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1981

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Systematische Theologie: Allgemeines

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 8

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sowie seine „Tatsachenontologie", d. h. eine Auffassung, nach der
unsere Wirklichkeit aus Tatsachen (facts) besteht; angefragt wird
Poppers irrationale Entscheidung für den Kr. R. und damit die Begründung
des Kr. R. selbst. Die genannten Probleme erfassen die in
diesem Kapitel zur Disposition stehenden bei weitem nicht vollständig
. Jedoch scheinen sie mir die diskutabelsten zu sein. - Freilich leidet
die versuchte Grundsatzkritik m. E. an zwei gravierenden Mängeln
: (1) Sie nimmt fast ausschließlich auf Poppers „Logik der Forschung
", deren erste Aufl. 1934 erschien, Bezug. Nun hat sich Poppers
Denken unterdessen offensichtlich weiterentwickelt, was nicht
zuletzt die große Anzahl hinzugekommener Anmerkungen in seinem
genannten Buch belegt. Vor allem aber scheinen seine beiden Aufsatzbände
, "Conjectures and Refutations" (1962) sowie „Objektive
Erkenntnis" (1973, engl. 1972), Zeugnisse dieser Weiterentwicklung
zu sein. Wie mir scheint, wäre manche Kritik gegenstandslos geworden
, hätte H. die vor allem in diesen beiden Bänden dokumentierte
Differenzierung und Weiterentwicklung der Gedanken Poppers gebührend
in Rechnung gezogen. (2) Die Grundsatzkritik des Kr. R.
wird fast ausschließlich an Popper festgemacht; nur äußerst selten erfolgt
ein kurzer Seitenblick auf das Konzept Alberts. Gerade dieser
aber hat sich mit einer Reihe der von H. diskutierten Fragen auf
durchaus eigenständige Weise auseinandergesetzt, und eine eingehendere
Beschäftigung mit seinen Beiträgen wäre vermutlich dem Niveau
der kritischen Reflexionen H.s zugute gekommen.

Im letzten Kapitel seines Buches skizziert H. sein eigenes Konzept
einer Theologie als Wissenschaft unter dem Titel: „Der Wirklichkeitsbezug
des christlichen Glaubens und seine Konkurrenz zu anderen
Paradigmen der Welterfassung - Ein Beitrag zum Verhältnis
von Glauben und Denken" (265-297). Nach einem kurzen Resümee
setzt H. wiederum neu an, indem er ein weiteres Konzept ins Spiel
bringt: das T. S. Kuhns. Ich zitiere die einschlägige Passage aus H.s
„zentraler These": „Im Blick auf die Erkenntnisse des Wissenschaftstheoretikers
Thomas Kuhn ist die fehlende ,Objektivität' oder besser:
intersubjektive Nachprüfbarkeit theologischer Aussagen kein Grund
mehr für die Disqualifikation der Theologie als Wissenschaft" (269).
Und zwar will sich H. des näheren Kuhns These von der Inkommen-
surabilität konkurrierender (naturwissenschaftlicher) Paradigmen zunutze
machen. Hiernach sind, grob gesprochen, miteinander konkurrierende
Theorien aufgrund ihrer differenten Sprachwelt so wenig
rational vergleichbar, daß der Übergang von einer zur anderen Theorie
eher einer Glaubensentscheidung („Bekehrung") als rationaler
Überlegung entspringt. Hieran knüpft H. eine weitere These: „Faßt
man den christlichen Glauben in seiner reflektierten Form .... als
Paradigma, so ergibt sich eine Parallelität: dem Übergang von einem
wissenschaftlichen Paradigma zum anderen entspricht der Zugang
zum christlichen Paradigma von einem nicht-christlichen her"
(273f). Dabei ist der reflektierte christliche Glaube, qua christliche
Theologie, als „ein mit anderen Paradigmen konkurrierendes System
der Welterfassung" verstanden (274). - Zu erwähnen ist noch, daß
nach Auffassung H.s der Inkommensurabilitätsthese Kuhns als wissenschaftstheoretischer
Einsicht die theologische Einsicht korrespondiert
, nach der Gott sich objektivierendem Zugriff entzieht, d. h.
„Herr über die Erkenntnis seiner selbst" bleibt.

Nun weiß H. freilich ebenso um die Umstrittenheit jener These
Kuhns wie er die Gefahr sieht, daß sich infolge seines konzeptionellen
Ansatzes die Theologie zum wiederholten Male eine kritikimmune
Position verschafft und dadurch ihres Wirklichkeitsbezuges
verlustig zu gehen droht. Deshalb sucht er zum einen die Einwände
gegen Kuhns These abzuwehren (279ff). Zum anderen aber möchte er
schließlich Möglichkeiten der Bewährung des christlichen Paradigmas
andeuten, wobei er die aufgegriffene Inkommensurabilitätsthese
selbst zu relativieren scheint (290ff). Beides indes halte ich für nicht
recht gelungen. Denn zum einen müßte H. wohl jene sehr umstrittene
These Kuhns schon eingehender diskutieren, wenn anders er ihr zentral
-tragendes Gewicht für sein Konzept einer Theologie als Wissenschaft
trotz ihrer Umstrittenheit, ja mehr noch: weitgehenden Zurückweisung
bzw. Relativierung aufrechterhalten möchte. Zum andern
jedoch wird die Bewährung des Paradigmas des christlichen
Glaubens gerade nicht in Konkurrenz zu anderen Paradigmen erwiesen
, vielmehr wird nur abstrakt dessen Wirklichkeitsbezug „ansatzweise
inhaltlich expliziert".

Gewiß ist, blickt man am Schluß dieser Besprechung zurück, hinsichtlich
des vorliegenden Buches mancherlei zu monieren gewesen.
Und sicher fällt auch - im Blick auf das Buch im ganzen - die mangelnde
Literaturverarbeitung (Litverz. 299-315) sowie die ob der zerhackstückten
Gliederung wie der z. T., scheint es, sprunghaften Ordnung
des Gedanken(gang)s geringe Kohärenz des Buches nicht zu seinem
Vorteil aus. Erfreulich bleibt m. E. jedoch in jedem Fall, daß
sich der Vf. mit zum guten Teil solider Sachkenntnis der wissenschaftstheoretischen
Problematik der Theologie gestellt sowie nicht
zuletzt den Mut zum Vortrag eines eigenen Konzeptes gefunden hat -
und dies in Auseinandersetzung mit einer einflußreichen und gerade
für die Theologie brisanten wissenschaftstheoretischen Position der
Gegenwart. Denn die Problematik der Wissenschaftlichkeit der
Theologie dürfte ebenso wie die Auseinandersetzung mit dem Kr. R.
nach wie vor alles andere als erledigt sein.

Gerichshain Wolfgang Pfiiller

Alexy, Metropolit von Tallinn: In der Kraft des Heiligen Geistes -

frei für die Welt (ZdZ 1980 S. 41-52).
Arbeit und Religion (Themaheft Concilium 16,1980 Heft 1):
Remy, Jean: Arbeit und Bewußtseinsbildung (S. 2-7)
Maduro, Otto: Arbeit und Religion nach Karl Marx (S. 7-12)
Freund, Julien: Arbeit und Religion nach Max Weber (S. 12-17)
Houtart, Francois, und Genevieve Lemercinier: Religion und Reproduktion
sozialer Strukturen. Katholizismus und Kastenstruktur
in einer Gegend Südindiens (S. 17-22)
Rolim, Francisco: Religion und Armut in Brasilien (S. 23-28)
Simpson, John: Arbeit, Kirchenbesuch und Glücksempfinden

in Kontinuität und Veränderung (S. 32-38)
Westermann, Claus: Arbeit und Kulturleistung in der Bibel
(S. 45-50)

Schüssler Fiorenza, Francis: Glaube und Praxis: Überlegungen zu
katholischen theologischen Auffassungen über die Arbeit
(S. 51-57)

Burgalassi, Silvano:(Für eine Theologie des Menschen als Arbeiter
(S. 57-67)

Siebert, Rudolf: Arbeit und Religion im Denken Hegels (S. 67-73)
Cormie, Lee: Arbeit und Heil (S. 74-78).
Beauchamp, Paul: Pour une theologie de la lettre (RSR 67, 1979
S. 481-494).

Bertuletti, Angelo: II concetto di «esperienza» nel dibattito fonda-
mentale della teologia contemporanea (Teologia V, 1980
S. 283-341).

Coakley, Sarah: Theology and cultural relativism: What is the pro-

blem?(NZSTh21,1979 S. 223-243).
Consensus in theology?: a dialogue with Hans Küng and Edward

Schillebeeckx (Themaheft JES 17,1980):

Küng, Hans: Toward a new consensus in catholic (and ecumenical)

theology. (S. 1-17)
Schillebeeckx, Edward: I believe in Jesus of Nazareth: the Christ,

the Son ofGod, the Lord (S. 18-32)
Tracy, David: Particular questions within general consensus

(S. 33-39)

Dulles, Avery: Ecumenism and theological method (S. 40-48)
Sloyan, Gerard: Jesus of Nazareth: today's way to God (S. 49-56)
Swidler, Leonard: History, sociology and dialogue: elements

in contentporary theological method (S. 57-62)
Ruether, Rosemary: Is a new Christian consensus possible?

(S. 63-68)