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1981

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 10

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Vor diesem Hintergrund des Bankrotts einer (immer schon fragwürdigen
bürgerlichen) Moral der Vergangenheit, ausgewiesen durch
die Unmöglichkeit auszumachen, wer wisse, wer entscheide, wer
könne, zeichnet der Vf. das Erfordernis, in das Chaos der Geschichte
einen Sinn zu bringen. Das sei wiederum nur möglich, wenn man den
Pluralismus (könnte man da nicht auch argwöhnen, den soeben so
kräftig verabscheuten Manichäismus?) akzeptiere. Vielleicht handelt
es sich dabei um so etwas wie einen „Situations-Pluralismus". Vf.
stellt im letzten (unten zu diskutierenden) Teil fest: „Ein Christ aus
der Arbeitswelt oder aus der Handelsbourgeoisie hat nicht und kann
nicht haben die gleiche Sensibilität und die gleiche Einstellung zu den
sozialen und politischen Realitäten; es sind nicht nur Unterschiede
theologischer oder moralischer Interpretation, die einen Christen
katholischer oder protestantischer Konfession in Belfast oder in
Dublin voneinander trennen, einen Christen in Jerusalem, der der
jüdischen Gemeinschaft nahesteht und einen anderen, den das Leben
mit der palästinensischen Gemeinschaft verbunden hat; ein erwachsener
Franzose, der die Erfahrung des Krieges und der Deportation
gemacht hat, hat nicht die gleiche Ansicht von der Gewaltlosigkeit
wie der junge Christ, der immer in Zeiten (relativen) Friedens gelebt
hat, ohne außenpolitische Bedrohungen kennengelernt zu haben . ..
wie wird ein Christ aus Afrika, aus Indien oder aus Lateinamerika
nicht ein anderes Verhältnis zur Politik haben als einer aus dem
Westen?... "(160).

Vf. ist bei der Diskussion christlicher Merkmale in politischen Entscheidungen
nicht so naiv (aber als Katholik auch nicht so voreingenommen
, wie es ein Protestant sein könnte) anzunehmen, daß
eine christliche Spezifik zuerst in der Schrift oder in der Theologie gesucht
werden könnte. Er schlägt vor, den Pluralismus voll anzuerkennen
, nicht um die Differenzen als unantastbar oder nicht überwindbar
zu sanktionieren, sondern um den Ort zu finden, von dem
aus die Diskussion und der Austausch der Ansichten über die jeweilige
Wahl ausgehen kann. Bei all dieser Zurückhaltung gibt es dann
doch -allerdings mit einem bescheidenen Fragezeichen versehene -
spezifische Hinweise für die Moral von Christen in politicis: 1. Austausch
über das Wort (Gottes) und Verweigerung der Lüge - was nicht
völlig dem Imperativ entspricht, die Wahrheit zu sagen (die Moral
schärft stets das Negative ein! - S. 173); 2. Das Verbot zu töten;
3. Die Vergebung; 4. Die Schuldigkeit, auf das Richten zu verzichten
. Aber alle diese Hinweise bleiben abhängig von der jeweiligen
Situation, die für einen Arbeiter in Chile anders aussieht als für einen
in Frankreich (181).

Die Ablehnung einer christlichen Autonomie der Ethik ist
sympathisch. Der Versuch, Ethik und Moral zu unterscheiden, überzeugt
nicht. Die Hinweise des letzten Kapitels sind zu fragmentarisch
und auch zu aenigmatisch. Einen Weg zwischen zynischem Realismus
und terroristischem Idealismus zu suchen, erscheint berechtigt.
Er sollte weiter verfolgt werden.

Berlin Gerhard Bassarak

Gladwin, John: God's people in God's world. Biblical motives for
social involvement. Leicester: Inter-Varsity Press 1979. 191 S. 8".
Kart. £2.95.

Die kleine Schrift ist bemüht, fundamentalistischen, biblizisti-
schen, evangelikalen Kreisen in der angelsächsischen Welt - vornehmlich
in Großbritannien - ein gesellschaftliches Engagement
nahezulegen. Argumentiert wird gegen Positionen einer „separatistischen
Option" („separatistisch" im Verständnis von sektiererisch-
gettohafter Selbstisolierung von Christen gegenüber der „Welt"), wie
sie in Konflikten zwischen Seele und Leib, zwischen Gut und Böse
und im Mißverständnis der Kirche als Reich Gottes zum Ausdruck
kommen. „Involvement" ist allerdings weniger als „Engagement".
Der Christ ist schlechterdings in die Gesellschaft „involviert" - die

Frage ist, ob er sich auch integriert weiß oder ob er in innerlicher
Distanz lebt. Vf. tritt in zahlreichen Wiederholungen für verantwortliche
Integration ein.

Wie sieht sie aus? „Die Hauptströme protestantischer Tradition" -
Luther und Calvin - werden überaus kurz (und gründlich mißverstanden
) abgehandelt; die Krone erhält „das englische Settlement".
In dieser Gesellschaft wird Integration denn auch kritik- und bedingungslos
empfohlen, ist aber doch eher durch so etwas wie kritische
Distanz (weil man als Christ vieles eben nicht tun darf; siehe die zehn
Gebote, die in der Mehrzahl Verbote sind!) als durch verantwortungsbereite
Risikoübernahme charakterisiert. Als Modell dafür muß ein
knappes Zitat aus der Dresdner Synodalrede von Dr. Heino Falcke
(er wird als einziger mit seinem akademischen Grad genannt) herhalten
. Neben solcher eklektischen Kenntnis der Wirklichkeit sozialistischer
Gesellschaft rührt Bekanntschaft sonst nur aus obskurer Literatur
her, vor allem Trevor Beeson, Discretion and Valour. Eine vergleichbar
herbe Kritik wie an der sozialistischen Gesellschaft übt Vf.
an dem Rassistenregime Südafrikas - hier vielleicht aus mehr authentischer
Kenntnis.

Im Ganzen legt man das Bändchen unbefriedigt aus der Hand. Es
begegnen auf Schritt und Tritt die bekannten evangelikalen Klischees
. Der unreflektierte Biblizismus in traditioneller Auslegungsweise
unter Umgehung aller bibel-(und kirchen-)kritischen Fragestellungen
vermag kaum eine Hilfe zum Verständnis der Probleme der
heutigen Welt zu leisten. Auch hier trifft man - bei allem anzuerkennenden
Bemühen um Sympathie für die Welt heute - doch nur auf
die altbekannten Vorurteile. Sie werden Menschen in der Dritten
Welt keinen Schritt weiterhelfen und Menschen in der sozialistischen
Gesellschaft allenfalls peinlich berühren - Christen in Old England
vermögen sie vielleicht in ihrem Selbst- und Weltverständnis zu
bestätigen. Bei allem anzuerkennenden Bemühen, sich in der Gesellschaft
zu engagieren und aus einem selbstgewählten Getto herauszutreten
, bleibt das Bewußtsein doch gettoisiert.

Evangelikaiismus wird offenbar zu einer zunehmend breiter
werdenden Bewegung in der Welt des Kapitalismus. Er übernimmt in
einer Zeit, in der radikale Öffnungsversuche christlicherseits - sowohl
bei ökumenischen Protestanten als auch bei dem II. Vatikanum verpflichteten
Katholiken - mit und nach Bonhoeffer entdecken, daß
Christeein nur im Sein für die Welt Verheißung und Sinn haben
kann, die schon vom frühen Marxismus mit Recht an aller Religion
kritisierte Funktion der Rechtfertigung des Bestehenden. So bleibt
Evangelikaiismus beschränkt auf die Frage nach dem Heil der eigenen
Seele, ohne überhaupt dessen gewahr zu werden, daß die Frage
heute für Millionen von Seelen gar nicht relevant ist, weil sie der
Hunger daran hindert, andere Fragen als die nach der Nahrung überhaupt
nur zu stellen. Die Trostfunktion des Glaubens wird solcherart
verkürzt zur Bescheidung und Zufriedenheit mit dem Status quo
seiner selbst und dessen, was man erreicht hat. Nicht soll es erschüttern
dürfen. Vor allem nicht die bedrohlichen anderen.

Berlin Gerhard Bassarak

Beauchamp, Andre: Reflexions theologique ä propos d'une ethique

de l'environnement (ScEs 32, 1980 S. 217-233).
Brakelmann, Günter: Theologische Anmerkungen zum Problem der

Arbeit (ZdZ 1980 S. 329-338).
Childs, James M.: The church and human rights: reflections on

moralityandmission(CTM7, 1980 S. 15-23).
Der christliche Gehorsam (Themaheft Concilium 16, 1980, Heft 11):

Goffi, Tullo: Umwege und Irrwege des christlichen Gehorsams
(S. 605-611)

Schillebeeckx, Edward: Kritik des christlichen Gehorsams und
christliche Antwort (S. 612-622)

Iersel, Bas van: Der Weg des Gehorsams. Jesu Lebensweg im Evangelium
nach Markus (S. 622-629)