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Ausgabe:

1981

Spalte:

754

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Lamping, Antonie J.

Titel/Untertitel:

Johannes Polyander 1981

Rezensent:

Holtz, Gottfried

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 10

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werden Einzelheiten von Hegel bis Adorno, von Marx bis Kola-
kowski, von Nietzsche (Vf. schreibt allerdings durchweg „Nietsche")
bis Bloch, von Engels bis Paul VI. genannt, doch muß ein solches
Vorhaben die Kräfte des Autors übersteigen - auch andere wären
daran gescheitert. Bei den grobschlächtigen Beschreibungen fällt beispielsweise
die ungenügende Literaturbenützung auf: Marxistische
Veröffentlichungen neueren Datums finden sich kaum, DDR-Veröffentlichungen
zum Religiösen Sozialismus oder zum Verhältnis Christentum
und Marxismus bleiben unerwähnt, ja selbst die Arbeit von
G. Winter, Zur Geschichtsauffassung Paul Tillichs, Phil. Diss. Humboldt
-Universität Berlin 1967, fehlt. Typisch für den Literaturgebrauch
ist der Beleg für die Behauptung, die Sozialenzykliken von
Johannes XXIII. und Paul VI. seien in „sozialistischem Jargon" geschrieben
. Als Kronzeuge dient der österreichische Journalist
Günther Nenning (157). Dagegen werden einschlägige Beiträge zur
Tillich-Interpretation nicht benützt, zum Beispiel F. Oberdieck, Der
religiöse Sozialismus des Kreises um Paul Tillich, Rechts- und Staats-
wissenschaftl. Diss. Göttingen 1949; E. Rolinck, Geschichte und
Reich Gottes. Philosophie und Theologie der Geschichte bei Paul
Tillich, München-Paderborn-Wien 1976; J. R. Stumme, Socialism in
Theological Perspective. A Study of Paul Tillich 1918-1933, Mis-
soula 1978 (ursprünglich Diss. Union Theological Seminary). Über
die Ungenauigkeiten und Halbwahrheiten dieser Darstellung sei hinweggegangen
, um den wichtigeren Aspekt zu berühren, wie nun Tillichs
Haltung gegenüber dem Sozialismus gezeichnet wird. Bei der
Beschreibung des Verhältnisses von Sozialismus und Christentum bemerkt
Vf., daß man dieses Thema durch eine historisch-kritische
Analyse behandeln könne oder auf eine - von Tillich selbst bevorzugte
- systematisch-produktive Weise. Bedauerlicherweise hat sich
Vf für die zweite Variante entschieden (- ausschlaggebend war dabei
die Annahme, eine Vergleichung sei nicht möglich, da weder Christentum
noch Sozialismus scharf umrissene Begriffe darstellten.) Dasselbe
Verfahren schlägt er für die Erörterung von Tillichs Stellungnahmen
zum Religiösen Sozialismus, dem Sozialismus beziehungsweise
Marxismus überhaupt und den damit verbundenen Detailproblemen
ein. Auf diese Weise wird der gesamte Fragenkomplex atomi-
siert und aus seinem historischen Kontext gelöst, der doch gerade für
Tillichs Theologie insgesamt und für ein solches Thema insbesondere
von prinzipieller Bedeutung ist. Da Vf. Tillichs Stellung isoliert behandelt
, fällt ihm auf, daß Tillich, als er sich in den fünfziger Jahren
wiederum mit dem Sozialismus beschäftigt, dies vor allem mit dem
Marxismus tut. Als Grund hierfür vermag Vf. nur anzunehmen, daß
dies etwas mit dem aufblühenden Dialog zwischen Christentum und
Marxismus zu tun habe (158). Genau eine solche Frage hätte man
gern genauer behandelt gesehen. Ob dieses Tillichsche Interesse etwa
auch mit der Kommunistenfurcht in den Vereinigten Staaten zu Anfang
der fünfziger Jahre oder McCarthy's Hetze zu tun hat, kommt
überhaupt nicht in den Blick. Ein Aufspüren von Tillichs Äußerungen
in ihrer historisch-genetischen Abfolge hätte deren Gehalt im
Vergleich zu den Zeitgenossen schärfer profiliert. Bei der eingeschlagenen
Methode werden weder mögliche Veränderungen in Tillichs
Denken erörtert noch wird sein tatsächlicher Einfluß auf die Geschichte
des Religiösen Sozialismus oder auf den sich mit diesem Problem
beschäftigenden Protestantismus zur Sprache gebracht. Tillichs
Beitrag wird folgendermaßen beurteilt: „Es scheint mir vorläufig der
gelungenste Versuch zu sein, den Sozialismus von innen heraus theologisch
zu verstehen; als solcher hat er nicht gewirkt; er hätte innerhalb
der sozialistischen Bewegung wirken müssen, doch davon sind
keine Spuren zu entdecken. Überhaupt hat die Denkarbeit eines einzelnen
Menschen wenig Einfluß auf den Gang der Geschichte" (157).
Abgesehen von diesem banalen Urteil hätte sich Vf. doch fragen müssen
, ob nicht Tillichs Verständnis und Beschreibung des Sozialismus
gerade wegen des Gebrauchs religiöser Kategorien esoterisch blieb
und dadurch wirkungslos verpuffte.

Ein vierter Abschnitt wendet sich der „Konzeption des religiösen
Sozialismus" bei Tillich zu (224-272), wobei aus dem Gesamtwerk

Äußerungen zu zentralen Themen wie Theonomie, christlicher
Humanismus, Anthropologie, Verständnis des Kairos und so weiter
zusammengetragen werden. Die Darstellung orientiert sich an diesen
Grundgedanken und referiert sie, ohne übergreifende Gemeinsamkeiten
festzustellen oder Tillichs Gedanken kritisch zu werten. Auch
die sog. „Evaluation und Orientierung" (273-314) bleibt im Beschreibenden
stecken und führt über die bisherige Tillichinterpretation
nicht hinaus. Eine vom Autor gewonnene wirkliche Neueinsicht oder
gar durchgehende These läßt sich in diesem Buch nicht finden. Tillich
selbst zu lesen bleibt noch allzumal aufschlußreicher. Enttäuscht
das Buch sowohl was den Religiösen Sozialismus wie was Tillichs
Theologie angeht, so verleiden einem die unzähligen Druck- und
Schreibfehler vollends die Lektüre. Für den Promotor Edward
Schillebeeckx legt diese Arbeit keine Ehre ein.

Amsterdam Ulrich Gabler

Lamping, A. J.: Johannes Polyander. Een dienaar van Kerk en Uni-
versiteit. Leiden: Brill 1980. IX, 190 S. gr. 8° = Kerkhistorische
Bijdragen, IX, Lw. hfl 56.-.

Die Arbeit ist bewußt biographisch aufgebaut. Die grundsätzlichen
Probleme jener Epoche kommen an jenen Stellen vor, an denen
Johannes Polyander ihnen begegnete. Abkunft, Jugend und Studienjahre
werden breit geschildert. Die erste Zeit in Dordrecht 1596-1611
läuft schon auf die arminianischen Streitigkeiten zu. Polyander
wirkte 1611-1646 als Professor in Leiden und nahm als solcher an
der Dordrechter Synode teil (Kap. 4 u. 5, S. 70-95). Sein Anteil an
dem relativ milde gestimmten Sammelwerk Synopsis purioris theolo-
giae wird hoch eingeschätzt (100-103). In seinen letzten Jahren (seit
1632) hat Polyander sich auch mit dem Sozinianismus auseinandergesetzt
(118 0- Er starb 1646 wäh rend seines achten Rektorats. U nter
den Beilagen befindet sich eine Übersicht über 80 datierte Briefe, von
denen eine Auswahl abgedruckt wird (154-165). Eine umfangreiche
Bibliographie sollte mit dazu beitragen, daß über jenen niederländischen
Theologen weiter geforscht werden kann. Die biographischen
Voraussetzungen dürften durch das vorgelegte Werk umfassend geklärt
sein.

GH.

Christliche Kunst und Literatur

Catteau, Jacques: La creation litteraire chez DostoTevski. Paris: Institut
d'fitudes Slaves 1978. 610 S. gr. 8' = Bibliotheque russe de ['Institut
d'Etudes Slaves, 49. Kart, ffr 96.30.

Das Buch von C , stellt eine scharfsinnige und umfassende Poetik
Dostoevskij's dar, ohne in eine rein deskriptive Beschreibung der poetischen
Techniken auszuarten. Wie der Titel sagt, geht es um die Erhellung
der „creation litteraire" des Dichters. Die Arbeit erhält ihren
besonderen Reiz dadurch, daß sie - ohne sich darin zu erschöpfen -
eine grundsätzliche Auseinandersetzung mit Bachtins viel diskutiertem
Buch über die Poetik Dostoevskijs's bildet.

Der Vf. hat sein Thema in drei Teilen entfaltet: I. «Le milieu
createur» (19-222). C. breitet dabei nicht ein statistischbiographisches
Material aus. Es geht ihm vielmehr darum, «un tab-
leau synchronique du fond culturel de Dostoevskij» (122) zu entwerfen
. Unter diesem Aspekt kommt das Konfessionsmilieu, in dem der
Dichter aufwuchs, ebenso zu kurz, wie die Bedeutung der „Wirtin"
und des Briefes an Frau Fonvisina von 1854 für die Poetisierung des
Christentums im CEuvre des Dichters. Ein kleines methodisches Meisterwerk
bietet C. im Kap. über die Krankheit Dostoevskij's, das er
mit dem bezeichnenden Titel des 1. Abschnittes: «La legende: l'hor-