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Ausgabe:

1981

Spalte:

36-37

Kategorie:

Neues Testament

Titel/Untertitel:

Les miracles de Jésus selon le Nouveau Testament 1981

Rezensent:

Delling, Gerhard

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Theologische Literaturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. I

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Gebot (z. B. Segnen) (17). Angesichts der schmalen Textbasis, aufgrund
welcher die genannte „paraenetic tradition" erhoben wird, ist
die vorsichtige Ausdrucksweise des Vf. zu begrüßen und zu unterstreichen
: „Our study has not encouraged us to postulate fixed codes
(...) behind the New Testament paraenesis". sondern eher einen
„fund of oral traditional material systematized only loosely under dif-
ferentthemes"(l8).

Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit der Frage, welches der L'r-
sprung oder die Herkunft des Gebots der Feindesliebe in der paräneti-
schen Tradition sei. Der Vf. kommt aufgrund einer sorgfältigen Analyse
zum Schluß, daß weder in der stoisch-hellenistischen noch in
der alttestamentlichen und jüdischen Literatur Aussagen zu finden
sind, die die Frage nach dem Ursprung dieser christlich-paräneti-
sehen Anweisung zureichend beantworten könnten. Während in der
hellenistischen Literatur zwar „certain external similarities" auftreten
, die aber bei näherem Zusehen keine wesentliche Beziehung zur
Feindesliebe haben (27; gerade die Stein-Metapher Epiktets, Diss I
25.29. macht dies deutlich), kommt das AT schon eher als Analogie
in Betracht, weil dort „seeds of enemy love" - allerdings aber nur im
Verein mit Aussagen zum Feindes/ia/S - zu finden sind (34). Im übrigen
jüdischen Schrifttum findet der Vf. keine an die Eindeutigkeit
der neutestamentlichen Verkündigung heranreichenden Aussagen -
mit Ausnahme der einzig dastehenden Sätze in TestGad 6,7 und Test
Jos 18,2 (vgl. 45). Eine Analyse der Bergpredigt zeigt, daß als der
eigentliche geschichtliche Ursprung des Gebots der Feindesliebe nur
die Verkündigung Jesu in Frage kommen kann (49ff). Dieses Gebot
Jesu benutzte die Gemeinde als Kriterium sowohl für die Auswahl als
auch für ihre charakteristische Interpretation der Materialien aus
ihrer Umwelt. ,,That which sets the early church off from its environ-
ment ... il that which it has in common with Jesus" (64). Dieses Resultat
ist eine Folge davon, daß der Vf. sich nirgends mit oberflächlichen
Vergleichen begnügt.

Das dritte Kapitel stellt das Gebot der Feindesliebe in den weiteren
Rahmen der Verkündigung Jesu. Dabei zeigt sich, daß die Beziehung
zur Reich-Gottes-Verkündigung Jesu sehr eng ist. Das Gebot der
Feindesliebe gründet insofern in dieser, als die in Jesus anwesende
Gottesherrschaft es überhaupt möglich macht. Feinde zu lieben
(80IT). Daß Jesus zugleich von der Erfüllung des Gesetzes sprechen
und es dennoch radikal kritisieren konnte (vgl. die Antithesen), liegt
daran, daß das Gesetz in seiner Funktion, die Koexistenz mit dem
Bösen zu regeln, angesichts der anbrechenden Königsherrschaft Gottes
abgeschafft ist. damit es in seiner Funktion als Einweisung in die
Liebe neu erkannt werden kann (vgl. 95).

Im vierten Kapitel (100ff) versucht der Vf. zu zeigen, welcher Gebrauch
von dem Gebot Jesu in der neuen Situation der nachösterlichen
Gemeinde gemacht wurde. Dabei wird auch der Stellenwert
des Alten Testaments berücksichtigt. Sowohl bei Paulus als auch im
1 Petr ist das Gebot der Feindesliebe christologisch begründet und als
eine praktische Konkretion dessen zu verstehen, was Glaube an den
auferstandenen Christus bedeutet. Der Rede von der nahen Gottesherrschaft
bei Jesus entspricht jetzt der Glaube an die in Christus geschehene
Liebe Gottes (vgl. z. B. 121).

Das fünfte Kapitel (134ff) schließlich befaßt sich mit dem Stellenwert
des Jesusgebots in der synoptischen Tradition (..gospel tradition
"). Mt versteht es als Summe jener besseren Gerechtigkeit, die er
dem kasuistischen Gebrauch des Gesetzes entgegenstellt und insofern
als die Erfüllung des Gesetzes (145-152). Bei LK dagegen steht es im
Kontext seiner Kritik am Reichtum und zielt auf „that change of
heart by which riches become so insignificant to us that our act of
merey is never calculated to bring back our own material aggrandize-
ment" (161). Bemerkenswert ist an diesem Kapitel, daß der Vf. - entgegen
einer extrem verfahrenden redaktionsgeschichtlichen Betrachtungsweise
- die Selbständigkeit betont, welche die Evangelisten dem
Gebot Jesu gelassen hatten.

Dieses Buch, das auf so knappem Raum keinesfalls adäquat zusammenzufassen
ist, zeichnet sich aus durch methodologische und her-
meneutische Besonnenheit sowie durch den Willen, vordergründige
Einzelergebnisse systematisch zu durchdringen. Während das erste
uneingeschränkt zu begrüßen ist, könnte man sich beim zweiten fragen
, ob es der Konkretheit und Bedeutung historischer Einzelheiten
immer nur zuträglich gewesen sei.

Zürich Hans Weder

Leon-Dufour, Xavier [Ed.]: I.es miracles de Jesus selon le Nouveau
Testament. Paris: Edition du Seuil 1977. 396 S. 8" = Parole de
Dieu.

Pater Leon-Dufour, der sich schon in Etudes d'Evangiles, Paris
1965, 125-227 an Hand dreier Texte zur Frage der Wunder Jesu äußerte
, teilt sich in dem diesem Thema eigens gewidmeten Band mit eil
anderen1 in dessen Bearbeitung. Er selbst verfaßte nicht nur das einleitende
Kap., in dem er je den dogmatischen, kritischen, literarischen
, hermeneutisehen Zugang zum Wunder (die beiden ersten im
Rahmen einer Geschichte der betr. Deutung) beleuchtet und auf die
Aufgabe des Bandes hinführt (11-39). und den Schlußabschnitt
(355-374). sondern auch c. XIII (s. u.) und den schon durch seine
Stellung herausgehobenen vierten Teil (289-353).

Der erste Teil macht hauptsächlich den religions- und geistesgeschichtlichen
Hintergrund der neutestamentlichen Wunderberichte
sichtbar. Für das Alte Testament steuert dazu M. Carrez eine Skizze
bei (45-58)2. Einen guten Überblick für die hellenistische Welt gibt A.
George (95-108). illustratives rabbinisches Material verarbeitet K.
Hruby (c. IV)'. In c. III ist P. Grelot bemüht, die Berichte und Aussagen
über Dämonenaustreibungen Jesu sowohl vor dem jüdischen
Hintergrund wie in ihrem Verhältnis zu den Heilungsberichten und
im Rahmen des Wirkens Jesu überhaupt zu erhellen (59-72). In c. VI
fragt S. Legasse nach den Möglichkeiten und Maßstäben, die sich
dem Historiker für die Beantwortung der Frage nach der Geschichtlichkeit
der im Neuen Testament berichteten Wunder ergeben
(109-145).

Im zweiten Teil werden zuerst an Hand von Mk 5,1-20 Methoden
der Untersuchung eines Textes exemplarisch vorgeführt. Den Essai
d'analyse semiotique (151-181) verantworten J. Calloud, G. Com-
bet, J. Delorme gemeinsam4. Bietet Abschn. A mannigfache Hilfe zu
einem genaueren Verständnis der Organisation narrative des Textes,
so ist mir B. lorganisation des contenus semantiques. weithin - zumal
in bestimmten sinnbildlichen Deutungen in Mk 5 verwendeter
Ausdrücke5 (etwa der Raumbezeichnungen [178]) - nicht recht einleuchtend
geworden. In c. VIII bemüht sich L. Beirnaert um eine
approche psychoanalytique zu dem Text (183-188). Beiden Kapiteln
gemeinsam sind insbesondere die interpretierenden Stichwörter
soziale Bindung (bzw. Absonderung)" und Tod(esmacht). J.-N. Aletti
befragt dann in c. IX die verschiedenen Betrachtungsweisen der Erzählung
kritisch' nach der ihnen jeweils eigentümlichen Beziehung
zum Text (189). Er beginnt mit den als klassisch bezeichneten Verfahren
der Form-, Traditions- und Redaktionsgeschichte (189-198).
die nach A. vorzugsweise um das Verhältnis zwischen Text(en) und
Autoren) bemüht sind (189) und dabei vor allem mit lexikalischer
Vergleichung und Reduzierung arbeiten (198). A. erhellt Methoden,
Möglichkeiten und Grenzen auch der in c. Vllf vorgeführten lectures
(wobei er speziell für das Verständnis der semantischen Methode und
ihre besonderen Ausdrücke Hilfen gibt).

Im dritten Teil werden die Besonderheiten des jeweiligen Verständnisses
der Wunder in Evangelien und Acta aufgezeigt. Nach P. La-
marche (c. X) sind sie für Mk speziell durch die Merkmale Wirksamkeit
des Wortes, Miteinander von Macht und Ohnmacht, Realität
und begleitende Symbolhaftigkeit zu kennzeichnen (215-219). Weiterhin
macht L. die Rolle der Wunderberichte im Aufbau des Mk
sichtbar (219-226). S. Legasse (227-247) betrachtet nach einer Skizze
über die redaktionelle Behandlung der Berichte das Wunder in Mt
insbesondere unter den Stichwörtern Christologie (dazu stellt er auch
den Gedanken der Schrifterfüllung heraus), Glaube (auch bei Heiden
). Gemeinde. A. George (249-268) zeigt für die Lukasschriften
(deren Vokabular des Wunders sich für Lk-Ev und Apg z. T. unterscheidet
), daß die Wunder letztlich Gottes Werk sind, dem Heilshandeln
Gottes (auch in der Überwindung des Satans) zugeordnet, bedeutsam
im Zusammenhang der Verkündigung bzw. des Glaubens. In
c. XIII schließlich stellt Leon-Dufour das spezifische Verständnis
des Wunders im Joh-Ev. (z. T. im Unterschied zu den Synoptikern)
heraus, seine Bedeutung in dem Ganzen der Theologie des Joh.

Im letzten Teil wagt L.-D. einen Essai de Synthese, wenn auch
nicht im Sinn einer Zusammenfassung aller Bestandteile der vorangegangenen
Analysen (353); tatsächlich setzt er methodisch von neuem
an. Er fragt speziell nach Structure et fonetion du recit du miracle (c.
XIV)8. Zur ersten führt er 33 Merkmale (motifs)' der Wundererzählungen
vor. sodann die Ordnung der Hauptmotive zueinander, weiter