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Ausgabe:

1981

Spalte:

566-567

Kategorie:

Judaistik

Autor/Hrsg.:

Rosenzweig, Rachel

Titel/Untertitel:

Solidarität mit den Leidenden im Judentum 1981

Rezensent:

Wächter, Ludwig

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Theologische Lileraturzeitung 106. Jahrgang 1981 Nr. 8

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I) zu gelten hat (415-430), als „speziell strukturierte Abschiedsrede"
(426) „mit der fundamentalen Dreierstruktur des Bundesformulars"
(429). Hernach bietet er auf über 100 Seiten eine Analyse der (griechisch
zitierten) „mit größerer Sicherheit abgrenzbaren und formal
selbständigen..." (440) weisheitlichen Texte (ca. 125 VV.) in test
XII, die auf „eine gemeinsame Geistesrichtung und Schule" weisen
(526) und in die Grundschrift eingefügt wurden (K. setzt die Grundschrift
-die ihrerseits bereits Paränese enthielt - sowie weisheitliche3
und apokalyptische Texte der test XII „im Palästina um die Zeitenwende
" [440] an). Die Autoren der weisheitlichen Texte, eine Gruppe
psychologisierender und kosmologisierender Moralisten (5370,
sind nach K. dem hellenisierenden Judentum Palästinas zuzuordnen
(532). Gemeinsam sind ihnen auch „Spuren eines (zumindest) psychologischen
" Dualismus (5404). K. schließt in VI mit einem Rückblick
(547-552) und einem Ausblick auf frühchristliche (553-571)
und ,jesuanische Weisheit" (572-586; dazu Spruchliste 587-592).
Literaturverzeichnis5 und Stellen- (676-696, in Auswahl, aber für alle
Literaturgruppen) sowie Namen- und Sachregister (697-703, Auswahl
) runden das Opus technisch ab.

Die von K. herangezogenen Texte umschließen eine erhebliche
Zeitspanne (nach Tab. 8 [413] rund ein Jahrtausend) und gehören
weithin verschiedenen Sprach- und Kulturbereichen an; das bedingt
eine umfängliche Verwertung von Fachliteratur aus verschiedenen
Gebieten und ihrer Ergebnisse6. Sie schließt eine eigenständige Verarbeitung
der Quellen7 (und der sekundären Literatur) keineswegs aus
sowohl in der Behandlung der Texte wie in ihrer Einfügung in einen
Überblick bzw. weithin eine umfassende Darstellung der Geschichte
der Weisheitsliteratur speziell des Frühjudentums im größeren Rahmen
(s. o.), wie sie hier erstmals vorliegt8. Die vielfältigen Verbin-
Jungslinien, die K. für mannigfache Materialien, Wendungen, Vorstellungen
, Bilder zieht, und die größeren Zusammenhänge, auf die er
für Gattungen, Ideenbereiche, Literaturen weist, führen ihrerseits
weiter und bieten reichen Stoff und vielerlei Anregungen für künftige
Arbeit auf dem weitverzweigten Gebiet.

Halle (Saale) Gerhard Delling

' Einschließlich der jüdischen gefälschten Klassikerverse (238-240).
' S. etwa den Themenkatalog 288-290. Solche Kataloge auch 307f.322f.
Sie gehören in die zweite Etappe der Entstehungsgeschichte der test XII
(442).

4 Nicht eines ontologischen, bemerkt K. 540 - dem widerspräche m. E. in
der Tat der „Rückbezug auf die Schöpfungsordnung", der nach K. „eine der
'entralsten Gemeinsamkeiten der Autoren der Paränesen und Lehrtexte" der
'^i XII ist (543).

956 sub SAEB0 (sie!) muß es statt IX heißen TI0, entsprechend jeweils im
Text 92.94. Zu 28 (bei Anm. 26) seien noch zwei neuere Aufsatzsammlungen
genannt: Sagesse et Religion. Travaux du Centre d'Etudes Superieures speciale
d'Histoire des Religions de Strasbourg, Colloque Strasbourg 1976, Paris
1979; La Sagesse de l'Ancien Testament (ed. M. Gilbert), Journees bibliques de
Louvain 1978, Gembloux 1979 = BEThL 51, zu Sir und Sap: 293-396.

So ist das opus grande von M. Hengel, Judentum und Hellenismus, Tübingen
21973 (vgl. dazu etwa H.-F. Weiß, ThLZ95, 1970 Sp. 343-346; L. H. Feldman
[bei K. 618 und sonst Feldmann], JBL 96, 1977, 371-382 usw.) weithin
Autorität oder für test XII J. Becker, Untersuchungen zur Entstehungsgeschichte
der Testamente der zwölf Patriarchen, Leiden 1970 (dazu K. selbst
434.435 usw.).

Mißverstanden ist Hekataios von Abdera bei Diodor 40,3,8 = Jacoby,
*"rgm hist Graec Nr 264 frg 6.

Gewisse Eigenheiten in Ausdrucksweise, Rechtschreibung, Interpunktion
seien nur summarisch erwähnt. Im Stil des Vf. klingt übrigens mitunter Humor
durch.

Rosenzweig, Rachel: Solidarität mit den Leidenden im Judentum.

Berlin - New York: de Gruyter 1978. XXVI, 296 S., 1 Kte gr. 8* =
Studia Judaica. Forschungen zur Wissenschaft des Judentums, X.
Lw. DM 98,-.

Das Buch geht auf eine Doktorarbeit bei der Hebräischen Universität
in Jerusalem (1971) zurück, die von D. Flusser und S. Safrai betreut
worden ist. Die Anregung, sie zu überarbeiten und ins Deutsche
zu übertragen, ging von R. Mayer (Tübingen) und L. Ehrlich (Basel)
aus.

Das Quellenmaterial, auf dem die Darstellung aufbaut, ist sehr
breit. Es ist etwas untertrieben, wenn es auf S. 6 heißt: „Wir ziehen
nur die alte jüdische Literatur in Betracht... von der Zerstörung des
Nordreichs 721 v. d. Z. bis zum Ende der-talmudischen Zeit."
Schließlich wird auch auf ältere Schichten der Bibel Bezug genommen
, und manche der Quellenschriften sind jünger als die angegebene
Zeitgrenze. Ausgeklammert werden die Werke hellenistischer
Juden, die zum Thema der Solidarität nichts zu sagen haben. Aber
die Schriften des Josephus werden berücksichtigt, dazu auch die
Schriften des Neuen Testaments. Sie finden im übrigen eine bedeutend
positivere Würdigung als die Qumran-Literatur.

In ihrer Wertung neutestamentlicher Aussagen läßt sich die Vfn.
weitgehend von H. Braun, J. Cardonnel, H. Cox, H. Gollwitzer und
D. Solle leiten, die sie als „Pioniere des modernen Christentums" (S.
7 u.ö.) ansieht. Das nimmt nicht Wunder; denn hier fand sie eine ihrer
Konzeption etwa entsprechende Identifikationsethik, die sich auf
den zwischenmenschlichen Bereich konzentriert und das Metaphysische
weitgehend ausklammert. Für das tiefe Verständnis Jesu, der als
einer der „Gesandten Israels" angesehen wird, jener „Einzigartigen",
die sich mit den Leidenden solidarisierten, ja identifizierten, haben
Anregungen D. Flussers beigetragen.

Die verschiedenen Aspekte der Solidarität - die Schicksalsverbundenheit
der einzelnen Menschen miteinander und mit ihrer Gemeinschaft
, die daraus folgende gegenseitige Haftung, die Verantwortung
füreinander, die aus der Verantwortung hervorgehende Haltung, welche
bis zur Identifikation mit den Leidenden führen kann - bedingen
einander. Sie gehen in den aus den Quellen herangezogenen Beispielerzählungen
auch meist ineinander über. So entzieht sich der Stoff
geradezu einer Gliederung, und wenn man das Buch in einem Zuge
liest - es ist so geschrieben, daß es dazu anreizt -, hat man den Eindruck
einer in mehreren konzentrischen Kreisen verlaufenden Meditation
über das Leiden und die es tragen helfende Solidarität. Die
gleichwohl vorhandene bis ins Kleinste gehende Einteilung in Abschnitte
ist der Darstellung gleichsam aufgetragen und dient dem Leser
- zumal, wenn er das Inhaltsverzeichnis zu Hilfe nimmt
(S. XXIII-XXVI) - zur Orientierung darüber, woran im einzelnen die
Lehre von der Solidarität entfaltet wird.

Der eigentlichen Darstellung sind einige Verständnishilfen vorausgeschickt
: Vorbemerkungen für den deutschen Leser, eine Danksagung
, eine Zusammenfassung - eigentlich müßte sie am Ende stehen
! -, welche die Quintessenz aus dem Buche zieht, eine Zeittafel
und eine Einleitung, welche ,,-die Gesetze der Leidbewältigung" und
„die Quellen zum Thema" nennt.

Der erste Teil ist mit „Die Leidenden" überschrieben. In drei Kapiteln
behandelt er zuerst die Solidarität mit der leidenden Menschheit
, die bei den Denkern Israels schwach entfaltet war; dann die Solidarität
mit dem Leiden Israels, dessen man sich stets bewußt war;
darauf das Verhalten zum leidenden Anderen, das z. T. von Indifferenz
geprägt war auf Grund der Ansicht, das Leiden auf Sünde zurückzuführen
sei, z. T. von konkreter Identifikation, wofür als Beispiel
Jesus von Nazareth und Josua ben Levi gebracht werden.

Der zweite Teil trägt die Überschrift „Die Lehre von der Solidarität
". Hervorzuheben sind hiervon Kap. 1, das sich mit dem Gedanken
der Solidarität Gottes befaßt, der als „Spiegel der Anthropologie
" anzusehen sei und Trostfunktion hatte - hier hätte mehr Quel-
lenmatcrial gebracht werden können - und Kap. 4: „Die ausdrück-