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Ausgabe:

1981

Spalte:

804-805

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Kubina, Veronika

Titel/Untertitel:

Die Gottesreden im Buche Hiob 1981

Rezensent:

Kegler, Jürgen

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 11

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uns nicht erhalten ist. Als Antwort darauf mußte die Gemeinde einen
„individuellen Dankpsalm in dritter Person" anstimmen, und dessen
Aufzeichnung lesen wir jetzt in dem zu Unrecht so berühmten 53.
Kapitel des Jesajabuchs. Denn erst der christliche Mißverstand des
Kapitels hat es berühmt und zugleich rätselhaft gemacht: tatsächlich
war der „Knecht Jahwes" damals weder gestorben noch war sein Leiden
stellvertretend noch ist dieser Text so außergewöhnlich, daß sich
die 2000jährige Gelehrtenmühe darum lohnte.

Das ist in kurzen Strichen die neueste Deutung von Jes 53, und deren
Nachweis sich W. in seiner Schrift mit großem Materialaufwand
und zahlreichen Vergleichen und Exkursen quer durch das Alte Testament
bemüht. Im einzelnen sieht das so aus:

1. Das Leiden des Gottesknechtes war nicht stellvertretend, weil es
eine derartige Vorstellung im Alten Testament nirgends gebe und
weil der Knecht - wie sich für seine Gemeinschaft am Ende herausstelle
- nur dasselbe Exilsleiden erlitten habe wie sie auch - allerdings
in größerem Maß (z. B. p. 59) und verhältnismäßig (wie W. p. 30 vorsichtshalber
einschränkt) unschuldig. Geteiltes Leid also und nicht
stellvertretendes (z. B. p. 30) - das ist von Anfang an (nämlich dem
Vergleich von 53,11 mit Thr 5,7) der Leitfaden, nach dem man die
einschlägigen Wendungen des Kapitels verstehen soll: nicht etwa ein
selbstverschuldetes Unglück, sondern unsere (gemeinsame) Sünden-
Strafe. Ein längerer Exkurs zu nasd 'awon im Alten Testament
(31-57) soll belegen, daß die Wendung nirgends mit Stellvertretungsvorstellungen
zu verbinden sei.

2. Der Gottesknecht war nach Jes 53 nicht gestorben, sondern nur
am Rande des Grabes, weil er andernfalls am Ende von den Toten
auferstanden sein müßte und eine solche Vorstellungsmöglichkeit im
6. Jh. v. Chr. nicht vorauszusetzen sei (79-92), und weil die betreffenden
Wendungen, die man auf seinen Tod gedeutet hat, teils aus der
Nähe zur Sprache der individuellen Klage- und Dankpsalmen zu
deuten seien, teils textlich unklar blieben, schließlich in v 9 nur von
der Zuweisung einer Grabstätte, nicht vom Begräbnis die Rede sei
(nach C. C. Torrey). Dagegen fänden sich deutliche Hinweise auf Gefängnishaft
und Mißhandlungen.

3. Das Lied ist ein individueller Dankpsalm, aber nicht im Munde
des Erretteten, sondern der Gemeinde, daher die neue Gattung des
„third person individual thanksgiving psalm" als Teil einer Dankfestliturgie
, wofür W. Belege in Psalm 118, 22-24 und Psalm 107 findet.
Dieser Gattung, in der auch das Jahweorakel zitiert werden kann, gehört
also unser Text an; 52,13-15 muß dann aber abgetrennt werden,
weil es sich nicht in die bekannten Gattungsraster fügt.

In der reichhaltigen Literatur zu Jes 53 gibt es Seltsameres. Man
wundert sich aber doch, wie unverdrossen ein namhafter Gelehrter
ein Hypothesenbündel zu beweisen sucht, gegen das sich der Text an
allen Ecken zu sträuben scheint. Eine detaillierte Auseinandersetzung
verbietet der verfügbare Raum, so daß ich mich auf wenige Hinweise
beschränken muß.

1. Es scheint reichlich gewagt, wenn man auf dem Fundament von
drei Psalmversen (Ps 118,22-24) eine neue Gattung begründen muß.
Die Dankfestliturgie Gunkels sei ihm unbenommen, aber jenes
Danklied über einen Dritten ist denn doch zu schwach belegt, um
daraus gleich eine feste Institution zu machen (Ps 107 ist kein Beispiel
dafür!, cf. H. J. Kraus, BK, z. St.). Gewiß wird in den Dankliedern die
Gemeinde zum Lob aufgefordert, aber daß sie der Aufforderung mit
dem erneuten Bericht über Not und Rettung des Geretteten entsprechen
wollte, ist nicht gerade wahrscheinlich - sie tut's auch Ps
118,22-24 nicht. Aber schon bei der Ermittlung der Verwandtschaft
von Jes 53 und individuellem Dankpsalm ist verblüffend, wie W.
immer wieder feststellen muß, daß wesentliche Elemente der Gattung
fehlen, und dann doch Mittel und Wege findet, sie zu entdecken. Was
dabei herauskommt, geht aber über die bekannten Anklänge an die
Gattung nicht hinaus. - Weiter möchte man gern wissen, warum ausgerechnet
der vorausgesetzte Dankpsalm des Propheten selbst verloren
ging. Schließlich ist die Abtrennung von 52,13-15 durch nichts
(als den vermeintlichen Gattungszwang) begründet.

2. Die Gattung muß auch dazu dienen, um der immer wiederholten
Variation des Grundsatzes „er trug unsere Schuld" ihr Gewicht zu
nehmen. Der Vf. ist also der Mühe entnommen, die mit Einzelwendungen
erzielten Ergebnisse noch einmal am Textganzen und seinem
Gefälle zu überprüfen. M. E. rechtfertigen aber auch die Details W.s
These nicht. Warum übersieht er in v 4a das betonte „er"? Es heißt
eben nicht: er hat (bloß) unsere Sündenstrafe getragen, sondern: „Unsere
Krankheiten - er trug sie". Das ist nur ein Beispiel. Mir scheint
jedoch schon der Ansatz in die Irre zu führen: die merkwürdige Ansicht
, daß stellvertretendes Sühneleiden (und darum geht es hier!) jedes
Leiden der Vertretenen ausschließen müsse. Man kann sich in
christlicher und jüdischer Tradition (cf. schon 2Makk 7,37f und vollends
4Makk 6,280 leicht eines Besseren belehren lassen. Für Jes 53
gehört Schuldlosigkeit und außerordentliches Leidensmaß zum Konzept
stellvertretenden Sühneleidens. Aber darüber hinaus: wo spricht
der Text eigentlich davon, daß die „Wir" gelitten hätten? Doch
immer nur in den Wendungen, die von jenem „wunderlichen
Tausch" berichten.

3. Die Frage, ob der Knecht von Jes 53 leibhaftig gestorben ist,
dürfte von den hier erörterten am meisten umstritten sein; sie ist auch
nicht unabhängig von der Identifikation des Knechts. Whybrays Beweisführung
gegen den realen Tod des Gottesknechts hat mich eher
vom Gegenteil überzeugt. Die Logik des Argumentationsgangs ist wie
im Falle der Stellvertretung allzu pragmatisch: wenn der zuvor Gestorbene
lebt - muß er dann nicht auferstanden sein? Er muß nicht.
W. übersieht die Bedeutung der Eigentümlichkeit, daß in konventionellen
Wendungen vom Leben des Knechts die Rede ist, die alles
Konkrete verbergen. Daß die Leidensaussagen ebenso schwebendverhüllend
formuliert sind, ist oft beobachtet worden. Doch auch hier
hat das Textganze ein klares Gefälle, das dem nur noch sezierenden
Exegeten wohl entgehen muß. Er muß aber schon bei der Sektion
seine Evidenz manchmal mächtig pressen, wie man z. B. bei der
gewundenen Auslegung von v 8 aa (me'osar ümimmispat luqqah soll
heißen: aus Haft und Gericht wurde er [wieder] ins Gefängnis gebracht
, und diesen Sinn von luqqah soll angeblich Jes 52,5 hergeben!)
oder v 8ba beobachten kann.

Am Ende der Schrift ist alles klar: es kann gar nicht anders gewesen
sein, und nur der blinde Fleck christlicher Interpretation hat die Exegeten
bisher meist an der richtigen Einsicht gehindert. Der Rez. hat
aber den Eindruck, daß W. sich hier in einem Hypothesengestrüpp
verfangen hat, das er mit dem Aufwand großer Gelehrsamkeit, aber
um jeden Preis verteidigen will. Man kann bei der (lohnenden!) Auseinandersetzung
mit diesem Buch eine Menge lernen - im Widerspruch
. Als Prüfstein für manche herkömmlichen Ansichten der Exegese
wird es auch mit seinen „umwälzenden" Hypothesen nützlich
sein.

Bonn Hans-Jürgen Hermisson

Kubina, Veronika: Die Gottesreden im Buche Hiob. Ein Beitrag zur
Diskussion um die Einheit von Hiob 38,1-42,6. Freiburg-Basel-
Wien: Herder 1979. 175 S. gr. 8° = Freiburger Theologische Studien
, 115. Kart. DM 32,-.

Wie der Untertitel zeigt, geht es der Vfn. um die Frage der Einheit
der Gottesreden. Dabei konzentriert sie sich auf die besonders umstrittenen
Kapitel 40,1-42,6 und hier wiederum auf die Erhellung der
Behemoth-Leviathan-Motive. Kap. 38f werden nur summarisch behandelt
. Nacheinander wird der Text unter text-, literar-, form- und
traditionskritischen Aspekten analysiert. Dabei kommt die Vfn. mit
einem Minimum an Konjekturen aus, bestätigt somit die weitgehende
Zuverlässigkeit der masoretischen Uberlieferung. Zwar ergeben
sich Hinweise auf erklärungsbedürftige Spannungen im Text, sie
begründen jedoch nicht die Uneinheitlichkeit. Der formkritische Teil
untersucht Syntax, Stil und Struktur; dabei ist eine Häufung von Ab-