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Ausgabe:

1981

Spalte:

776-779

Kategorie:

Referate und Mitteilungen über theologische Dissertationen und Habilitationen in Maschinenschrift

Autor/Hrsg.:

Biersack, Manfred

Titel/Untertitel:

Initia Bellarminiana 1981

Rezensent:

Biersack, Manfred

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 10

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gewinnen. Man lernt sehen, wie biblische Didaktik nicht überreden
oder überwältigen, sondern überzeugen will. „Offenbarung heißt, daß
der Schleier zerreißt und Menschen begreifen, worum es eigentlich
geht" (13). Sie sollen nicht hinnehmen, sondern wahrnehmen. Biblische
Didaktik will nicht herrschen und belehren, sondern das Leben
fördern, der Entfaltung der eigenen Lebendigkeit des Lernenden dienen
.

Der Vf. geht davon aus, daß die Bibel nicht Weltanschauung predigt
, sondern auf die Veränderung unseres Lebens und unserer Welt
zielt. Insofern steht hier nicht die Lehre, sondern dfo Kunst des Lehrens
durch die biblischen Autoren im Mittelpunkt der Untersuchung.
Der Vorgang des Lernens durch Erfahrung, wie dem Hörer die Augen
aufgehen und neue Erfahrungen zuwachsen, wird von Interesse. Wie
haben sich die Propheten und Apostel bemüht, die Menschen „auf
den Weg" zu bringen? Die Erkenntnis und Annahme dieser didaktischen
Bemühungen könnte auch heute echtes Lernen erschließen,
d. h. uns als Christen mündig machen.

Hier werden nun - man muß leider sagen, ausnahmsweise - nicht
Lerntheorien, Methoden der Selbsterfahrung und didaktische Prinzipien
auf den Umgang mit der Bibel angewendet, sondern der Vf. bemüht
sich, die Wege wieder zu entdecken, auf denen die Bibel selbst
ihre Hörer und Leser zu Lernerfahrungen führt.

Weil die biblischen Texte nicht einfach als Lernstoff zu fassen sind,
sondern randvoll von Erfahrungen mit der neuen, umwälzenden
Wirklichkeit des „Neuen Seins in Christus", der Versöhnung und der
Nachfolge sind, sprechen sie auch eine Sprache, die von diesen Erfahrungen
geprägt ist. Sie wollen nicht belehren oder feststellen, sie wollen
„nichts anderes als Anteil geben an dieser Erfahrung und ihren
Konsequenzen" (16).

Diese didaktischen Wege und Weisen des Zeigens und Erschließens
, des Entdeckens und Erfahrens beleuchtet der Vf. unter fünf
Aspekten:

1. Die elementaren Strukturen (21-50). Der erste Abschnitt gilt der
Reichhaltigkeien Strukturen (21-50). Der erste Abschnitt gilt der
Reichhaltigkeit der biblischen Sprechweisen. Die Skala reicht von der
ermutigenden Verheißung über die Töne von Angst, Bitte und Klage
bis hin zum Ausdruck der Freude in Lob und Dank und der Sprache
der Einsicht durch Sprichwort und Tora.

2. Biblische Grundbegriffe (51-83). Der Vf. zeigt, daß die Behandlung
zentraler Themen, wie Gerechtigkeit und Wahrheit, Bund und
Opfer, Tod und Leben aus sich heraus Formen der Darstellung setzt,
denen moderne Didaktik nichts Besseres hinzuzufügen hätte.

3. Eigenarten biblischer Sprache (85-116). Die Bibel spricht mit
schwerer Zunge, spricht aber auch in freundlichen und elementaren
Bildern und Zeichen. Immer aber ist seelsorgerliche Menschlichkeit
die Stärke ihrer Rede. Die Bibel vermittelt Glaubenserfahrung und
zugleich Welterfahrung im besten Sinne, aber nicht um zu interpretieren
, sondern um zu verändern. Ihr Pathos ist die Leidenschaft für
den Menschen.

4. Einfache Formen des Erzählens (117-152). Gerade die erzählenden
Abschnitte gewinnen heute besondere Bedeutung durch ihren
Angebotscharakter im Rahmen einer narrativen Theologie.

s Argumente (153-184). Wer in der Gefahr ist, thetisch zu lehren,
>/ird hier neu auf die edle Kunst des echten Argumentierens aufmerksam
gemacht.

Besonders aufschlußreich ist der Abschnitt, der den didaktischen
Eigenheiten bestimmter biblischer Autoren nachgeht. Die paulini-
sche und die johanneische Didaktik, ihre strukturellen Eigenarten
und ihr dialogischer Charakter werden mit aufschlußreichen Durchblicken
entfaltet.

Bei der großen Vielfalt der direkt als „Knotenpunkte" (237-257)
behandelten biblischen Texte kann es nicht ausbleiben, daß nicht
überall die neusten Ergebnisse historisch-kritischer Forschung in gleicher
Weise berücksichtigt wurden, so etwa inzwischen geklärte historische
Fragen des Exodus und des Hintergrundes einiger Aspekte der
Apokalyptik (91,101 u. ö.). Auch der Raum für die Auseinandersetzung
mit den Versuchen mehrdimensionaler Schriftauslegung (93) ist
zu knapp, würde aber wohl auch den Rahmen dieser Untersuchung
sprengen.

Das Thema ist sehr weit gespannt. Angesichts der Fülle der unter
biblisch-didaktischen Aspekten neu zu bedenkenden exegetischen
Positionen ist hier ein einzelner Religionspädagoge überfordert (123
u. ö.). Und doch bietet der Vf. an vielen Stellen auch wegweisende
exegetische Ergebnisse im didaktischen Zusammenhang, so in den
Ausführungen über die Ablösung des Menschenopfers durch das
Tieropfer in Kanaan: „Abraham ist eben nicht das Vorbild des bedingungslos
Glaubenden, sondern in dieser Erzählung das beklemmende
Bild eines mißverstehenden, weil blinden Glaubens, ein Zerrbild,
nicht ein Vorbild" (68).

Der Vf. läßt uns miterleben, welchen Reiz, welche theologische
und spirituelle Tiefe evangelische Unterweisung haben kann, die sich
wesentlich der geistigen Didaktik der Väter verdankt. Die jeden Pfarrer
und Religionspädagogen bewegende Frage nach dem Verhältnis
von biblischer Lehre und didaktischer Redeweise wird hier in einer
Gediegenheit gestellt und beantwortet, die nicht ohne Rückwirkung
auch auf die Neubesinnung biblischer Exegese und die Reflexion
ihrer bisherigen Methoden bleiben wird, zumal die Exegese ja vielfach
versucht, den Anschluß an die moderne Literaturwissenschaft
und Linguistik zu gewinnen.

Greifswald Günther Kehnscherper

Referate über theologische Dissertationen
in Maschinenschrift

Biersack, Manfred: Initia Beilarminiana. Die Prädestinationslehre
bei Robert Bellarmin SJ (1542-1621) bis zu den Löwener Vorlesungen
(1570-1576). Diss. Tübingen 1980. XLVII.800S., 133*S.

Die Arbeit ist bestimmt von der Frage nach der theologischen Ausgangsposition
eines der bedeutendsten katholischen Kontroverstheologen
des konfessionellen Zeitalters, des Jesuiten und späteren
Kardinals Robert Bellarmin, auf dem Gebiet der Gnadenlehre. Der
junge Bellarmin äußert sich hierzu in zwei größeren Schriften über
die Prädestination, deren Untersuchung den Hauptteil der vorliegenden
Arbeit ausmacht: in dem „Tractatus de Praedestinatione", den er
als Student ca. 1568 in Padua verfaßte, und in der „Disputatio de
Praedestinatione et Reprobatione", die er als Dozent im Wintersemester
1570/71 im Rahmen der Kommentierung der Theologischen
Summe des Thomas von Aquin in Löwen vortrug.

Die der Untersuchung vorangestellte Biographie soll mit der Skizze
des äußeren Lebensweges einen Eindruck von der theologischen, kirchenpolitischen
und pastoralen Bedeutung vermitteln, die Bellarmin
schon zu seinen Lebzeiten zukam (er wurde 1923 selig-, 1930 heiliggesprochen
, 1931 zum Kirchenlehrer ernannt); sie soll ferner den
theologischen Werdegang des Jesuiten am Exempel der zentralen Stadien
seines Lebens illustrieren und damit dem Leser die Bedeutung
einer präzisen Kenntnis der theologischen Position des jungen Bellarmin
bewußt machen; sie soll schließlich den Rahmen für die besprochenen
Quellen bereitstellen.

Bellarmin wurde nach seinem Eintritt in die Gesellschaft Jesu 1560
fast ausschließlich von Spaniern erzogen: aristotelische Philosophie,
aristotelisch-scholastische Theologie, humanistische Konzentration
auf Philologie, spanisch-erasmischer Humanismus, Salmantizenser-
schule - dies sind die Stichworte, die hier zu nennen sind. In dieser
Atmosphäre lernt Bellarmin mit der Prädestinationslehre des
Ordenstheologen Franz von Toledo einen Synergismus kennen, gegen
den er sich zeitlebens kompromißlos wehrt: sein „Tractatus" von
1568 polemisiert ausdrücklich gegen Toledos zu STh I 23 formulierte
, 1565 vom Orden zurückgewiesene Lehre einer praedestinatio
ex praevisis operibus, die Bellarmin in einer selbstgefertigten Abschrift
des Toledoschen Kommentars zu STh I 1-43 vorlag.