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Ausgabe:

1981

Spalte:

591-592

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Grötzinger, Eberhard Christof

Titel/Untertitel:

Luther und Zwingli 1981

Rezensent:

Müller, Gerhard

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Seite 1

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591

Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 8

592

Den Unterschied zur katholischen Lehre, bezüglich des Fegefeuers
etwa, erwähnt er mehr nebenbei. Er referiert, ohne sich auseinanderzusetzen
.

Der im Pietismus (darüber handelt K. in Kap. 5, nachdem er sehr
sachlich - auch hier die theologische Motivation der Bindung an die
Schrift herausstellend - die Eschatologie der Orthodoxie dargestellt
hat) aufkommende Gedanke eines Fortschritts des göttlichen Wirkens
nach dem Tode, wird vorsichtig als eine Wiederannäherung an
die Intentionen der Lehre vom Fegefeuer gedeutet (90ff). Aber auf
eine Sachdiskussion, etwa über die von einigen Pietisten vertretene
Lehre von der Apokatastasis, läßt der Autor sich nicht ein.

Ein kurzes 6. Kap. weist auf die Eschatologie in der Theologie der
Aufklärungszeit hin. Eine neue Bewußtseinshaltung, die dem Leben
im Diesseits einen Eigenwert gibt, tritt auf im Gegensatz zu allen vorausgegangenen
Perioden, in denen - ohne daß gravierende Unterschiede
in der Einstellung zum „diesseitigen" Leben oder der aktuellen
Endzeiterwartung übersehen werden - das irdische Leben doch
vor allem als Vorbereitung auf das „eigentliche" Leben im Jenseits
angesehen wird. Erleichtert durch eine veränderte Einstellung zur
Bibel - sie darf nicht einfach im Wortsinne als geoffenbarte Wahrheit,
sondern muß vernunftsgemäß gelesen werden - rückt die Lehre von
der Unsterblichkeit ins Zentrum des christlichen Glaubens. „Zusammen
mit der Lehre von Gott, seiner Vorsehung und Liebe gegenüber
allen Menschen ... bildet die Unsterblichkeitslehre das Wesen der
wahren Religion und des Christentums" (96). Die übrigen Lehren der
traditionellen Eschatologie treten in ihrer Bedeutung zurück oder
werden so interpretiert, daß die „Zustimmung auch einem aufgeklärten
' Menschen nicht allzu schwer fällt" (103).

Die Schrift schließt mit einem kurzen zusammenfassenden Rückblick
über „Übereinstimmungen und Unterschiede in der protestantischen
Eschatologie bis zur Aufklärung" (109-113). Es fehlt aber jede
Bezugnahme auf die Entwicklung der Lehre in der katholischen
Theologie der entsprechenden Zeit. Man kann nur hoffen, daß der
geplante Fasz. 2b über Trient und die Gegenreformation nicht die
gleiche Zurückhaltung übt.

Wilhelm Andereent

Grötzinger, Eberhard: Luther und Zwingli. Die Kritik an der mittelalterlichen
Lehre von der Messe - als Wurzel des Abendmahlsstreites
. Zürich - Köln: Benziger: Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus
Gerd Mohn 1980. 165 S. gr. 8" = Ökumenische Theologie, 5. Kart.
DM 39,-.

Nach Walther Köhlers „Zwingli und Luther" über „Luther und
Zwingli" zu schreiben, beweist Mut. Aber der allein genügt ja nicht,
zumal während der letzten Jahre und Jahrzehnte weitere einschlägige
Arbeiten erschienen sind: von Bizer, Graß, Iserloh, Hausammann,
Hilgenfeld, H. B. Meyer, Wislöff oder Bosshard. Hat der Vf. mit seiner
in Tübingen vorgelegten Dissertation ihnen gegenüber Neues zu
sagen?

Seine These ist (wie so häufig) im Untertitel formuliert: der Abendmahlsstreit
zwischen Luther und Zwingli war geradezu „unvermeidlich
", weil sie bereits die mittelalterliche Lehre von der Messe ganz
verschieden kritisierten und weiterführen wollten. Es sollen in dieser
Arbeit die theologischen Voraussetzungen geklärt werden, die die
beiden Reformatoren zu unterschiedlichen Aussagen veranlaßten.
Nun wird man nicht sagen können, daß diese Frage noch nie gestellt
worden wäre, man wird sogar fragen müssen, ob die Basis breit und
tragfähig genug ist, wenn der Vf. sein Interesse vorwiegend auf die
Kritik an der mittelalterlichen Lehre von der Messe richtet.

Der Vf. analysiert zunächst Luthers „Sermon von dem Neuen
Testament" von 1520. Hier deutet er das Abendmahl „als Wahrzeichen
", und zwar als „Wahrzeichen für die Verheißung der Vergebung
der Sünden". Auch der Verwendung des Wortes „Testament" wird
nachgegangen: Christus selbst ist „das geheime Subjekt der sakramentalen
Handlung". Er ist mit Brot und Wein selbst gegenwärtig.
Um seine Zusage geht es, nicht um die Messe als Opfer, das Gott dargebracht
wird.

Dem wird Zwingiis Beschäftigung mit der Abendmahlslehre gegenübergestellt
. Sie erfolgt später als diejenige Luthers, nämlich öffentlich
erst 1523 in den „Schlußreden" (dem ein Brief an den Konstanzer
Bischof vom Frühjahr 1522 vorangeht). Zwingli polemisiert hier
gegen die Messe als Opfer, weil dadurch dem Opfer Christi am Kreuz
seine „Ehre und Würde" genommen werde: „Was bislang als eine
Opferhandlung galt, kann nur als Akt des Gedenkens an das einst
erbrachte Opfer verstanden werden." Damit rückt der Begriff des
„Wiedergedächtnisses" in greifbare Nähe; das Abendmahl wird zu
einem „Werk des Glaubens". E. Grötzinger weist nach, daß Luther
und Zwingli unter „opfern" Verschiedenes verstanden: geben und
darbringen auf der einen, das Opfer mit Vergießen von Blut auf der
anderen Seite. So sehr beide also in ihrer Kritik einig sind, so stark
unterscheiden sie sich in ihren positiven Aussagen.

Nun ist aber Zwingiis Abendmahlslehre von 1523 kaum eindeutig.
Er hat zunächst keine Differenzen zu Luther gesehen. Aber so
undeutlich hatte der sich ja gar nicht ausgedrückt! Hat Zwingli 1523
die Realpräsenz Jesu Christi in Brot und Wein wirklich schon abgelehnt
? Gegen Köhler meint Grötzinger dies. Die Äußerungen, die die
Transsubstantiationslehre zu belegen scheinen, hatte Köhler als
„Falschmünzerei" hingestellt, Grötzinger erklärt sie mit „pädagogischer
Rücksicht". Es mag sein, daß die Ansätze zu Zwingiis späterer
Lehre sich früh nachweisen lassen. Aber das, was dem entgegensteht,
wird vom Verfasser zu rasch beiseite geräumt, als daß es ganz überzeugen
könnte - wie man sich auch umgekehrt fragt, ob nicht bei Luthers
Lehre die entgegenstehenden Tendenzen überbetont werden.
Denn es findet sich ja in «De captivitate babylonica» auch Augustins
«crede et manducasti», das man gerne erläutert gesehen hätte. Leider
geht der Vf. auch nicht auf die vier Phasen ein, die S. Hausammann in
der Entwicklung von Luthers Abendmahlslehre unterschied. In der
Arbeit wird vielmehr vermutet, daß sich die Anschauung des Wittenbergers
in diesem Punkt kaum geändert habe. Wahrscheinlich
ist die Tradition größer, als weithin angenommen, aber das hätte man
gerne ausführlicher begründet gesehen.

Statt dessen springt der Vf. nach der Analyse der beiden genannten
Schriften zu „Zwingiis Stellungnahme zu Luther ... 1523". Zwingli
bewegte „die Sorge, es werde der Kreatur zugeschrieben, was allein
Christus zukommen kann". Joh 6 wird zum entscheidenden Abendmahlstext
: „Das Fleisch ist nichts nütze." Es kommt auf das Geistliche
, den Glauben an. Auch mit den Abendmahlselementen darf
kein Götzendienst getrieben werden. Dieser wird vermieden, wenn
der äußere Vorgang „allegorisch" gedeutet wird „auf die Speisung der
Seele durch das Wort". E. Grötzinger übersieht nicht, daß es
Entwicklungen in der Abendmahlslehre beider Theologen gegeben
hat. Er geht ihnen sogar sehr sorgfältig nach. Aber er sieht die Grunddifferenz
schon früh erwachsen. Ob dies nur auf ihre verschiedene
Neuinterpretation der Messe zurückgeht, wird leider nicht gefragt -
bei Zwingli dürften humanistische Momente eine große Rolle gespielt
haben, während Luther das Abendmahl schon früh von seinem Verständnis
der Rechtfertigung her interpretierte. Es sind also Quellenbasis
und Fragehorizont der vorliegenden Arbeit zu schmal. Gleichwohl
ist zuzugeben, daß auch in der Interpretation des Abendmahles
Luther und Zwingli früh verschiedene Wege gehen. Am Ende steht
der unüberbrückbare Gegensatz: das Abendmahl als göttliches Zeichen
bei Luther und als menschliches bei Zwingli. Wer das Zustandekommen
dieses Gegensatzes verfolgen will, wird vom Vf. einen klaren
Weggeführt.

Erlangen Gerhard Müller