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Ausgabe:

1981

Spalte:

739-740

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Angerstorfer, Andreas

Titel/Untertitel:

Der Schöpfergott des Alten Testaments 1981

Rezensent:

Conrad, Joachim

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739

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 10

740

Schottroff, Willy, u. Wolfgang Stegemann [Hrsg.]: Der Gott der
kleinen Leute. Sozialgeschichtliche Bibelauslegungen. 1: Altes
Testament. 2: Neues Testament. München: Kaiser; Gelnhausen:
Burckhardthaus Verlag 1979. je 104 S. 8°. Kart, je DM 10,80.

Altes Testament

Angerstorfer, Andreas: Der Schöpfergott des alten Testaments. Herkunft
und Bedeutung des hebräischen Terminus K"Q (bara) „schaffen
". Frankfurt/M. - Bern - Las Vegas: Lang 1979. 225 S. 8° = Regensburger
Studien zur Theologie, 20. Kart, sfr 44.-.

Das hebräische Verb bärä', das mit seinen Qal- und Nifal-Formen
ausschließlich das göttliche Schöpfungshandeln bezeichnet, war
schon häufig Gegenstand eingehender Untersuchungen. Hingewiesen
sei nur auf die entsprechenden Artikel in den beiden theologischen
Wörterbüchern zum Alten Testament (THAT I, 336-339; ThWAT
I, 796-777). Dennoch sind vor allem zwei Fragen zu nennen, die bisher
noch keine befriedigende bzw. einhellige Beantwortung erfahren
haben. Die eine ist die nach Herkunft und Alter innerhalb des alt-
testamentlichen Schrifttums. Strittig ist insbesondere, ob der Terminus
bereits in vorexilischer Zeit gebraucht wurde und welche Bedeutung
ihm da zukam. Die andere Frage ist die nach dessen Funktion in
der Theologie Deuterojesajas im Vergleich mit den anderen Zeugnissen
aus dem exilisch-nachexilischen Schrifttum, vor allem mit denen
der Priesterschrift. Angesichts dieser offenen Fragen ist eine erneute
Untersuchung durchaus gerechtfertigt.

Die hier anzuzeigende Arbeit ist die im wesentlichen unveränderte
Druckfassung einer 1977 in Regensburg angenommenen Dissertation
. Nach einer kurzen Einführung, in der auch die wichtigste einschlägige
Literatur genannt wird (11-14), geht der Vf. in den beiden
ersten Hauptteilen auf Etymologie, Vorkommen und die damit verbundenen
grammatischen Probleme ein und gelangt zu einer generellen
semasiologischen Bestimmung (15-48). Aus den Ergebnissen
kann hier nur folgendes hervorgehoben werden. Der Terminus bärä'
geht auf eine gemeinsemitische Wurzel mit der Bedeutung „schneiden
" zurück. Die Grundbedeutung ist in den selten bezeugten Piel-
Formen erhalten geblieben. Diese Formen zeigen zugleich, daß es
nicht nur um den Vorgang des Trennens, sondern auch um den produktiven
Akt des Zurechtschneidens im Sinne einer Bearbeitung geht
(Ez 21,24). Die Formen im Qal und Nifal haben frühzeitig den Charakter
eines vom Piel unterschiedenen Verbs erhalten. Im Vergleich
mit anderen Schöpfungstermini bringen sie vor allem das übermenschliche
, wunderbare und analogielose göttliche Schöpfungshandeln
zum Ausdruck. Die folgenden Hauptteile sind der Exegese der
Belegstellen für die Qal- und Nifal-Formen gewidmet. Im dritten
Hauptteil (49-75) behandelt der Vf. drei Belege, die er in vor-
exilische Zeit datiert.

Zum jahwistischen Werk im Pentateuch rechnet er außer Num
16,30 auch Ex 34,10. In beiden Stellen dient bara' zur Kennzeichnung
unerwarteter göttlicher Machttaten. Die in Num 16,30 geschilderte
hat zugleich die Funktion göttlichen Gerichtshandelns. Die Gestalt
der dabei erfolgenden Strafe (Aufbrechen einer Erdspalte) läßt
noch die Grundbedeutung „schneiden" anklingen. Eine kosmologi-
sche Bedeutung liegt beim Jahwisten noch nicht vor. Sie muß sich jedoch
bald nach ihm herausgebildet haben. Die Doxologie Am 4,13
entstammt einem partizipialen Hymnus, in dem bärä' als kosmologi-
scher Terminus fungierte. Erst sekundär wurde der Vers mit der vorhergehenden
Gerichtsrede verbunden und damit auf das Gerichtshandeln
Gottes bezogen. Dies ist entweder auf Arnos selbst oder auf
die von H. W. Wolff angenommene Bethelredaktion in der Zeit Josias
(vgl. BK XIV/2, 1350 zurückzuführen. Die Ergebnisse des dritten
Hauptteils werden durch die Untersuchung der Belege in den Psalmen
, die der Vf. im vierten Hauptteil vornimmt (76-105), ergänzt.
bärä' ist in Hymnen und Klageliedern bezeugt. In den ersteren hat er
kosmologische Bedeutung, in den letzteren bezieht er sich auf die

Schöpfung des Menschen. Je ein Zeugnis für beide Gattungen enthält
Ps 89, der im wesentlichen als vorexilisch betrachtet werden kann
(V. 13 und 48). Als Schöpfungsterminus im protologischen Sinne ist
bärä' demnach im vorexilischen Kult Israels beheimatet. Der umfangreiche
fünfte Hauptteil (106-171) ist der Exilszeit gewidmet.
Ezechiel wie Deuterojesaja stehen in der Tradition der vorexilischen
Hymnen und Klagelieder. Bei Ezechiel und seiner Schule bezeichnet
bärä'jedoch weniger den physischen Schöpfungsvorgang, sondern in
erster Linie die Einordnung einer bestimmten politischen Größe an
ihrem geschichtlichen Ort (Ez 28,11-19; 21,35). Insofern tritt hier
eine Neuorientierung ein. Deuterojesaja gebraucht bärä' einerseits im
protologischen Sinne, um die Einzigartigkeit Jahwes und dessen
Macht, ein neues Erlösungswerk in Gang zu setzen, erkennen zu lassen
. Dies geschieht ausschließlich in den Streitgesprächen. Andererseits
, hauptsächlich in den Heilsworten, bezieht er bärä' auf das gegenwärtige
und zukünftige Israel und kennzeichnet damit das Erlösungswirken
und die bevorstehende bzw. eschatologische Befreiungstat
Jahwes an diesem Volk. Das letztere ist eine Neuinterpretation
von seiten des Propheten. Auf ihr liegt das Hauptgewicht innerhalb
seiner Botschaft. Für die nachexilische Zeit, die der Vf. im sechsten
Hauptteil (172-215) behandelt, sind vor allem die Zeugnisse in der
Priesterschrift und in der tritojesajanischen Sammlung von Bedeutung
. In der Priesterschrift hat bärä' die spezielle Funktion, die göttliche
Schöpfung als einen analogielosen Vorgang zu kennzeichnen.
Sie wird jedoch nicht als ein abgeschlossenes Geschehen verstanden.
Denn dadurch, daß bärä' auch in den Kontext der Toledot-Formel
(Gen 2,4a; 5, lf) gestellt wird, soll deutlich werden, daß es sich um ein
kontinuierliches und in die Zukunft wirkendes Geschehen, also um
creatio continua handelt. Von da aus gesehen besteht eine grundsätzliche
Ubereinstimmung zwischen dem Gebrauch in der Priesterschrift
und bei Deuterojesaja, nur daß bei der ersteren ein ausdrücklicher
eschatologischer Bezug fehlt. Rein eschatologisch dagegen ist
der Gebrauch in Jes65,17f. Allerdings geht es hier weniger um die
Erschaffung eines neuen physischen Kosmos, sondern um eine neue
Existenzweise des bereits bestehenden. Im siebten Hauptteil
(216-221) geht der Vf. auf zwei umstrittene Stellen ein. Erwähnt sei
hier nur, daß er das Vorkommen von bärä' in Koh 12,1 als Textfehler
betrachtet. Damit entfällt dieser Terminus für die gesamte Weisheitsliteratur
außer Jesus Sirach. Der achte Hauptteil (222-225) enthält
eine knappe Übersicht über die gewonnenen Ergebnisse.

Die bisherigen Darlegungen dürften deutlich machen, daß der Vf.
eine grundlegende Arbeit erstellt hat, die in Zukunft für jede Beschäftigung
mit bärä' unerläßlich ist und darüber hinaus für das Verständnis
von Schöpfung und Schöpfungstheologie im Alten Testament
wichtige Aufschlüsse bietet. Er hat sich auch im einzelnen intensiv
mit den anstehenden sprachwissenschaftlichen und exegetischen Problemen
sowie der entsprechenden Literatur auseinandergesetzt.
Damit ist freilich nicht gesagt, daß die eingangs genannten offenen
Fragen sämtlich überzeugend beantwortet wären. So bleiben auch
nach dieser Arbeit Zweifel, ob denn die Qal- und Nifal-Formen von
bärä' wirklich von einer Grundbedeutung „schneiden" herzuleiten
sind und zur gleichen Wurzel wie die Piel-Formen gehören. Auch
über die Datierung von Belegstellen in vorexilische Zeit ist noch nicht
das letzte Wort gesprochen, wenngleich der Vf. gewichtige Gründe
für seine Auffassung beizubringen vermag. Was schließlich die
Priesterschrift betrifft, so erscheint es doch fraglich, ob sie eine creatio
continua im strengen Sinne des Wortes intendiert. Natürlich wird
in Gen 5,lf vorausgesetzt, daß die Schöpfung fortbesteht. Aber ist
dies als eine explizite Aussage über ein sich kontinuierlich fortsetzendes
göttliches Schöpfungswirken zu interpretieren? Es bleiben also
noch einige ungelöste Probleme bestehen. Dadurch wird die Gesamtleistung
des Vf. jedoch keineswegs in Frage gestellt. Es kann im
Gegenteil nur dankbar anerkannt werden, daß er das ihm gestellte
Thema so umsichtig bearbeitet hat.

Leipzig Joachim Conrad