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Ausgabe:

1981

Spalte:

653-654

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Heschel, Abraham Joshua

Titel/Untertitel:

Between God and man 1981

Rezensent:

Baumbach, Günther

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Seite 1

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 9

654

' Vgl. z. B. E. Breech, These Fragments I Have Shored Against My
Ruins. The Form and Function of 4 Ezra, JBL 92, 1973, 267ff; A. P. Hay-
man, The Problem of Pseudonymity in the Ezra Apocalypse, Journal for
the Study of Judaism 6,1975,47ff.

Vgl. meinen demnächst erscheinenden Aufsatz über: Der Prophet als
Widerpart und Zeuge der Offenbarung. Erwägungen zur Interdepen-
denz von Form und Sache im 4. Buch Esra (Sammelpublikation der Beiträge
des International Colloquium on Apocalypticism, Uppsala 1979).

Einen ersten sehr erfolgversprechenden Schritt in diese Richtung
hat K. Koch getan: Esras erste Vision. Weltzeiten und Weg des Höchsten
, BZ N. F. 22,1978,46ff.

' W. Harnisch, Verhängnis und Verheißung der Geschichte. Untersuchungen
zum Zeit- und Geschichtsverständnis im 4. Buch Esra und in
dersyr. Baruchapokalypse(FRLANT97), Göttingen 1969,60.

5 Vgl. Harnisch, a. a. O., 150f und 151 Anm. 2.

' Vgl. Harnisch, a.a.O.. 140.

[Heschel, Abraham J.:] Between God and Man. An Interpretation of
Judaism. From the Writings of Abraham J. Heschel. Selected,
edited and introduced by F. A. Rothschild. New York: The Free
Press; London: Collier Macmillan Publishers 1975. 298 S. 8'.
$4.95.

Moderne Selbstdarstellungen des Judentums sind leider recht rar.
Darum ist es sehr zu begrüßen, daß F. A. Rothschild aus den wichtigsten
Schriften von A. J. Heschel (1907-1972)-vor allem aus "Man Is
Not Alone: A Philosophy of Religion", 1951, und "God in Search of
Man: A Philosophy of Judaism", 1955 - "a comprehensive exposi-
tion of Jewish religion" zusammengestellt und deren Verständnis
durch eine ausführliche Einleitung (7-32) erleichtert hat.

Die Auswahl ist folgendermaßen gegliedert: [. "Ways to His Pre-
sence" (35-87), Ii "The God of the Prophets" (91-126), III. "Man
and His Needs" (129-151), IV. "Religious Observance" (155-229)
und V. "The Meaning of This Hour" (233-258). Daran schließen
sich ein Quellenverzeichnis (259-262), Anmerkungen (263-273)
sowie eine Bibliographie mit einem vollständigen Verzeichnis der
Werke Heschels (275-291) und ausgewählter Literatur über H.
(292-298) an. Wie in der Einleitung ausgeführt und durch die Quellen
belegt wird, ist H. um eine Synthese zwischen der überkommenen
jüdischen Religion und modernem wissenschaftlichen Denken bemüht
. "He combines the yearning for holiness and spirituality of his
Hasidic ancestors with the yearning for free inquiry and objective
truth of the modern Western scholar" (10). Die Religion stellt für ihn
eine Antwort auf die letzten Fragen des Menschen dar und muß deshalb
die gesamte menschliche Lebenssituation in den Blick nehmen.
Die Bibel als die klassische Urkunde der Begegnung des Menschen
Hit Gott bestimmt das Thema seiner Philosophie dej Religion, das
darum lautet: "God and man in their interrelation" (II). In Anlehnung
an R. Otto geht es H. um die Herausstellung von heute weithin
vergessenen Aspekten der Realität: um das Erhabene (36-39) und
das Wunder (40-44), das Geheimnis (44-51) und die Ehrfurcht
(51-54), die Doxa (55-58) und den Glauben (63-71). „Glaube" ist für
H. "an act of man who transcending himself responds to Hirn who
transcends the world" (65). Darum heißt „glauben" nicht "to capitu-
late but to rise to a higher plane of thinking" (66). Das "mysterious
Paradox of Biblical faith" erblickt H. in Gottes leidenschaftlicher
Hinwendung zum Menschen, in seinem Pathos für den Menschen.
"Pathos is the central category of the prophetic understanding of
God" (116). Dieses dynamische Gottesverständnis steht in schärfstem
Gegensatz zu dem griechisch-philosophischen; denn "Aristotle's God
knows no feeling or suffering; it is simply pure thought thinking
itself" (119). Die .Einheit' Gottes versteht H. als "power for unity of
God with all things" (107), das Ziel der Geschichte erblickt er darin,
"to bring about the restitution of the unity of God and world" (103).
Aufgrund dieses göttlichen Pathos steht der Mensch immer schon in
Relation zu Gott und ist zur Antwort gerufen, zur Sym-Pathie. Dabei
gilt: "The unique feature of religious sympathy is not self-conquest

but self-dedication; not the suppression of emotion but its redirec-
tion; not silent Subordination but active co-operation with God"
(126). Durch diese Sympathie als einem Akt, "in which a person is
open to the presence of another person" (ebd.), unterscheidet sich der
Mensch vom Tier. Das „Wesen des Judentums" besteht nach H. in
der "awareness of the reeiprocity of God and man, of man's logether-
ness with Hirn who abides in eternal otherness" (141). Das jüdische
Denken beginnt darum - im Unterschied zum griechischen - nicht
mit der Erfahrung der Realität als einem geordneten Kosmos, sondern
mit der Erfahrung des göttlichen Subjekts, dessen schöpferisches
Wirken der Grund der Realität ist. Die Torah stellt danach einen
„Ruf zur Kreativität" (162), zur imitatio dei, dar, die zur transforma-
tio hominis, zur sanetificatio, führt. Deshalb kann H. auch sagen:
"The goal is for man to be an incarnation of the Torah" (164). Scharf
wendet sich H. gegen die Charakterisierung des Judentums als Legalismus
; denn "the rules of observance are law in form and love in sub-
stance. The law is the means, not the end; the way, not the goal. The
Torah comprises both halakhah and agadah" (170) und ist darum
nicht identisch mit ,nomos'. Halakhah und Agadah gehören demzufolge
unabtrennbar und gleichwertig zusammen, wobei erstere die
Handlungsnormen und letztere "the vision of the ends of living" gibt
(175). Die hier sichtbar werdende Polarität ist nach H. typisch für das
Judentum, das immer dialektisch denkt: im Blick auf Gott in der
Polarität von Gerechtigkeit und Gnade, von Offenbarung und Geheimnis
, im Blick auf den Menschen in der Polarität von Liebe und
Furcht, von Freude und Zucht, von äußerer Gesetzeserfüllung und
innerer Einstellung, von gutem und bösem Trieb, von Zeit und Ewigkeit
u. ä. Allerdings gibt H. zu, daß faktisch "the pole of regularity is
stronger than the pole of spontaneity". Daraus resultiert "a perpetual
danger of our observance and worship becoming mere habit, a
mechanical Performance" (179). Deshalb muß immer die Kreativität,
die aktive cooperatio des Menschen mit Gott als Schöpfer betont
werden; denn: "The world is in need of redemption, but the redemp-
tion must not be expected to happen as an act of sheer grace. Man's
task is to make the world worthy of redemption. His faith and his
works are preparations for ultimate redemption" (197). Aus diesem
Grund bevorzugt H. zur Charakterisierung des Verhältnisses von
Gott und Mensch im Judentum den Begriff Partnerschaft und sieht
die Würde und Auszeichnung des Menschen darin, als Partner Gottes
existieren zu dürfen und zu sollen. "Man's destiny is to be a partner
rather than a master. There is a task, a law, and a way: the task is
redemption, the law, to do justice, to love merey. and the way is the
secret of being human and holy" (250). Unter ausdrücklicher Bezugnahme
auf die jüngste Leidensgeschichte seines Volkes formuliert H.:
"Only in His presence shall we learn that the glory of man is not in his
will to power, but in his power of compassion. Man reflects either the
image of His presence or that of a beast. The martyrdom of millions
demands that we consecrate ourselves to the fulfillment of God's
dream of salvation" (2570.

Dem Hrsg. gebührt für diese instruktive Zusammenstellung von
Heschels Aussagen über sein Verständnis des Judentums großer
Dank. Zugleich ist aber zu bedauern, daß bisher noch keine deutsche
Ubersetzung der Standardwerke von Heschel erschienen ist; denn A.
Heschel, der 1907 in Warschau geboren wurde, war von 1927-1937
in Berlin, wo er an der Universität studierte und promovierte sowie
an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums lehrte, bis er
1937 als Nachfolger Martin Bubers an das Jüdische Lehrhaus nach
Frankfurt/Main berufen und 1938 von den Nazis nach Polen deportiert
wurde und - Gott sei Dank! - im Juli 1939 von dort nach London
übersiedelte. Insofern sollte gerade uns Deutschen dieser jüdische
Gelehrte, der seine ersten Werke in deutscher Sprache veröffentlichte
(Maimonides, 1935; Die Prophetie, 1936), nicht gleichgültig sein.
Hinzu kommt, daß Heschels Sicht des Judentums neue Perspektiven
und Chancen für das christlich-jüdische Gespräch eröffnet.

Berlin Günther Baumbach