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Ausgabe:

1981

Spalte:

814-815

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Die Israelfrage nach Röm 9 - 11 1981

Rezensent:

Baumbach, Günther

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 11

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aus, doch noch einen wesentlichen und weittragenden Schritt weiter,
der sorgfältigster Begründung bedarf. Man kann schon fragen, ob
nicht doch auch bei Mt und Lk sich bestimmte Einflüsse liturgischer,
von Mk unabhängiger Tradition bemerkbar machen. Nun aber sogar
die liturgische Tradition bei Paulus gradlinig und ausschließlich
auf die Mk-Form zurückzuführen, das dürfte eine Vereinfachung
sein, die schwerlich dem literarischen und historischen Tatbestand
gerecht werden kann. Auch bedürfte das merkwürdig konsequente
Fehlen der Redeweise von „Brot und Wein" (zugunsten von „Brot
und Becher") mit Blick auf das Abendmahl im NT einer Erklärung.

P. indessen kann sich im folgenden allein auf die Mk-Fassung konzentrieren
. Er erweist die Geschlossenheit der Erzähleinheit Mk
14,22-25 sowie ihre unlösliche Einbindung in den Kontext der
mk.nischen Passionsgeschichte. „Die Erzähleinheit berichtet von
Jesu Todesdeutung und seiner Todesprophetie beim Paschamahl in
der Nacht seiner Verhaftung" (S. 83). Schließlich zeigt P. die historische
Zuverlässigkeit des Berichts.

Mit der Austeilung von Brot und Wein beim Passamahl gibt Jesus,
der Messias-Menschensohn, sich selbst seinen Jüngern, und zwar als
der, der in den Tod geht. Durch das Becherwort verbindet Jesus seinen
Tod mit der (neuen) heril Gottes und spricht zugleich seinem
Sterben sühnende Bedeutung für ganz Israel zu (Aufnahme von Ex
24,8 und Jes 53,12). Das abschließende Amen-Wort (Mk 14,25)end-
lich sagt Jesu Heilsgewißheit aus; „Jesu Todesprophetie hat ihre
Spitze in seiner Auferstehungsgewißheit" (S. 101).

Nach diesen analytischen Erörterungen stellt P. die aus der
gegenwärtigen Diskussionslage dringlich erwachsende Frage nach der
Vereinbarkeit von Gottesreichverkündigung und Todesverständnis
Jesu. Er bejaht sie vorbehaltlos, m. E. mit vollem Recht. Ein letzter
Abschnitt deutet kurz, aber gleichwohl Wesentliches anrührend, die
konstitutive Bedeutung des eigenen Todesverständnisses Jesu für die
nachösterliche Mission des Israels, das Jesus verwarf, für die urchristliche
Taufe und für den Durchbruch des Glaubens an die universale
Geltung des Evangeliums.

In gewisser Hinsicht wirken die exegetischen Partien des Buches geradezu
wie befreiend. Sie brechen kühn und konsequent einen fesselnden
Konsens auf, der sich kritisch nennt, aber fast schon scholastische
Züge trägt. Und sie tun das nicht mit randständigen Methoden
und Argumenten, sondern indem sie sich eben der Methoden und Argumente
souverän bedienen, die auch innerhalb der Gegenposition
die entscheidende Rolle spielen. Daß P. sie zuweilen allzu gewiß
handhabt und doch wohl etwas zu sicher Lösungen vorträgt, die
einem literarisch und historisch differenzierten Tatbestand nicht
durchweg gerecht zu werden scheinen, darin unterscheidet er sich keinesfalls
von den Verfechtern sog. kritischer Lösungen. Es ist in jedem
Falle ein großer Fortschritt, daß durch dieses Buch Bewegung in die
Szene der Diskussion um die theologisch zentrale Frage der neutesta-
mentlichen Abendmahlsüberlieferung gebracht ist, die Raum schafft
für neue Lösungen.

Eines besonderen Wortes bedürften noch die interessanten systematischen
Grundlagen von P.. die in diesem Buch deutlich anklingen
. Indem er für die fundamentale Bedeutung des „historischen Jesus
" an Chalcedon erinnert, mahnt er an eine der bleibenden Normen
jeglicher „orthodoxen" Christologie. Ob freilich eine solche Frage
wie die: „Sollte Gott seinem Sohn diese Erfüllung seiner Sendung
verborgen haben?", mit der P. Jesu Bewußtsein um die theologische
Bedeutung seines Todes sichern will (S. III), vor der Berufung auf
Chalcedon standhalten kann, ist mir nicht ganz sicher. Und das gilt
auch für die - damit zusammenhängende - einseitige Betonung dessen
, daß Gott selbst (sich) Sühne im Tode Jesu aufrichtet. Diese Fragen
bedürften gewiß einer intensiveren Diskussion.

Halle (Saale) Traugott Holtz

De Lorenz!, Lorenzo [Hrsg.]: Die Israelfrage nach Rom 9-11.

Rom: Abtei von St. Paul vor den Mauern 1977. IV, 335 S. gr. 8" =
Monographische Reihe von „Benedictina". Biblisch-ökumenische
Abt., 3.

Dieser Sammelband, an dem C. K. Barrett, M. Barth. W. M. Be-
dard, P. Benoit, M. Bouttier. J.-M. Cambier, B. Corsani, E. Dinkler,
F. Dreyfus, J, Dupont, J. Gribomont, J. Jeremias, W. G. Kümmel,
E. Lohse, S. Lyonnet, F. Montagnini, B. Orchard, R. Pesch, B. Ri-
gaux, J. Sänchez Bosch, E. Schweizer, W. C. van Unnik, A. Vögtle.
D. E. H. Whiteley, U. Wilckens und M. Zerwick durch Vorträge und
Diskussionsbeiträge mitgewirkt haben, beschäftigt sich mit dem Israelproblem
, das den Apostel in Rom 9-11 bewegt. Auf die Einführung
von L. de Lorenzi (1-12), in der die Frage nach der Notwendigkeit
einer Behandlung dieses Themas, das neuerdings wieder an Aktualität
gewonnen hat, gestellt und bejaht wird, folgt ein sehr instruktiver
forschungsgeschichtlicher Überblick von W.G.Kümmel (13-33).
Nach K. wollen Kap. 9-11 „den göttlichen Plan der Gleichstellung
von Heiden und Juden" (29) verkünden und damit „das Problem des
Handelns Gottes in der Geschichte in den Mittelpunkt" (31) stellen.
Da uns dieser Text nicht nur als historisches Dokument, sondern primär
als Teil des NT begegnet, ist betont danach zu fragen, „was
uns... dieser Text heute zu sagen hat, in welcher Weise er uns für
unsere Probleme bleibend gültige Weisungen geben will" (33). Daß
K. in diesem Zusammenhang sehr energisch vor kurzschlüssigen Antworten
warnt, ist im Blick auf die heutige Forschungssituation nur zu
gut verständlich. Das Ergebnis der sich daran anschließenden Diskussion
(34-56) kann mit E. Dinkler folgendermaßen zusammengefaßt
werden: „1.. . .besteht.. .Übereinstimmung, daß Paulus hier außerordentlich
am historischen Volk Israel interessiert ist; das ist die Basis
. 2. aber, daß er von dem Begriff des historischen zu dem des charismatischen
Israel übergeht" (55).

Mit der Exegese von Rom 9,6-29 befaßt sich F. Montagnini
(57-86). Neben sehr sorgfältigen stilistischen Analysen findet sich
hier eine Auseinandersetzung mit der systematischen Theologie, die
die Begriffe Freiheit und Prädestination statt der biblischen Erwählung
und Gnade bevorzugt und damit den Akzent auf das anthropologisch
-metaphysische Gebiet verlagert. Für Paulus geht es aber bei seinen
prädestinatianischen Aussagen allein um die Lösung des Israel-
Problems. Diese geschieht in der Zukunft, die kein Gegenstand von
Berechnungen sein kann, weil sie allein Gott gehört. Gottes dynalon
spielt darum die entscheidende Rolle. Die anschließende Diskussion
(86-97) behandelt die Fragen der Abgrenzung des Textes (V. 29 oder
V. 33), der Autorität des Schriftwortes und des Apostels (im Vergleich
mit 1 Kor 7) und der Beziehung von V. 20-22 zu Jer 18.

C.K.Barrett bietet eine Interpretation von Rom 9,30 - 10,21
(99-121). Im Gegensatz zu P. Stuhlmacher sieht B. die paulinische
Gesetzesdialektik darin, daß zwischen einem richtigen und einem falschen
Gebrauch des Gesetzes zu unterscheiden sei: zwischen dem als
Ruf zum Glauben und dem als Ansporn zu Werken verstandenen Gesetz
. "This ... is Paul's real Gesetzesdialektik: a faith-response to the
law of Moses leads to rigtheousness, a works-response to the same law
to stumbling and destruetion" (113). Das Zitat in V. 33 meint die
recht verstandene Tora, 10,4 proklamiert Christus als "the end of the
law in the sense that the reaction of works was excluded" (116). Daraus
folgert B.: "The true understanding of the law merges into the
'word of faith, which we - Christians - preach' (10,8)" (119). Aus der
Diskussion (121-130) verdient der Beitrag von P. Benoit besondere
Beachtung, der zwischen einer "justice distributive" (im Blick auf das
rabbinische Judentum) und einer "justice salvifique" (im Blick auf
1QH) unterscheidet, die Paulus dialektisch aufeinander bezieht:
Christus leistet der "justice vindicative" durch seinen Tod Genüge,
und Gott schenkt uns durch das gleiche Geschehen seine "justice salvifique
" (127).

Rom 9,1-5; 11,1-24 werden von F. Dreyfus exegesiert (131-151).
Er betont, daß in 9,3-5 unter Israels Privilegien die ekloge nicht erwähnt
wird, und stellt als These auf: "Paul reserve le vocabulaire de