligen Gerechtigkeit über
ihn vorzutragen". (Barth-Bultmann-Brielwechsel. 18). Eine solche
Äußerung spricht dafür, daß die Vorlesung in der Tat als eine „Generalabrechnung
" einzuschätzen ist (so der Hrsg.. X). die Barth der im
Sommersemester 1924 begonnenen Dogmatik (angekündigt als „Unterricht
in der christlichen Religion") vorausgeschickt hat.

Um so bemerkenswerter ist es dann, daß die Vorlesung keineswegs
als eine derartige Abrechnung stilisiert ist. Sie hat ein gänzlich anderes
Gepräge als das nahezu gleichzeitig veröffentlichte Buch Emil
Brunners „Die Mystik und das Wort" (1924). Barth hat das Erscheinen
des Buches, dessen Manuskript er teilweise eingesehen hatte, in
der Vorlesung mit der Bemerkung angekündigt, daß er mit dessen
Kritik -„soweit ich sehe" (7) - einig gehe. Seine eigene Zielsetzung
hat er davon ausdrücklich abgesetzt. „Der Zweck meiner Vorlesung
ist nicht der, Sie gegen den allverehrten Schleiermacher scharf zu
machen, sondern mit Ihnen sehen, kennen und verstehen zu lernen"
(6). (In die spätere kritische Besprechung ..Brunners Schieiermacher-