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1981

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Kirchengeschichte: Reformationszeit

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Neuerscheinungen

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 8

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kulationszahlen in den Jahren 1541-50 trügt, da es sich nur aus der
Schließung der Universitäten Wittenberg und Leipzig infolge des
Schmalkaldischen Krieges ergab. Die Promotionszahlen der Fakultäten
Jura und Theologie dokumentieren die langfristige Tendenz:
keine Promotion zum Doktor der Theologie im Zeitraum von hundert
Jahren nach 1521, und nur zwei Promotionen zwischen 1521
und 1632; bei den Juristen keine Promotion während nahezu 50 Jahren
. Kleineidam weist mit Recht darauf hin, daß Erfurt unter den
deutschen Universitäten nicht allein dasteht. Auch die Universität
Basel erlebte als städtisch gegründete Anstalt einen ebenso katastrophalen
Verfall im ersten Jahrzehnt der Reformation.

Einzigartig aber war die umstrittene Stellung der katholischen Universität
Erfurt in einer zunehmend protestantischen Stadt. Der gesamte
, hier betrachtete Zeitraum wurde durch diese ambivalente
Position geprägt. 1536 versuchte der Erzbischof von Mainz aus Erfurt
eine konfessionelle Universität zu machen, indem er Nichtkatholiken
die Zulassung zum Magisterexamen verbot. Der Versuch scheiterte
aber an dem Widerstand der vorwiegend katholischen philosophischen
Fakultät, die es vorzog, ihre Unabhängigkeit von äußeren Einflüssen
zu behaupten, und sich weigerte, andere als wissenschaftliche
Maßstäbe anzulegen. Andererseits scheiterten alle Versuche einer
Protestantisierung der Universität an der unerschütterlichen Haltung
der theologischen Fakultät. Zwei in den Jahren 1537 und 1547 geplante
Studienreformen unterstützten zweifelsohne die katholischen
Neigungen der philosophischen Fakultät. Auf die Dauer konnten sich
aber trotzdem die protestantisierenden Tendenzen des Erfurter Stadtrates
durchsetzen, weil er die acht Kollegiatensteilen im Großen Kolleg
präsentierte, und nur evangelische Kandidaten vorschlug. Diese
Entwicklung der 1550er Jahre wurde durch einen zweiten protestantischen
Erfolg unterstrichen: die Stiftung einer theologischen Professur
Augsburgischen Bekenntnisses im Jahre 1566. Damit wurde Erfurt
zur ersten deutschen Universität, an der sowohl katholische als
auch evangelische Theologie gelehrt wurde.

Die Anfänge katholischer Gegenmaßnahmen sind erst 1564 mit
der Ankunft der Jesuiten in Erfurt bezeugt. Diese haben aber innerhalb
des betrachteten Zeitraums keinen bedeutenden erzieherischen
Erfolg verbuchen können; ein Jesuitkolleg konnte erst 1619 errichtet
werden. Von größerer Bedeutung war das Aufkommen einer Gruppe
katholischer Reformatoren in der Universität in den späten 1590er
Jahren, ein Ergebnis der energischen Politik des Weihbischofs Nikolaus
Elgart (gest. 1587) und des Dekans des Marienstifts, Johannes
Corner (Dekan ab 1589 und Vizekanzler der Universität 1601 bis
1608). Dadurch blühte die katholische theologische Fakultät wieder
auf, und hätte eine fuhrende Stellung in der Universität erkämpft,
wenn sie nicht dem Handstreich des Schwedenkönigs zum Opfer gefallen
wäre.

In lebhaften Farben schildert Kleineidam die vielschichtigen intellektuellen
Auswirkungen dieser faszinierenden Besonderheit Erfurts
- die Wechselwirkung und die Kämpfe zwischen zwei in derselben
Stadt und Universität coexistierenden Bekenntnisse. Dazu liefert er
eine Fülle an Informationen über die Universität und ihre Angehörigen
, die weit über die Grenzen einer reinen Universitätsgeschichte
hinausreicht, wie etwa die ausgezeichnete Kurzbiographie des Mediziners
, Astronomen und reformatorischen Propagandisten Dr. Johann
Copp, die dessen bunte Karriere durch Schlesien, Prag, Schweden
und Finnland folgt. Auf Grund dieser Breite der Darstellung verstehen
wir erst das volle Ausmaß der Einflüsse, die von der Universität
Erfurt ausgingen und auf sie einwirkten.

Kritisch muß angemerkt werden, daß wir sehr wenig über die sozialen
und wirtschaftlichen Verhältnisse im Leben der Universität und
in den Beziehungen derselben zur Stadt erfahren. Das ist wohl auf den
Mangel an Vorarbeiten zur Erfurter Geschichte des 16. Jh. zurückzuführen
. Kleineidam weist auch darauf hin, daß keine reichlichen
Quellen zur Geschichte der Erfurter Universität im betrachteten Zeitraum
vorhanden sind. Er hat aber mit Erfolg versucht, diesen Mangel

soweit wie möglich durch intelligente und gelehrte Ausnützung von
gedruckten Quellen und Literatur aus allen seinem Thema nahestehenden
Bereichen auszugleichen. Der Band ist eine bahnbrechende
Leistung zur Geschichte eines bisher im Falle Erfurts unerforscht gebliebenen
Zeitalters. Es bleibt zu hoffen, daß Kleineidams Arbeit zu
weiteren Untersuchungen der Geschichte Erfurts im Zeitalter der Reformation
und Gegenreformation anregen wird.

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