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Ausgabe:

1981

Spalte:

770

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Tillard, Jean-Marie-Roger

Titel/Untertitel:

Frei sein in Gott 1981

Rezensent:

Sudbrack, Josef

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 10

770

eine Marionette der wirklichen Machthaber im Vatikan" (141). Oder
es würde ein Papst im Verborgenen gehalten; die Mystifikanten
hätten ihm den Namen Clemens XV. gegeben; er sei der exkommunizierte
lothringische Priester Michael Collin. Um ihn scheint schon
ein ganzes Mythengeflecht zu ranken, denn er begegnete uns auch in
der Geschichte des Spiritismus der Gegenwart (Fr. W. Haack,
Rendezvous mit dem Jenseits, 1973, S. 87ff). Die Opposition Lefebv-
res kann die Einheit der Kirche bedrohen. Das von ihm gegründete
Priesterseminar Ecöne hat große Anziehungskraft. Einer Priesterweihe
durch Lefebvre wurde das Kirchengebäude versagt; sie geschah
unter Beteiligung von 1500 Personen auf dem nahen Campingplatz.
Auf Wiesen und in Gasthaussälen wie in Sportstadien finden kultische
Feiern der Traditionalisten statt. Gelegentlich werden gewaltsam
Kirchen besetzt. Die Priester sollten sich wieder geistlich kleiden
! Unter den Massen, die Lefebvre anhängen, sind auch viele Akademiker
, wodurch die oben wiedergegebene Hilfsdefinition der
Volk^religiosität fragwürdig wird.

Es wäre unrecht, Curiosa und Sensationelles einseitig zu betonen.
Es haben sich in der Stille nach dem Vatikanum II positive Entwicklungen
vollzogen. Überraschenderweise führten die liturgischen
Änderungen in Spanien zu keinen nennenswerten Schwierigkeiten,
abgesehen von unbedeutenden Reibereien. „Man müßte sich einmal
fragen, ob das Zweite Vatikanische Konzil in Spanien nicht einen
ausgesprochenen Triumph des Volkes gegenüber der Institution der
Kirche darstelle" (214).

Wichtig vor allem erscheinen uns Ausführungen über Wesen und
Sinn des Ritus, wie sie uns in den Kapiteln von Otto Bischofberger
(„Wesen und Sinn des Ritus") und von Jakob Baumgartner („Segnungen
- veraltet oder zeitgemäß?") begegnen. Der Ritus ist unentbehrlich
, denn er „setzt gemeinsame Erinnerung und kollektive Hoffnung
voraus" (155). „Der stabile Ritus hilft dem Menschen darüber hinweg
, auf seiner Unfähigkeit, das Transzendente zu erfahren, stehenbleiben
oder in Perioden der inneren Taubheit und Stummheit seinem
Unvermögen zur Kommunikation mit dem Transzendenten
erliegen zu müssen" (160). Von Befriedigung religiöser Bedürfnisse zu
reden, ist heute weithin verpönt. Aber kann man auf die Hoffnung
verzichten, daß schlafende Erinnerungen wach werden, auch lebensvolle
Emotionen und neue Empfänglichkeit für Glauben? Die Möglichkeiten
dazu liegen in jeder Begegnung mit dem Ritus wie der Sitte
bereit. Evangelische Theologie, die bereit ist, „Kerngemeinde" und
„christliche Persönlichkeit" zu ihren bevorzugten Themen zu
machen, sollte aufmerken auf das, was wir über Sinn und Verheißung
des Ritus hören. Fragen wir uns eigentlich gar nicht, ob es ein normaler
Zustand ist, daß in den Neubaugebieten um uns her nur kleine
christliche Elitegemeinden bestehen, daß kein Anruf der christlichkirchlichen
Sitte die Massen umher erreicht, daß unsere Predigten
den „Gebildeten" anzusprechen suchen, aber die Welt der primären
emotionalen Gefühle nicht mehr berühren? Wie weit ist auf Erfolge
der eskalierenden Experimentierlust zu bauen? Es rächt sich die
herablassende Vernachlässigung der Volksreligiosität!

Es bleibt noch darauf hinzuweisen, daß einige lebensvoll gezeichnete
Bilder von „Volksreligiosität in einzelnen Regionen" im Buch
sich finden. Besonders lehrreich scheint uns der Beitrag über Frankreich
zu sein, der reich dokumentiert ist. Den gleichen Rang erreichen
die Beiträge über Spanien, Italien und Lateinamerika nicht,
doch sind auch sie an Informationen reich. Spezialbeiträge zur religiösen
Volkskunde alten Stils fehlen nicht ganz. Sie beschäftigen sich
mit der pastoraltheologischen Bedeutung des Kreuzeszeichens und
mit der Volksreligiosität italienischer Gastarbeiter. Der letztgenannte
Beitrag kann wohl nur als ein erster Versuch gelten. Eingeleitet wird
der Sammelband mit einem Aufsatz von Adrian Schenker über Elemente
volkstümlicher Religion im Alten Testament. Er ist kurz und
nur referierend, ohne eine Auswertung für heute, und hätte wohl fehlen
können.

Rostock Gottfried Holtz

Tillard, J.-M. R.: Frei sein in Gott. Zur Praxis des Ordenslebens
heute. Aus dem Franz. v. M. Wieman. Freiburg-Basel-Wien: Herder
1979. 136 S. 8'. Kart. DM 19,80.

Der kanadische Dominikanerpater, Professor im Studium Generale
seines Ordens zu Ottawa, wurde schon vor dem Zweiten Vatikanischen
Konzil wegen seiner exegetisch-philosophisch sauberen und
in direkter, zugreifender Sprache geschriebenen Veröffentlichungen
über das Ordensleben geschätzt; (wie zum Beispiel im Büchlein:
«C'est lui qui nous a aimes», 1962/63). Auf dem Konzil gehörte er zu
den offiziellen Experten und gab zusammen mit Y. Congar OP einen
wichtigen Kommentar heraus: Vatican II, L'adaptation et la renova-
tion de la vie religieuse, Decret «Perfectae caritatis», Paris: du Cerf
1967, 593 S. Er ist wie wenige berufen, nach seiner „Geistlichen
Grundlegung des Ordenslebens heute" mit dem Haupttitel „Vertrauen
zur Gemeinschaft" von 1973, praktische Hinweise zu geben
für das katholische Ordensleben heute.

Wer genau liest - und das ist bei dem liebenswürdig-fließenden Stil
des Schreibers nicht immer leicht -, wird manche berechtigte Kritik
an heutigen Praxen des Ordenslebens entdecken. Und damit sind
nicht nur Mahnungen zur Verlebendigung verhärteter und formalisierter
Gebräuche gemeint, sondern auch Hinweise wie folgende:
„Muß man sich um jeden Preis an das .Charisma des Gründers'
klammern?" Gibt es nicht auch für alte Orden neue Aufgaben? Oder
die Warnung, den „Triumphalismus der höheren Vollkommenheit"
(status perfectionis) durch den „des höheren Zeugnisses" (Zeichentheologie
) zu ersetzen. Dahin gehört auch die bedenkenswerte Warnung
: „Womöglich verbirgt sich unter der Tatsache, daß so viele
Ordensleute sich zu östlichen Meditations- oder Kontemplationsmethoden
hingezogen fühlen, eine unbewußte Verweigerung der
Armut und des ausgespannten Verlangens nach Gott, der sich nur selten
erfahren läßt... Ist das Stehen ,vor Gott' des Glaubens nicht viel
mehr der Schrei einer lebenslänglichen Sehnsucht nach einer Erfahrung
, die sich ständig entzieht?"

Doch der Grundzug des Buches ist positiv. So schon das erste große
Kapitel: Der Anspruch des Glaubens. Gezeigt wird, was in vielen
evangelischen Kommunitäten, anfangend mit Taize, deutlich wurde,
daß das Leben nach den evangelischen Räten zuerst und vor allem
ein Leben aus dem Glauben bedeutet. Nicht Sondervorschriften, sondern
die Grundwahrheiten des Christentums sind Fundament des
Ordenslebens. Deshalb deutet Tillard im zweiten Kapitel das Ordensleben
grundsätzlich als einen „Entwurf der Freiheit". Hier kommen
zentrale Anliegen des heutigen Ordenslebens zur Sprache: Wie können
Mitglieder einer Gemeinschaft zusammen leben, obgleich sie sich
auf verschiedenen Flügeln der Kirche angesiedelt haben? Wie steht es
um das Zusammenleben von Ordensgemeinschaften? Alles kann man
unter den einen Satz stellen: „Thomas von Aquin dachte realistisch,
daß man zuerst menschlich sein müsse, bevor man übernatürlich
wird." Das dritte und letzte Kapitel geht noch konkreter auf Reformen
ein und trägt zugleich Sorge für die konkreten Schwierigkeiten
der Gegenwart. So z. B die Pflege der Affektivität im Gelübde der
Ehelosigkeit. Hier wird einiges Rückständige kritisiert, was der heutigen
Situation der deutschen Ordensgemeinschaften kaum noch entspricht
.

Die Übersetzung liest sich gut; einigemale findet man Mißverständnisse
: eine wichtige Frage allerdings ist die Übersetzung von
«Chastite» mit „Keuschheit": Es ist einfachhin falsch, die Ehelosigkeit
in den Gelübden ohne weitere Spezifizierung „Keuschheit" zu
nennen.

Der interessierte Leser sollte darauf achten, daß er ob des leichten,
oftmals plaudernden Stils des Buches nicht die angeschnittenen
schwerwiegenden Probleme überliest.

München Josef Sudbrack SJ